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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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lich eine Folge des täglichen Genusses starkge-
würzter litterarischer Lekkerbissen, von empfindsa-
men Modegarköchen *) bereitet, wodurch der
geistige Gaum unsrer Jünglinge (wenn ich mich
so ausdrükken darf) nach und nach so sehr ver-
wöhnt wird, daß jede einfache ungekünstelte Haus-
manskost beim ersten Bissen ihnen Widerwillen
und Ekel verursachet! Das ist nicht die Speise,
welche unsern Selenfähigkeiten Wachsthum und
Gedeihen gibt; das daher auch nicht die Leute,
von denen sich der Staat, es sei in welchem Fach
es wolle, irgend einen erheblichen Dienst ver-

sprechen
*) Diese sind es, denen der Vorwurf, welchen
Cicero nur den Dichtern macht, recht eigentlich
mit gebührt: Videsne, poetae quid mali afferant?
Lamentantes inducunt fortissimos viros; molliunt
animos nostros; ita sunt deinde dulces, ut non
legantur modo, sed etiam ediscantur. Sic ad
malam domesticam disciplinam, vitamque um-
bratilem et delicatam quum accesserunt etiam
poetae, nervos omnis virtutis elidunt. Recte igitur
a Platone educuntur ex ea civitate, quam finxit
ille, quum mores optimos et optimum rei pu-
blicae statum exquireret. Tusc. quaest. Lib. 2.

lich eine Folge des taͤglichen Genuſſes ſtarkge-
wuͤrzter litterariſcher Lekkerbiſſen, von empfindſa-
men Modegarkoͤchen *) bereitet, wodurch der
geiſtige Gaum unſrer Juͤnglinge (wenn ich mich
ſo ausdruͤkken darf) nach und nach ſo ſehr ver-
woͤhnt wird, daß jede einfache ungekuͤnſtelte Haus-
manskoſt beim erſten Biſſen ihnen Widerwillen
und Ekel verurſachet! Das iſt nicht die Speiſe,
welche unſern Selenfaͤhigkeiten Wachsthum und
Gedeihen gibt; das daher auch nicht die Leute,
von denen ſich der Staat, es ſei in welchem Fach
es wolle, irgend einen erheblichen Dienſt ver-

ſprechen
*) Dieſe ſind es, denen der Vorwurf, welchen
Cicero nur den Dichtern macht, recht eigentlich
mit gebuͤhrt: Videsne, poetae quid mali afferant?
Lamentantes inducunt fortiſſimos viros; molliunt
animos noſtros; ita ſunt deinde dulces, ut non
legantur modo, ſed etiam ediſcantur. Sic ad
malam domeſticam diſciplinam, vitamque um-
bratilem et delicatam quum acceſſerunt etiam
poetae, nervos omnis virtutis elidunt. Recte igitur
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[61/0091] lich eine Folge des taͤglichen Genuſſes ſtarkge- wuͤrzter litterariſcher Lekkerbiſſen, von empfindſa- men Modegarkoͤchen *) bereitet, wodurch der geiſtige Gaum unſrer Juͤnglinge (wenn ich mich ſo ausdruͤkken darf) nach und nach ſo ſehr ver- woͤhnt wird, daß jede einfache ungekuͤnſtelte Haus- manskoſt beim erſten Biſſen ihnen Widerwillen und Ekel verurſachet! Das iſt nicht die Speiſe, welche unſern Selenfaͤhigkeiten Wachsthum und Gedeihen gibt; das daher auch nicht die Leute, von denen ſich der Staat, es ſei in welchem Fach es wolle, irgend einen erheblichen Dienſt ver- ſprechen *) Dieſe ſind es, denen der Vorwurf, welchen Cicero nur den Dichtern macht, recht eigentlich mit gebuͤhrt: Videsne, poetae quid mali afferant? Lamentantes inducunt fortiſſimos viros; molliunt animos noſtros; ita ſunt deinde dulces, ut non legantur modo, ſed etiam ediſcantur. Sic ad malam domeſticam diſciplinam, vitamque um- bratilem et delicatam quum acceſſerunt etiam poetae, nervos omnis virtutis elidunt. Recte igitur a Platone educuntur ex ea civitate, quam finxit ille, quum mores optimos et optimum rei pu- blicae ſtatum exquireret. Tuſc. quaeſt. Lib. 2.

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/91>, abgerufen am 17.05.2024.