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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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3. Murad der I
Anzahl Gefangenen zusammen gebracht, zu den Kriegsübungen angeführet,
und davon eine Schar tapferer Soldaten aufgerichtet, der nur noch der Name
fehlete. Zur selbigen Zeit war ein gewisser andächtiger Türk, mit Namen
Hadschi Bekjtasch 13, wegen seiner Wunder und Weißagungen 14 berühmt (Er
war der Stifter von demjenigen Orden der Derwische 15, der noch heutiges Ta-
ges den Namen Bekjtaschi führet). Diesem schicket der Sultan seine neue Schar
[Spaltenumbruch]
Allah hundert ausmachen: daher bestehen
ihre Tesbih oder Rosenkränze ordentlich aus
hundert Stücken, bey deren iedem sie einen
von den Namen Gottes anrufen. Sie ha-
ben auch eine alte Sage, die sie versichere,
daß derjenige, der diese Namen fleißig anrufe,
die Pforte des Paradieses offen finden solle:
aus welcher Ursache einige von ihnen bestän-
dig mit Ueberzählung ihres Rosenkranzes be-
schäfftiget seyen.]
14 Weißagungen] Die Türken hegen
eine sehr sonderbare Meinung von den Wun-
derwerken und dem Vorherwissen künftiger
Dinge. Die erstern, glauben sie, seyen den
Propheten allein zu thun verliehen worden,
ohne einige vorhergängige Verdienste: das
letztere aber könne ein ieder durch Ausübung
guter Werke erlangen. Wann sie daher be-
haupten, Muhämmed sey ochir Pejgamber
oder der letzte von den Propheten gewesen: so
glauben sie kraft dieses, es sey nach ihm un-
möglich, daß iemand ein Wunderwerk ver-
richten könne. Das Vorherwissen aber künf-
tiger Dinge kann, ihrer Meinung nach, von
einem ieden Müsülman durch beständige Aus-
übung der Tugend, Fasten und Erniedrigung
seiner selbst, erlanget werden: und diejeni-
gen, die diesen hohen Grad der Tugend errei-
chet haben, werden Weli, und in der mehrern
Zahl, Ewlja, beglückte und heilige Freunde
[Spaltenumbruch]
Gottes, und Welii-üllah, Beglückte Gottes,
genennet. Von diesen Personen glauben sie,
daß dieselben an zweenen oder mehrern Orten
zugleich seyn können, so daß, wenn sie schon
dem Leibe nach zu Constantinopel wären, sie
dennoch dem Gemüthe nach alles empfänden,
was zu Kahire oder an irgend einem andern
Orte vorginge: sie hätten daher keine körper-
liche Bewegung des Leibes nöthig, sondern
genössen schon in diesem Leben das selige An-
schauen Gottes. Man nennet solche insge-
mein Etischmischlerden, das ist, zu den Voll-
kommenen Gehörige, oder solche, welche zu
dem völligen Genusse der göttlichen Liebe ge-
langen. Isad Efendi, ein Mann von gro-
ßer Gelehrtheit, hielte eine Zeitlang mit die-
ser harten Uebung an, bis er endlich in eine
solche Schwachheit verfiel, daß er seinen aber-
gläubischen Vorsatz fahren ließ, und genöthi-
get wurde, sich an einen Arzt zu wenden und
sich wieder zu seiner vorigen Gesundheit ver-
helfen zu lassen. Er wurde auch durch die Wis-
senschaft und den Fleiß Sycinius, eines sehr
berühmten Arztes seiner Zeit zu Constanti-
nopel, aus dem Rachen des Todes noch er-
rettet.
15 Derwische] Derwisch* ist der gemei-
ne Name aller türkischen Mönche, ob sie gleich
dem Orden und der Regel nach von einander
unterschieden sind. Die Vornehmsten unter

Soldaten
* [Dieses Wort heißet in der persischen und türkischen Sprache überhaupt einen armen Mann, eben wie
Fakir im Arabischen. Im besondern Verstande aber bedeuten beyde Wörter einen Ordensmann oder
Mönchen.

