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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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magst du ihm noch so liebreich schreiben, magst
die Sache noch so deutlich auseinandersezen: er
wird demohngeachtet in den unschuldigsten Aus-
drükken neue Reizungen zum Unwillen, in den
faßlichsten Gründen neue Ursache finden, dich der
Ungerechtigkeit gegen ihn zu zeihen: es sei nun,
daß seine Einbildungskraft deinem Gesichte eine
andere Miene, oder deiner Stimme einen andern
Ton, oder deinen Worten eine andere Bedeu-
tung, einen grössern Nachdruk, oder vielleicht
gar nur den unrechten Akzent leihet. Alle diese
Irrungen sind bei geschriebenen Auseinander-
sezungen misverstandener Dinge unvermeidlich,
fallen aber weg, so bald man sich mündlich
darüber bespricht.



Traue nie einseitigen Berichten, sie mö-
gen sich herschreiben, von wem sie wollen.
Fielding
sagt: "ein Mensch sei noch so ehrlich,
so wird doch sein eigener Bericht von seiner Auf-
führung, selbst wider seinen Willen, so vortheil-
haft klingen, daß die Laster gleichsam gereiniget
von seinen Lippen fließen, und gleich einem un-

reinen

magſt du ihm noch ſo liebreich ſchreiben, magſt
die Sache noch ſo deutlich auseinanderſezen: er
wird demohngeachtet in den unſchuldigſten Aus-
druͤkken neue Reizungen zum Unwillen, in den
faßlichſten Gruͤnden neue Urſache finden, dich der
Ungerechtigkeit gegen ihn zu zeihen: es ſei nun,
daß ſeine Einbildungskraft deinem Geſichte eine
andere Miene, oder deiner Stimme einen andern
Ton, oder deinen Worten eine andere Bedeu-
tung, einen groͤſſern Nachdruk, oder vielleicht
gar nur den unrechten Akzent leihet. Alle dieſe
Irrungen ſind bei geſchriebenen Auseinander-
ſezungen misverſtandener Dinge unvermeidlich,
fallen aber weg, ſo bald man ſich muͤndlich
daruͤber beſpricht.



Traue nie einſeitigen Berichten, ſie moͤ-
gen ſich herſchreiben, von wem ſie wollen.
Fielding
ſagt: “ein Menſch ſei noch ſo ehrlich,
ſo wird doch ſein eigener Bericht von ſeiner Auf-
fuͤhrung, ſelbſt wider ſeinen Willen, ſo vortheil-
haft klingen, daß die Laſter gleichſam gereiniget
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[242/0272] magſt du ihm noch ſo liebreich ſchreiben, magſt die Sache noch ſo deutlich auseinanderſezen: er wird demohngeachtet in den unſchuldigſten Aus- druͤkken neue Reizungen zum Unwillen, in den faßlichſten Gruͤnden neue Urſache finden, dich der Ungerechtigkeit gegen ihn zu zeihen: es ſei nun, daß ſeine Einbildungskraft deinem Geſichte eine andere Miene, oder deiner Stimme einen andern Ton, oder deinen Worten eine andere Bedeu- tung, einen groͤſſern Nachdruk, oder vielleicht gar nur den unrechten Akzent leihet. Alle dieſe Irrungen ſind bei geſchriebenen Auseinander- ſezungen misverſtandener Dinge unvermeidlich, fallen aber weg, ſo bald man ſich muͤndlich daruͤber beſpricht. Traue nie einſeitigen Berichten, ſie moͤ- gen ſich herſchreiben, von wem ſie wollen. Fielding ſagt: “ein Menſch ſei noch ſo ehrlich, ſo wird doch ſein eigener Bericht von ſeiner Auf- fuͤhrung, ſelbſt wider ſeinen Willen, ſo vortheil- haft klingen, daß die Laſter gleichſam gereiniget von ſeinen Lippen fließen, und gleich einem un- reinen

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/272>, abgerufen am 22.11.2024.