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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

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Nun wolt' ich zwar nicht, daß du deine Be-
kantschaft mit den Alten abläugnetest; weit weni-
ger aber, daß du dich einer vorzüglichen Vertrau-
lichkeit mit ihnen rühmtest. Rede von den
Neuern ohne Verachtung, und von den Alten
ohne Abgötterei. Urtheile von ihnen allen nach
ihren Verdiensten, nicht aber nach ihrer Zeit!
Soltest du von ungefähr einen klassischen Autor
von elzevirischer Ausgabe in der Tasche führen,
so zeige ihn nicht vor, und rede nicht davon!

Einige große Gelehrte hohlen alle ihre Grund-
säze, beides im öffentlichen und gemeinen Leben,
aus dem her, was sie ähnliche Fälle in den
alten Schriftstellern nennen; ohne zu bedenken,
daß in Ansehung des ersten seit Erschaffung der
Welt niemahls zwei Fälle sich gänzlich gleich gewe-
sen sind, und daß in Ansehung des zweiten nie-
mahls von irgend einem Geschichtschreiber ein Fal
mit allen seinen Umständen ordentlich vorgestelt,
oder auch nur gewußt worden ist. Diese Umstände
muß man jedoch wissen, um richtig zu urtheilen.

Erwäge du den Fal selbst mit den dabei befind-
lichen Umständen, und handle darnach, nicht aber

nach
J 5

Nun wolt’ ich zwar nicht, daß du deine Be-
kantſchaft mit den Alten ablaͤugneteſt; weit weni-
ger aber, daß du dich einer vorzuͤglichen Vertrau-
lichkeit mit ihnen ruͤhmteſt. Rede von den
Neuern ohne Verachtung, und von den Alten
ohne Abgoͤtterei. Urtheile von ihnen allen nach
ihren Verdienſten, nicht aber nach ihrer Zeit!
Solteſt du von ungefaͤhr einen klaſſiſchen Autor
von elzeviriſcher Ausgabe in der Taſche fuͤhren,
ſo zeige ihn nicht vor, und rede nicht davon!

Einige große Gelehrte hohlen alle ihre Grund-
ſaͤze, beides im oͤffentlichen und gemeinen Leben,
aus dem her, was ſie aͤhnliche Faͤlle in den
alten Schriftſtellern nennen; ohne zu bedenken,
daß in Anſehung des erſten ſeit Erſchaffung der
Welt niemahls zwei Faͤlle ſich gaͤnzlich gleich gewe-
ſen ſind, und daß in Anſehung des zweiten nie-
mahls von irgend einem Geſchichtſchreiber ein Fal
mit allen ſeinen Umſtaͤnden ordentlich vorgeſtelt,
oder auch nur gewußt worden iſt. Dieſe Umſtaͤnde
muß man jedoch wiſſen, um richtig zu urtheilen.

Erwaͤge du den Fal ſelbſt mit den dabei befind-
lichen Umſtaͤnden, und handle darnach, nicht aber

nach
J 5
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[137/0143] Nun wolt’ ich zwar nicht, daß du deine Be- kantſchaft mit den Alten ablaͤugneteſt; weit weni- ger aber, daß du dich einer vorzuͤglichen Vertrau- lichkeit mit ihnen ruͤhmteſt. Rede von den Neuern ohne Verachtung, und von den Alten ohne Abgoͤtterei. Urtheile von ihnen allen nach ihren Verdienſten, nicht aber nach ihrer Zeit! Solteſt du von ungefaͤhr einen klaſſiſchen Autor von elzeviriſcher Ausgabe in der Taſche fuͤhren, ſo zeige ihn nicht vor, und rede nicht davon! Einige große Gelehrte hohlen alle ihre Grund- ſaͤze, beides im oͤffentlichen und gemeinen Leben, aus dem her, was ſie aͤhnliche Faͤlle in den alten Schriftſtellern nennen; ohne zu bedenken, daß in Anſehung des erſten ſeit Erſchaffung der Welt niemahls zwei Faͤlle ſich gaͤnzlich gleich gewe- ſen ſind, und daß in Anſehung des zweiten nie- mahls von irgend einem Geſchichtſchreiber ein Fal mit allen ſeinen Umſtaͤnden ordentlich vorgeſtelt, oder auch nur gewußt worden iſt. Dieſe Umſtaͤnde muß man jedoch wiſſen, um richtig zu urtheilen. Erwaͤge du den Fal ſelbſt mit den dabei befind- lichen Umſtaͤnden, und handle darnach, nicht aber nach J 5

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/143>, abgerufen am 04.12.2024.