3. Murad der I
Anzahl Gefangenen zuſammen gebracht, zu den Kriegsuͤbungen angefuͤhret,
und davon eine Schar tapferer Soldaten aufgerichtet, der nur noch der Name
fehlete. Zur ſelbigen Zeit war ein gewiſſer andaͤchtiger Tuͤrk, mit Namen
Hadſchi Bekjtaſch 13, wegen ſeiner Wunder und Weißagungen 14 beruͤhmt (Er
war der Stifter von demjenigen Orden der Derwiſche 15, der noch heutiges Ta-
ges den Namen Bekjtaſchi fuͤhret). Dieſem ſchicket der Sultan ſeine neue Schar
[Spaltenumbruch]
Allah hundert ausmachen: daher beſtehen
ihre Tesbih oder Roſenkraͤnze ordentlich aus
hundert Stuͤcken, bey deren iedem ſie einen
von den Namen Gottes anrufen. Sie ha-
ben auch eine alte Sage, die ſie verſichere,
daß derjenige, der dieſe Namen fleißig anrufe,
die Pforte des Paradieſes offen finden ſolle:
aus welcher Urſache einige von ihnen beſtaͤn-
dig mit Ueberzaͤhlung ihres Roſenkranzes be-
ſchaͤfftiget ſeyen.]
14 Weißagungen] Die Tuͤrken hegen
eine ſehr ſonderbare Meinung von den Wun-
derwerken und dem Vorherwiſſen kuͤnftiger
Dinge. Die erſtern, glauben ſie, ſeyen den
Propheten allein zu thun verliehen worden,
ohne einige vorhergaͤngige Verdienſte: das
letztere aber koͤnne ein ieder durch Ausuͤbung
guter Werke erlangen. Wann ſie daher be-
haupten, Muhaͤmmed ſey ochir Pejgamber
oder der letzte von den Propheten geweſen: ſo
glauben ſie kraft dieſes, es ſey nach ihm un-
moͤglich, daß iemand ein Wunderwerk ver-
richten koͤnne. Das Vorherwiſſen aber kuͤnf-
tiger Dinge kann, ihrer Meinung nach, von
einem ieden Muͤſuͤlman durch beſtaͤndige Aus-
uͤbung der Tugend, Faſten und Erniedrigung
ſeiner ſelbſt, erlanget werden: und diejeni-
gen, die dieſen hohen Grad der Tugend errei-
chet haben, werden Weli, und in der mehrern
Zahl, Ewlja, begluͤckte und heilige Freunde
[Spaltenumbruch]
Gottes, und Welii-uͤllah, Begluͤckte Gottes,
genennet. Von dieſen Perſonen glauben ſie,
daß dieſelben an zweenen oder mehrern Orten
zugleich ſeyn koͤnnen, ſo daß, wenn ſie ſchon
dem Leibe nach zu Conſtantinopel waͤren, ſie
dennoch dem Gemuͤthe nach alles empfaͤnden,
was zu Kahire oder an irgend einem andern
Orte vorginge: ſie haͤtten daher keine koͤrper-
liche Bewegung des Leibes noͤthig, ſondern
genoͤſſen ſchon in dieſem Leben das ſelige An-
ſchauen Gottes. Man nennet ſolche insge-
mein Etiſchmiſchlerden, das iſt, zu den Voll-
kommenen Gehoͤrige, oder ſolche, welche zu
dem voͤlligen Genuſſe der goͤttlichen Liebe ge-
langen. Iſad Efendi, ein Mann von gro-
ßer Gelehrtheit, hielte eine Zeitlang mit die-
ſer harten Uebung an, bis er endlich in eine
ſolche Schwachheit verfiel, daß er ſeinen aber-
glaͤubiſchen Vorſatz fahren ließ, und genoͤthi-
get wurde, ſich an einen Arzt zu wenden und
ſich wieder zu ſeiner vorigen Geſundheit ver-
helfen zu laſſen. Er wurde auch durch die Wiſ-
ſenſchaft und den Fleiß Sycinius, eines ſehr
beruͤhmten Arztes ſeiner Zeit zu Conſtanti-
nopel, aus dem Rachen des Todes noch er-
rettet.
