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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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ken wil, der gleicht jener pralenden, aber kurzen
Lufterscheinung, welche den Glanz eines Fixsterns
nachahmt, aber keine bleibende Stäte hat, und
dahinfahrend in einem Nu! erloschen ist!

Mein Kleon! die Hand aufs Herz, und
wohlbedächtig untersucht, wie es in Ansehung
dieses Einen, welches so sehr noth ist, mit dir
beschaffen sei! -- Bist du dir bewußt, daß die
Liebe zu allem, was wahr und gut und sitlich
schön ist, schon wirklich tiefe unaustilgbare Wur-
zeln in dir geschlagen habe; daß du dich bestrebt
habest, und noch täglich bestrebest, deine Nei-
gungen alle wohl zu ordnen, und der beständigen
Lenkung der Vernunft und des Gewissens zu un-
terwerfen; daß das Laster jeder Art eine so häß-
liche abschrekkende Gestalt in deinen Augen an-
genommen habe, und dein sitliches Gefühl zu-
gleich schon so verfeinert und so geschärft sei, daß
du das, was böse ist, unter jeder noch so reizenden
Larve, durch ein plözliches Gegengefühl erkennen,
und immer verabscheuen, und immer davor zurük-
schaudern wirst; bist du dir endlich des redlichen
Vorsazes bewußt, dich in diesen angefangenen

guten
A 5

ken wil, der gleicht jener pralenden, aber kurzen
Lufterſcheinung, welche den Glanz eines Fixſterns
nachahmt, aber keine bleibende Staͤte hat, und
dahinfahrend in einem Nu! erloſchen iſt!

Mein Kleon! die Hand aufs Herz, und
wohlbedaͤchtig unterſucht, wie es in Anſehung
dieſes Einen, welches ſo ſehr noth iſt, mit dir
beſchaffen ſei! — Biſt du dir bewußt, daß die
Liebe zu allem, was wahr und gut und ſitlich
ſchoͤn iſt, ſchon wirklich tiefe unaustilgbare Wur-
zeln in dir geſchlagen habe; daß du dich beſtrebt
habeſt, und noch taͤglich beſtrebeſt, deine Nei-
gungen alle wohl zu ordnen, und der beſtaͤndigen
Lenkung der Vernunft und des Gewiſſens zu un-
terwerfen; daß das Laſter jeder Art eine ſo haͤß-
liche abſchrekkende Geſtalt in deinen Augen an-
genommen habe, und dein ſitliches Gefuͤhl zu-
gleich ſchon ſo verfeinert und ſo geſchaͤrft ſei, daß
du das, was boͤſe iſt, unter jeder noch ſo reizenden
Larve, durch ein ploͤzliches Gegengefuͤhl erkennen,
und immer verabſcheuen, und immer davor zuruͤk-
ſchaudern wirſt; biſt du dir endlich des redlichen
Vorſazes bewußt, dich in dieſen angefangenen

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[9/0039] ken wil, der gleicht jener pralenden, aber kurzen Lufterſcheinung, welche den Glanz eines Fixſterns nachahmt, aber keine bleibende Staͤte hat, und dahinfahrend in einem Nu! erloſchen iſt! Mein Kleon! die Hand aufs Herz, und wohlbedaͤchtig unterſucht, wie es in Anſehung dieſes Einen, welches ſo ſehr noth iſt, mit dir beſchaffen ſei! — Biſt du dir bewußt, daß die Liebe zu allem, was wahr und gut und ſitlich ſchoͤn iſt, ſchon wirklich tiefe unaustilgbare Wur- zeln in dir geſchlagen habe; daß du dich beſtrebt habeſt, und noch taͤglich beſtrebeſt, deine Nei- gungen alle wohl zu ordnen, und der beſtaͤndigen Lenkung der Vernunft und des Gewiſſens zu un- terwerfen; daß das Laſter jeder Art eine ſo haͤß- liche abſchrekkende Geſtalt in deinen Augen an- genommen habe, und dein ſitliches Gefuͤhl zu- gleich ſchon ſo verfeinert und ſo geſchaͤrft ſei, daß du das, was boͤſe iſt, unter jeder noch ſo reizenden Larve, durch ein ploͤzliches Gegengefuͤhl erkennen, und immer verabſcheuen, und immer davor zuruͤk- ſchaudern wirſt; biſt du dir endlich des redlichen Vorſazes bewußt, dich in dieſen angefangenen guten A 5

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/39>, abgerufen am 02.05.2024.