Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.Bescheidenheit, bei jeder Bemerkung ihrer Vor- So, mein Sohn, hat jezt alles seine natür- weit
Beſcheidenheit, bei jeder Bemerkung ihrer Vor- So, mein Sohn, hat jezt alles ſeine natuͤr- weit
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0154" n="124"/> Beſcheidenheit, bei jeder Bemerkung ihrer Vor-<lb/> zuͤge; wil es durchaus nicht an ſich kommen<lb/> laſſen, daß ſie Vorzuͤge beſize; ſpricht hiperbo-<lb/> liſch von ihren Unvolkommenheiten und Schwach-<lb/> heiten, um eben ſo hiperboliſche Lobpreiſungen<lb/> ihrer Volkommenheiten und Tugenden heraus-<lb/> zulokken: der haͤusliche Tiran ſeines Weibes,<lb/> ſeiner Kinder, ſeiner Hausgenoſſen, ſcheint<lb/> auf der Buͤhne der Geſelſchaften der zaͤrtlichſte<lb/> Gatte, der liebreichſte Vater, der guͤtigſte<lb/> und nachſichtsvolſte Hausherr unter der Sonne<lb/> zu ſein; und die haͤusliche Quaͤlerin ihres<lb/> Gatten, die eingefleiſchte Furie in der Kuͤche und<lb/> im Schlafgemach, trit mit der ſanften nachge-<lb/> benden Miene einer frommen Dulderin und mit<lb/> der uͤberſchwenglichen ehelichen Zaͤrtlichkeit einer<lb/> zweiten <hi rendition="#fr">Penelope</hi> auf.</p><lb/> <p>So, mein Sohn, hat jezt alles ſeine natuͤr-<lb/> liche Farbe veraͤndert; ſo haben Leidenſchaften<lb/> und Laſter ſich hinter die Larve ihres Gegentheils<lb/> zu verſtekken gewußt. Jederman wil jezt nur<lb/><hi rendition="#fr">ſcheinen;</hi> um das <hi rendition="#fr">Sein</hi> iſt es keinem mehr zu<lb/> thun. Mit vielen Menſchen iſt es gar ſchon ſo<lb/> <fw place="bottom" type="catch">weit</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [124/0154]
Beſcheidenheit, bei jeder Bemerkung ihrer Vor-
zuͤge; wil es durchaus nicht an ſich kommen
laſſen, daß ſie Vorzuͤge beſize; ſpricht hiperbo-
liſch von ihren Unvolkommenheiten und Schwach-
heiten, um eben ſo hiperboliſche Lobpreiſungen
ihrer Volkommenheiten und Tugenden heraus-
zulokken: der haͤusliche Tiran ſeines Weibes,
ſeiner Kinder, ſeiner Hausgenoſſen, ſcheint
auf der Buͤhne der Geſelſchaften der zaͤrtlichſte
Gatte, der liebreichſte Vater, der guͤtigſte
und nachſichtsvolſte Hausherr unter der Sonne
zu ſein; und die haͤusliche Quaͤlerin ihres
Gatten, die eingefleiſchte Furie in der Kuͤche und
im Schlafgemach, trit mit der ſanften nachge-
benden Miene einer frommen Dulderin und mit
der uͤberſchwenglichen ehelichen Zaͤrtlichkeit einer
zweiten Penelope auf.
So, mein Sohn, hat jezt alles ſeine natuͤr-
liche Farbe veraͤndert; ſo haben Leidenſchaften
und Laſter ſich hinter die Larve ihres Gegentheils
zu verſtekken gewußt. Jederman wil jezt nur
ſcheinen; um das Sein iſt es keinem mehr zu
thun. Mit vielen Menſchen iſt es gar ſchon ſo
weit
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