Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.blos nach Leitung des Vorurtheils und Ansehens Mein erstes Vorurtheil (denn von Vorur- reimte,
blos nach Leitung des Vorurtheils und Anſehens Mein erſtes Vorurtheil (denn von Vorur- reimte,
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0149" n="143"/> blos nach Leitung des Vorurtheils und Anſehens<lb/> andrer betrachtete. Ja, es iſt moͤglich, daß ich<lb/> noch viele Irthuͤmer beibehalten habe, die vermoͤge<lb/> langer Fertigkeit vielleicht zu wirklichen Meinungen<lb/> geworden ſind. Denn es iſt ſehr ſchwer, zei-<lb/> tig erworbne und lange unterhaltene Fertigkeiten<lb/> von den Ausſpruͤchen unſrer Vernunft und der<lb/> Ueberlegung zu unterſcheiden.</p><lb/> <p>Mein erſtes Vorurtheil (denn von Vorur-<lb/> theilen der Kinder und Weiber, als da ſind Ko-<lb/> bolde, Erſcheinungen, Traͤume, u. ſ. w. wil ich<lb/> nicht reden) war meine klaſſiſche Schwaͤrmerei,<lb/> mit der mich die Buͤcher, die ich las, und die<lb/> Lehrer, die mir ſie erkaͤrten, anſtekten. Ich ward<lb/> uͤberzengt, daß ſich ſeit den leztern funfzehn hun-<lb/> dert Jahren kein geſunder Verſtand, keine gemeine<lb/> Ehrlichkeit in der Welt geſunden haͤtte, ſondern<lb/> daß ſie mit den alten griechiſchen und roͤmiſchen<lb/> Reichen voͤllig erloſchen waͤren. <hi rendition="#fr">Homer</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">Virgil</hi> konten keine Fehler haben, weil ſie al<gap unit="chars" quantity="1"/>,<lb/><hi rendition="#fr">Milton</hi> und <hi rendition="#fr">Taſſo</hi> keine Verdienſte, weil ſie neu<lb/> waren. Ich koͤnte in Anſehung der Alten beinah<lb/> das geſagt haben, was <hi rendition="#fr">Cicero</hi>, auf ſehr unge-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">reimte,</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [143/0149]
blos nach Leitung des Vorurtheils und Anſehens
andrer betrachtete. Ja, es iſt moͤglich, daß ich
noch viele Irthuͤmer beibehalten habe, die vermoͤge
langer Fertigkeit vielleicht zu wirklichen Meinungen
geworden ſind. Denn es iſt ſehr ſchwer, zei-
tig erworbne und lange unterhaltene Fertigkeiten
von den Ausſpruͤchen unſrer Vernunft und der
Ueberlegung zu unterſcheiden.
Mein erſtes Vorurtheil (denn von Vorur-
theilen der Kinder und Weiber, als da ſind Ko-
bolde, Erſcheinungen, Traͤume, u. ſ. w. wil ich
nicht reden) war meine klaſſiſche Schwaͤrmerei,
mit der mich die Buͤcher, die ich las, und die
Lehrer, die mir ſie erkaͤrten, anſtekten. Ich ward
uͤberzengt, daß ſich ſeit den leztern funfzehn hun-
dert Jahren kein geſunder Verſtand, keine gemeine
Ehrlichkeit in der Welt geſunden haͤtte, ſondern
daß ſie mit den alten griechiſchen und roͤmiſchen
Reichen voͤllig erloſchen waͤren. Homer und
Virgil konten keine Fehler haben, weil ſie al_,
Milton und Taſſo keine Verdienſte, weil ſie neu
waren. Ich koͤnte in Anſehung der Alten beinah
das geſagt haben, was Cicero, auf ſehr unge-
reimte,
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