nicht nach wirklichen Gründen der Wahr- heit, sondern nach Vorurtheilen; nicht nach den innern und wesentlichen Kenzeichen des Guten und des Bösen, sondern lediglich nach dem äusserlichen Schein, nach der in die Augen fallenden Oberfläche der Dinge. Der den Menschen überhaupt eigene Hang zur Bequemlichkeit, und die den Weltleuten besonders zur Gewohnheit gewordene leichte und flüchtige Art zu denken, verbunden mit den endlosen Zer- streuungen ihrer Lebensart, machen es ihnen un- möglich mit ihrer Urtheilskraft in die Natur der Dinge einzudringen, und die Wahrheit bei ihrem eigenthümlichen Lichte zu erkennen. Sie begnü- gen sich daher in den meisten Fällen, dasjenige, worüber sie urtheilen wollen, nur nach dem äus- serlichen Ansehn ins Auge zu fassen, und es dan an den Probierstein solcher angeblichen Grundsäze zu halten, welche gemeiniglich entweder nur halb wahr, oder ganz falsch, in beiden Fällen aber sicher nur angenommen, nicht erkant, nicht ergrün- det sind.
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nicht nach wirklichen Gruͤnden der Wahr- heit, ſondern nach Vorurtheilen; nicht nach den innern und weſentlichen Kenzeichen des Guten und des Boͤſen, ſondern lediglich nach dem aͤuſſerlichen Schein, nach der in die Augen fallenden Oberflaͤche der Dinge. Der den Menſchen uͤberhaupt eigene Hang zur Bequemlichkeit, und die den Weltleuten beſonders zur Gewohnheit gewordene leichte und fluͤchtige Art zu denken, verbunden mit den endloſen Zer- ſtreuungen ihrer Lebensart, machen es ihnen un- moͤglich mit ihrer Urtheilskraft in die Natur der Dinge einzudringen, und die Wahrheit bei ihrem eigenthuͤmlichen Lichte zu erkennen. Sie begnuͤ- gen ſich daher in den meiſten Faͤllen, dasjenige, woruͤber ſie urtheilen wollen, nur nach dem aͤuſ- ſerlichen Anſehn ins Auge zu faſſen, und es dan an den Probierſtein ſolcher angeblichen Grundſaͤze zu halten, welche gemeiniglich entweder nur halb wahr, oder ganz falſch, in beiden Faͤllen aber ſicher nur angenommen, nicht erkant, nicht ergruͤn- det ſind.
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nicht nach wirklichen Gruͤnden der Wahr-
heit, ſondern nach Vorurtheilen; nicht nach
den innern und weſentlichen Kenzeichen des
Guten und des Boͤſen, ſondern lediglich nach
dem aͤuſſerlichen Schein, nach der in die
Augen fallenden Oberflaͤche der Dinge.
Der den Menſchen uͤberhaupt eigene Hang zur
Bequemlichkeit, und die den Weltleuten beſonders
zur Gewohnheit gewordene leichte und fluͤchtige
Art zu denken, verbunden mit den endloſen Zer-
ſtreuungen ihrer Lebensart, machen es ihnen un-
moͤglich mit ihrer Urtheilskraft in die Natur der
Dinge einzudringen, und die Wahrheit bei ihrem
eigenthuͤmlichen Lichte zu erkennen. Sie begnuͤ-
gen ſich daher in den meiſten Faͤllen, dasjenige,
woruͤber ſie urtheilen wollen, nur nach dem aͤuſ-
ſerlichen Anſehn ins Auge zu faſſen, und es dan an
den Probierſtein ſolcher angeblichen Grundſaͤze zu
halten, welche gemeiniglich entweder nur halb
wahr, oder ganz falſch, in beiden Faͤllen aber ſicher
nur angenommen, nicht erkant, nicht ergruͤn-
det ſind.
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/141>, abgerufen am 23.11.2024.
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