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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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In der halben Höhe des Berges, in dem alten langobar-4. Abschnitt.
dischen Kloster San Salvatore schlug er mit der Curie sein
Quartier auf: dort, zwischen Castanien über dem schroffen
Abhang, überschaut man das ganze südliche Toscana und
sieht in der Ferne die Thürme von Siena. Die Ersteigung
der höchsten Spitze überließ er seinen Begleitern, zu welchen
sich auch der venezianische Orator gesellte; sie fanden oben
zwei gewaltige Steinblöcke übereinander, vielleicht die Opfer-
stätte eines Urvolkes, und glaubten über dem Meere in
weiter Ferne auch Corsica und Sardinien 1) zu entdecken.
In der herrlichen Sommerkühle, zwischen den alten Eichen
und Castanien, auf dem frischen Rasen wo kein Dorn den
Fuß ritzte, kein Insect und keine Schlange sich lästig oder
gefährlich machte, genoß der Papst der glücklichsten Stim-
mung; für die Segnatura, welche an bestimmten Wochen-
tagen stattfand, suchte er jedesmal neue schattige Plätze 2)
auf -- "novos in convallibus fontes et novas inve-
"niens umbras, quae dubiam facerent electionem
".
Dabei geschah es wohl, daß die Hunde einen gewaltigen
Hirsch aus seinem nahen Lager aufjagten, den man mit
Klauen und Geweih sich vertheidigen und bergaufwärts
fliehen sah. Des Abends pflegte der Papst vor dem Kloster
zu sitzen an der Stelle, von wo man in das Thal der
Paglia niederschaut, und mit den Cardinälen heitere Ge-
spräche zu führen. Curialen, die sich auf der Jagd ab-
wärts wagten, fanden unten die Hitze unleidlich und alles
verbrannt, eine wahre Hölle, während das Kloster in seiner
grünen, kühlen Umgebung eine Wohnung der Seligen
schien.

Dieß ist lauter wesentlich moderner Genuß, nicht Ein-
wirkung des Alterthums. So gewiß die Alten ähnlich

1) So muß es wohl heißen statt: Sicilien.
2) Er nennt sich selbst mit Anspielung auf seinen Namen: Silvarum
amator et varia videndi cupidus.

In der halben Höhe des Berges, in dem alten langobar-4. Abſchnitt.
diſchen Kloſter San Salvatore ſchlug er mit der Curie ſein
Quartier auf: dort, zwiſchen Caſtanien über dem ſchroffen
Abhang, überſchaut man das ganze ſüdliche Toscana und
ſieht in der Ferne die Thürme von Siena. Die Erſteigung
der höchſten Spitze überließ er ſeinen Begleitern, zu welchen
ſich auch der venezianiſche Orator geſellte; ſie fanden oben
zwei gewaltige Steinblöcke übereinander, vielleicht die Opfer-
ſtätte eines Urvolkes, und glaubten über dem Meere in
weiter Ferne auch Corſica und Sardinien 1) zu entdecken.
In der herrlichen Sommerkühle, zwiſchen den alten Eichen
und Caſtanien, auf dem friſchen Raſen wo kein Dorn den
Fuß ritzte, kein Inſect und keine Schlange ſich läſtig oder
gefährlich machte, genoß der Papſt der glücklichſten Stim-
mung; für die Segnatura, welche an beſtimmten Wochen-
tagen ſtattfand, ſuchte er jedesmal neue ſchattige Plätze 2)
auf — „novos in convallibus fontes et novas inve-
„niens umbras, quæ dubiam facerent electionem
“.
Dabei geſchah es wohl, daß die Hunde einen gewaltigen
Hirſch aus ſeinem nahen Lager aufjagten, den man mit
Klauen und Geweih ſich vertheidigen und bergaufwärts
fliehen ſah. Des Abends pflegte der Papſt vor dem Kloſter
zu ſitzen an der Stelle, von wo man in das Thal der
Paglia niederſchaut, und mit den Cardinälen heitere Ge-
ſpräche zu führen. Curialen, die ſich auf der Jagd ab-
wärts wagten, fanden unten die Hitze unleidlich und alles
verbrannt, eine wahre Hölle, während das Kloſter in ſeiner
grünen, kühlen Umgebung eine Wohnung der Seligen
ſchien.

Dieß iſt lauter weſentlich moderner Genuß, nicht Ein-
wirkung des Alterthums. So gewiß die Alten ähnlich

1) So muß es wohl heißen ſtatt: Sicilien.
2) Er nennt ſich ſelbſt mit Anſpielung auf ſeinen Namen: Silvarum
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[301/0311] In der halben Höhe des Berges, in dem alten langobar- diſchen Kloſter San Salvatore ſchlug er mit der Curie ſein Quartier auf: dort, zwiſchen Caſtanien über dem ſchroffen Abhang, überſchaut man das ganze ſüdliche Toscana und ſieht in der Ferne die Thürme von Siena. Die Erſteigung der höchſten Spitze überließ er ſeinen Begleitern, zu welchen ſich auch der venezianiſche Orator geſellte; ſie fanden oben zwei gewaltige Steinblöcke übereinander, vielleicht die Opfer- ſtätte eines Urvolkes, und glaubten über dem Meere in weiter Ferne auch Corſica und Sardinien 1) zu entdecken. In der herrlichen Sommerkühle, zwiſchen den alten Eichen und Caſtanien, auf dem friſchen Raſen wo kein Dorn den Fuß ritzte, kein Inſect und keine Schlange ſich läſtig oder gefährlich machte, genoß der Papſt der glücklichſten Stim- mung; für die Segnatura, welche an beſtimmten Wochen- tagen ſtattfand, ſuchte er jedesmal neue ſchattige Plätze 2) auf — „novos in convallibus fontes et novas inve- „niens umbras, quæ dubiam facerent electionem“. Dabei geſchah es wohl, daß die Hunde einen gewaltigen Hirſch aus ſeinem nahen Lager aufjagten, den man mit Klauen und Geweih ſich vertheidigen und bergaufwärts fliehen ſah. Des Abends pflegte der Papſt vor dem Kloſter zu ſitzen an der Stelle, von wo man in das Thal der Paglia niederſchaut, und mit den Cardinälen heitere Ge- ſpräche zu führen. Curialen, die ſich auf der Jagd ab- wärts wagten, fanden unten die Hitze unleidlich und alles verbrannt, eine wahre Hölle, während das Kloſter in ſeiner grünen, kühlen Umgebung eine Wohnung der Seligen ſchien. 4. Abſchnitt. Dieß iſt lauter weſentlich moderner Genuß, nicht Ein- wirkung des Alterthums. So gewiß die Alten ähnlich 1) So muß es wohl heißen ſtatt: Sicilien. 2) Er nennt ſich ſelbſt mit Anſpielung auf ſeinen Namen: Silvarum amator et varia videndi cupidus.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/311>, abgerufen am 21.11.2024.