15 Derwiſche] Derwiſch* iſt der gemei-
ne Name aller tuͤrkiſchen Moͤnche, ob ſie gleich
dem Orden und der Regel nach von einander
unterſchieden ſind. Die Vornehmſten unter

Soldaten
* [Dieſes Wort heißet in der perſiſchen und tuͤrkiſchen Sprache uͤberhaupt einen armen Mann, eben wie
Fakir im Arabiſchen. Im beſondern Verſtande aber bedeuten beyde Woͤrter einen Ordensmann oder
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[55/0131] 3. Murad der I Anzahl Gefangenen zuſammen gebracht, zu den Kriegsuͤbungen angefuͤhret, und davon eine Schar tapferer Soldaten aufgerichtet, der nur noch der Name fehlete. Zur ſelbigen Zeit war ein gewiſſer andaͤchtiger Tuͤrk, mit Namen Hadſchi Bekjtaſch ¹³ , wegen ſeiner Wunder und Weißagungen ¹⁴ beruͤhmt (Er war der Stifter von demjenigen Orden der Derwiſche ¹⁵ , der noch heutiges Ta- ges den Namen Bekjtaſchi fuͤhret). Dieſem ſchicket der Sultan ſeine neue Schar Soldaten Allah hundert ausmachen: daher beſtehen ihre Tesbih oder Roſenkraͤnze ordentlich aus hundert Stuͤcken, bey deren iedem ſie einen von den Namen Gottes anrufen. Sie ha- ben auch eine alte Sage, die ſie verſichere, daß derjenige, der dieſe Namen fleißig anrufe, die Pforte des Paradieſes offen finden ſolle: aus welcher Urſache einige von ihnen beſtaͤn- dig mit Ueberzaͤhlung ihres Roſenkranzes be- ſchaͤfftiget ſeyen.] ¹⁴ Weißagungen] Die Tuͤrken hegen eine ſehr ſonderbare Meinung von den Wun- derwerken und dem Vorherwiſſen kuͤnftiger Dinge. Die erſtern, glauben ſie, ſeyen den Propheten allein zu thun verliehen worden, ohne einige vorhergaͤngige Verdienſte: das letztere aber koͤnne ein ieder durch Ausuͤbung guter Werke erlangen. Wann ſie daher be- haupten, Muhaͤmmed ſey ochir Pejgamber oder der letzte von den Propheten geweſen: ſo glauben ſie kraft dieſes, es ſey nach ihm un- moͤglich, daß iemand ein Wunderwerk ver- richten koͤnne. Das Vorherwiſſen aber kuͤnf- tiger Dinge kann, ihrer Meinung nach, von einem ieden Muͤſuͤlman durch beſtaͤndige Aus- uͤbung der Tugend, Faſten und Erniedrigung ſeiner ſelbſt, erlanget werden: und diejeni- gen, die dieſen hohen Grad der Tugend errei- chet haben, werden Weli, und in der mehrern Zahl, Ewlja, begluͤckte und heilige Freunde Gottes, und Welii-uͤllah, Begluͤckte Gottes, genennet. Von dieſen Perſonen glauben ſie, daß dieſelben an zweenen oder mehrern Orten zugleich ſeyn koͤnnen, ſo daß, wenn ſie ſchon dem Leibe nach zu Conſtantinopel waͤren, ſie dennoch dem Gemuͤthe nach alles empfaͤnden, was zu Kahire oder an irgend einem andern Orte vorginge: ſie haͤtten daher keine koͤrper- liche Bewegung des Leibes noͤthig, ſondern genoͤſſen ſchon in dieſem Leben das ſelige An- ſchauen Gottes. Man nennet ſolche insge- mein Etiſchmiſchlerden, das iſt, zu den Voll- kommenen Gehoͤrige, oder ſolche, welche zu dem voͤlligen Genuſſe der goͤttlichen Liebe ge- langen. Iſad Efendi, ein Mann von gro- ßer Gelehrtheit, hielte eine Zeitlang mit die- ſer harten Uebung an, bis er endlich in eine ſolche Schwachheit verfiel, daß er ſeinen aber- glaͤubiſchen Vorſatz fahren ließ, und genoͤthi- get wurde, ſich an einen Arzt zu wenden und ſich wieder zu ſeiner vorigen Geſundheit ver- helfen zu laſſen. Er wurde auch durch die Wiſ- ſenſchaft und den Fleiß Sycinius, eines ſehr beruͤhmten Arztes ſeiner Zeit zu Conſtanti- nopel, aus dem Rachen des Todes noch er- rettet. ¹⁵ Derwiſche] Derwiſch * iſt der gemei- ne Name aller tuͤrkiſchen Moͤnche, ob ſie gleich dem Orden und der Regel nach von einander unterſchieden ſind. Die Vornehmſten unter ihnen * [Dieſes Wort heißet in der perſiſchen und tuͤrkiſchen Sprache uͤberhaupt einen armen Mann, eben wie Fakir im Arabiſchen. Im beſondern Verſtande aber bedeuten beyde Woͤrter einen Ordensmann oder Moͤnchen.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/131>, abgerufen am 21.11.2024.