6. Abschnitt.Leo X. hießen bei den Italienern die Wenigen 1), die sich noch damit abgaben, schon "Grübler" (ingenia curiosa), und Aurelio Augurelli, der dem großen Goldverächter Leo selbst sein Lehrgedicht vom Goldmachen widmete, soll als Gegengeschenk eine prächtige, aber leere Börse erhalten haben. Die Adeptenmystik, welche außer dem Gold noch den all- beglückenden Stein der Weisen suchte, ist vollends erst ein spätes nordisches Gewächs, welches aus den Theorien des Paracelsus etc. emporblüht.
Mit diesem Aberglauben sowohl als mit der Denkweise des Alterthums überhaupt hängt die Erschütterung des Glaubens an die Unsterblichkeit eng zusammen. Diese Frage hat aber überdieß noch viel weitere und tiefere Beziehungen zu der Entwicklung des modernen Geistes im Großen und Ganzen.
Der Unglaube überhaupt.Eine mächtige Quelle aller Zweifel an der Unsterb- lichkeit war zunächst der Wunsch, der verhaßten Kirche wie sie war, innerlich nichts mehr zu verdanken. Wir sahen daß die Kirche diejenigen, welche so dachten, Epicureer nannte (S. 500, f.). Im Augenblick des Todes mag sich Mancher wieder nach den Sacramenten umgesehen haben, aber Unzählige haben während ihres Lebens, zumal während ihrer thätigsten Jahre unter jener Voraussetzung gelebt und gehandelt. Daß sich daran bei Vielen ein allgemeiner Un- glaube hängen mußte, ist an sich einleuchtend und überdieß geschichtlich auf alle Weise bezeugt. Es sind Diejenigen, von welchen es bei Ariost heißt: sie glauben nicht über das Dach hinaus 2). In Italien, zumal in Florenz, konnte man
1)Neque enim desunt, heißt es bei Paul. Jov. Elog. lit., s. v. Pompon. Gauricus. Vgl. Ibid., s. v. Aurel. Augurellus. -- Macaroneide, Phant. XII.
2)Ariosto, Sonetto 34. ... non creder sopra il tetto. Der Dichter sagt es mit Bosheit von einem Beamten aus, der in einer Sache von Mein und Dein gegen ihn entschieden hatte.
6. Abſchnitt.Leo X. hießen bei den Italienern die Wenigen 1), die ſich noch damit abgaben, ſchon „Grübler“ (ingenia curiosa), und Aurelio Augurelli, der dem großen Goldverächter Leo ſelbſt ſein Lehrgedicht vom Goldmachen widmete, ſoll als Gegengeſchenk eine prächtige, aber leere Börſe erhalten haben. Die Adeptenmyſtik, welche außer dem Gold noch den all- beglückenden Stein der Weiſen ſuchte, iſt vollends erſt ein ſpätes nordiſches Gewächs, welches aus den Theorien des Paracelſus ꝛc. emporblüht.
Mit dieſem Aberglauben ſowohl als mit der Denkweiſe des Alterthums überhaupt hängt die Erſchütterung des Glaubens an die Unſterblichkeit eng zuſammen. Dieſe Frage hat aber überdieß noch viel weitere und tiefere Beziehungen zu der Entwicklung des modernen Geiſtes im Großen und Ganzen.
Der Unglaube überhaupt.Eine mächtige Quelle aller Zweifel an der Unſterb- lichkeit war zunächſt der Wunſch, der verhaßten Kirche wie ſie war, innerlich nichts mehr zu verdanken. Wir ſahen daß die Kirche diejenigen, welche ſo dachten, Epicureer nannte (S. 500, f.). Im Augenblick des Todes mag ſich Mancher wieder nach den Sacramenten umgeſehen haben, aber Unzählige haben während ihres Lebens, zumal während ihrer thätigſten Jahre unter jener Vorausſetzung gelebt und gehandelt. Daß ſich daran bei Vielen ein allgemeiner Un- glaube hängen mußte, iſt an ſich einleuchtend und überdieß geſchichtlich auf alle Weiſe bezeugt. Es ſind Diejenigen, von welchen es bei Arioſt heißt: ſie glauben nicht über das Dach hinaus 2). In Italien, zumal in Florenz, konnte man
1)Neque enim desunt, heißt es bei Paul. Jov. Elog. lit., s. v. Pompon. Gauricus. Vgl. Ibid., s. v. Aurel. Augurellus. — Macaroneide, Phant. XII.
2)Ariosto, Sonetto 34. … non creder sopra il tetto. Der Dichter ſagt es mit Bosheit von einem Beamten aus, der in einer Sache von Mein und Dein gegen ihn entſchieden hatte.
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Leo X. hießen bei den Italienern die Wenigen 1), die ſich
noch damit abgaben, ſchon „Grübler“ (ingenia curiosa),
und Aurelio Augurelli, der dem großen Goldverächter Leo
ſelbſt ſein Lehrgedicht vom Goldmachen widmete, ſoll als
Gegengeſchenk eine prächtige, aber leere Börſe erhalten haben.
Die Adeptenmyſtik, welche außer dem Gold noch den all-
beglückenden Stein der Weiſen ſuchte, iſt vollends erſt ein
ſpätes nordiſches Gewächs, welches aus den Theorien des
Paracelſus ꝛc. emporblüht.
6. Abſchnitt.
Mit dieſem Aberglauben ſowohl als mit der Denkweiſe
des Alterthums überhaupt hängt die Erſchütterung des
Glaubens an die Unſterblichkeit eng zuſammen. Dieſe Frage
hat aber überdieß noch viel weitere und tiefere Beziehungen
zu der Entwicklung des modernen Geiſtes im Großen und
Ganzen.
Eine mächtige Quelle aller Zweifel an der Unſterb-
lichkeit war zunächſt der Wunſch, der verhaßten Kirche wie
ſie war, innerlich nichts mehr zu verdanken. Wir ſahen
daß die Kirche diejenigen, welche ſo dachten, Epicureer
nannte (S. 500, f.). Im Augenblick des Todes mag ſich
Mancher wieder nach den Sacramenten umgeſehen haben,
aber Unzählige haben während ihres Lebens, zumal während
ihrer thätigſten Jahre unter jener Vorausſetzung gelebt und
gehandelt. Daß ſich daran bei Vielen ein allgemeiner Un-
glaube hängen mußte, iſt an ſich einleuchtend und überdieß
geſchichtlich auf alle Weiſe bezeugt. Es ſind Diejenigen,
von welchen es bei Arioſt heißt: ſie glauben nicht über das
Dach hinaus 2). In Italien, zumal in Florenz, konnte man
Der Unglaube
überhaupt.
1) Neque enim desunt, heißt es bei Paul. Jov. Elog. lit., s. v.
Pompon. Gauricus. Vgl. Ibid., s. v. Aurel. Augurellus. —
Macaroneide, Phant. XII.
2) Ariosto, Sonetto 34. … non creder sopra il tetto. Der
Dichter ſagt es mit Bosheit von einem Beamten aus, der in einer
Sache von Mein und Dein gegen ihn entſchieden hatte.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/560>, abgerufen am 21.11.2024.
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