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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

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Ich habe diese Ungereimtheiten von Gelehrten
ohne Urtheilskraft so weit treiben sehen, daß es
mich gar nicht wundern solte, wenn bei einem
unsrer Kriege mit den Galliern irgend ein gelehr-
ter Pedant den Vorschlag thäte, man solte eine
Anzahl Gänse im Tower halten, wegen des
unendlichen Nuzens, den im ähnlichen Falle
die Römer von einer Heerde Gänse im Kapitol
gehabt hätten. Diese Art zu schließen und zu
reden wird stets einen armseeligen Staatsman
und kindischen Marktschreier verrathen.

Noch gibt es eine andre Art von Gelehrten,
die zwar weniger schulgerecht und stolz, aber nicht
weniger ungereimt sind. Das sind die geschwä-
zigen, schimmernden Pedanten, die ihr Gespräch,
selbst mit Frauenzimmern, durch glüklich ange-
brachte Stellen aus dem Griechischen oder Lateini-
schen aufstuzen, und sich mit den Schriftstellern
in beiden Sprachen so gemein machen, daß sie
ihnen gewisse, eine besondere Vertraulichkeit an-
zeigende, Namen oder Beiwörter geben; als, der
Altvater Homer, der schlaue Vogel Horaz,
Maro
anstat Virgil, und Naso anstat Ovid.

Das

Ich habe dieſe Ungereimtheiten von Gelehrten
ohne Urtheilskraft ſo weit treiben ſehen, daß es
mich gar nicht wundern ſolte, wenn bei einem
unſrer Kriege mit den Galliern irgend ein gelehr-
ter Pedant den Vorſchlag thaͤte, man ſolte eine
Anzahl Gaͤnſe im Tower halten, wegen des
unendlichen Nuzens, den im aͤhnlichen Falle
die Roͤmer von einer Heerde Gaͤnſe im Kapitol
gehabt haͤtten. Dieſe Art zu ſchließen und zu
reden wird ſtets einen armſeeligen Staatsman
und kindiſchen Marktſchreier verrathen.

Noch gibt es eine andre Art von Gelehrten,
die zwar weniger ſchulgerecht und ſtolz, aber nicht
weniger ungereimt ſind. Das ſind die geſchwaͤ-
zigen, ſchimmernden Pedanten, die ihr Geſpraͤch,
ſelbſt mit Frauenzimmern, durch gluͤklich ange-
brachte Stellen aus dem Griechiſchen oder Lateini-
ſchen aufſtuzen, und ſich mit den Schriftſtellern
in beiden Sprachen ſo gemein machen, daß ſie
ihnen gewiſſe, eine beſondere Vertraulichkeit an-
zeigende, Namen oder Beiwoͤrter geben; als, der
Altvater Homer, der ſchlaue Vogel Horaz,
Maro
anſtat Virgil, und Naſo anſtat Ovid.

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[139/0145] Ich habe dieſe Ungereimtheiten von Gelehrten ohne Urtheilskraft ſo weit treiben ſehen, daß es mich gar nicht wundern ſolte, wenn bei einem unſrer Kriege mit den Galliern irgend ein gelehr- ter Pedant den Vorſchlag thaͤte, man ſolte eine Anzahl Gaͤnſe im Tower halten, wegen des unendlichen Nuzens, den im aͤhnlichen Falle die Roͤmer von einer Heerde Gaͤnſe im Kapitol gehabt haͤtten. Dieſe Art zu ſchließen und zu reden wird ſtets einen armſeeligen Staatsman und kindiſchen Marktſchreier verrathen. Noch gibt es eine andre Art von Gelehrten, die zwar weniger ſchulgerecht und ſtolz, aber nicht weniger ungereimt ſind. Das ſind die geſchwaͤ- zigen, ſchimmernden Pedanten, die ihr Geſpraͤch, ſelbſt mit Frauenzimmern, durch gluͤklich ange- brachte Stellen aus dem Griechiſchen oder Lateini- ſchen aufſtuzen, und ſich mit den Schriftſtellern in beiden Sprachen ſo gemein machen, daß ſie ihnen gewiſſe, eine beſondere Vertraulichkeit an- zeigende, Namen oder Beiwoͤrter geben; als, der Altvater Homer, der ſchlaue Vogel Horaz, Maro anſtat Virgil, und Naſo anſtat Ovid. Das

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/145>, abgerufen am 04.12.2024.