Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.ein ander Wort für Beurtheilungskraft, obgleich Du mußt nie einen besondern Krakter affek- Ich wünschte noch ein bestimteres Wort für Indem wir über Worte sprechen, fält mir den
ein ander Wort fuͤr Beurtheilungskraft, obgleich Du mußt nie einen beſondern Krakter affek- Ich wuͤnſchte noch ein beſtimteres Wort fuͤr Indem wir uͤber Worte ſprechen, faͤlt mir den
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0106" n="100"/> ein ander Wort fuͤr <hi rendition="#fr">Beurtheilungskraft</hi>, obgleich<lb/> nicht voͤllig einerlei mit ihr. Beurtheilungskraft<lb/> wird nicht bei allen Gelegenheiten erfodert, aber<lb/> Zuruͤkhaltung uͤberal.</p><lb/> <p>Du mußt nie einen beſondern Krakter affek-<lb/> tiren oder annehmen; das wuͤrde dir nie anſte-<lb/> hen, ſondern hoͤchſtwahrſcheinlich dich zum Ge-<lb/> laͤchter machen; uͤberlaß es vielmehr deinem<lb/> Betragen, deinen Tugenden, deinen Sitten und<lb/> Manieren, deinen Karakter feſtzuſezen. Zuruͤk-<lb/> haltung wird dich lehren, deine Aufmerkſamkeit<lb/> in einem vorzuͤglichen Grade auf deine Sitten<lb/> zu wenden.</p><lb/> <p>Ich wuͤnſchte noch ein beſtimteres Wort fuͤr<lb/> das was ich ſagen wil. Ich meine damit eigent-<lb/> lich das, was Cicero das <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">decorum</hi></hi> nent.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Indem wir uͤber Worte ſprechen, faͤlt mir<lb/> eine andere noͤthige Regel ein. Studire deine<lb/> Mutterſprache mit mehrerem Fleiß, als die mei-<lb/> ſten Leute thun; erwirb dir die Fertigkeit, dich<lb/> richtig und angenehm in derſelben auszudruͤkken;<lb/> denn nichts iſt widriger, als einen Menſchen aus<lb/> <fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [100/0106]
ein ander Wort fuͤr Beurtheilungskraft, obgleich
nicht voͤllig einerlei mit ihr. Beurtheilungskraft
wird nicht bei allen Gelegenheiten erfodert, aber
Zuruͤkhaltung uͤberal.
Du mußt nie einen beſondern Krakter affek-
tiren oder annehmen; das wuͤrde dir nie anſte-
hen, ſondern hoͤchſtwahrſcheinlich dich zum Ge-
laͤchter machen; uͤberlaß es vielmehr deinem
Betragen, deinen Tugenden, deinen Sitten und
Manieren, deinen Karakter feſtzuſezen. Zuruͤk-
haltung wird dich lehren, deine Aufmerkſamkeit
in einem vorzuͤglichen Grade auf deine Sitten
zu wenden.
Ich wuͤnſchte noch ein beſtimteres Wort fuͤr
das was ich ſagen wil. Ich meine damit eigent-
lich das, was Cicero das decorum nent.
Indem wir uͤber Worte ſprechen, faͤlt mir
eine andere noͤthige Regel ein. Studire deine
Mutterſprache mit mehrerem Fleiß, als die mei-
ſten Leute thun; erwirb dir die Fertigkeit, dich
richtig und angenehm in derſelben auszudruͤkken;
denn nichts iſt widriger, als einen Menſchen aus
den
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