Und hier kan ich nicht umhin, dich noch ganz besonders vor dem Misbrauche dei- ner etwanigen Ueberlegenheit an Wiz und Verstande zu warnen. Man misbraucht aber beide, wenn man sie dazu anwendet, Schwächere in Verlegenheit zu sezen, sie lächerlich oder wohl gar verächtlich zu machen. Davor hüte dich, mein Sohn, auf das allersorgfältigste, fest über- zeugt, daß Wiz, Scharfsin und Verstand, wenn sie nicht von beständiger Gutmüthigkeit begleitet werden, uns weder Liebe noch wahre Achtung er- werben können. Sie sind ein Messer, welches uns gegeben ward, den Armen am Geist unser Brod zu schneiden, nicht ihnen damit ins Herz zu stoßen. Wehe dem unfreundlichen Besizer derselben, der sie dazu misbrauchen kan! Die Wollust edler Selen -- sich geliebt zu sehen -- wird ihm nie zu Theil werden. Und würden seine wizigen Einfälle auch noch so laut belacht und beklatscht: so wird er doch nie mehr davon haben, als der Pavian, dessen hämische Affenstreiche auch wohl belacht werden, aber
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Und hier kan ich nicht umhin, dich noch ganz beſonders vor dem Misbrauche dei- ner etwanigen Ueberlegenheit an Wiz und Verſtande zu warnen. Man misbraucht aber beide, wenn man ſie dazu anwendet, Schwaͤchere in Verlegenheit zu ſezen, ſie laͤcherlich oder wohl gar veraͤchtlich zu machen. Davor huͤte dich, mein Sohn, auf das allerſorgfaͤltigſte, feſt uͤber- zeugt, daß Wiz, Scharfſin und Verſtand, wenn ſie nicht von beſtaͤndiger Gutmuͤthigkeit begleitet werden, uns weder Liebe noch wahre Achtung er- werben koͤnnen. Sie ſind ein Meſſer, welches uns gegeben ward, den Armen am Geiſt unſer Brod zu ſchneiden, nicht ihnen damit ins Herz zu ſtoßen. Wehe dem unfreundlichen Beſizer derſelben, der ſie dazu misbrauchen kan! Die Wolluſt edler Selen — ſich geliebt zu ſehen — wird ihm nie zu Theil werden. Und wuͤrden ſeine wizigen Einfaͤlle auch noch ſo laut belacht und beklatſcht: ſo wird er doch nie mehr davon haben, als der Pavian, deſſen haͤmiſche Affenſtreiche auch wohl belacht werden, aber
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Und hier kan ich nicht umhin, dich noch
ganz beſonders vor dem Misbrauche dei-
ner etwanigen Ueberlegenheit an Wiz und
Verſtande zu warnen. Man misbraucht aber
beide, wenn man ſie dazu anwendet, Schwaͤchere
in Verlegenheit zu ſezen, ſie laͤcherlich oder wohl
gar veraͤchtlich zu machen. Davor huͤte dich,
mein Sohn, auf das allerſorgfaͤltigſte, feſt uͤber-
zeugt, daß Wiz, Scharfſin und Verſtand, wenn
ſie nicht von beſtaͤndiger Gutmuͤthigkeit begleitet
werden, uns weder Liebe noch wahre Achtung er-
werben koͤnnen. Sie ſind ein Meſſer, welches
uns gegeben ward, den Armen am Geiſt unſer
Brod zu ſchneiden, nicht ihnen damit ins
Herz zu ſtoßen. Wehe dem unfreundlichen
Beſizer derſelben, der ſie dazu misbrauchen kan!
Die Wolluſt edler Selen — ſich geliebt zu
ſehen — wird ihm nie zu Theil werden. Und
wuͤrden ſeine wizigen Einfaͤlle auch noch ſo laut
belacht und beklatſcht: ſo wird er doch nie mehr
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/207>, abgerufen am 23.11.2024.
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