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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
er aber mit Schimpfe zurückgeschlagen wird, und wohl merket, daß er zu wenig
sey, ihnen zu widerstehen: so ersuchet er Bajeßid um Hülfe, und verspricht
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mehr als ein Beyspiel von dieser Art vor.
Wann der Prinz etwas erwachsen ist: so leh-
ret man ihn sorgfältig das Reiten, mit dem
Bogen zu schießen, die Waffen zu führen,
nebst der ganzen Wissenschaft und Rüstung
des Kriegs, und schicket ihn alsdann wieder
nach Hause. Die Frauenzimmer werden hier
für edel geachtet, wenn sie dünne Finger und
kurze Füße haben. Eine Jungfer hingegen,
welche dick vom Leibe ist und unförmliche Füße
oder Finger hat, und sollte sie auch von noch
so hoher Geburt seyn: wird für unedel gehal-
ten; und wenn sie nicht von sehr großem
Vermögen ist: so hat sie niemals Hoffnung,
einen Mann zu bekommen. Daher, so bald
ein Mädchen sieben Jahre alt ist: so wird
dasselbe in einen eisernen Reif, vier bis fünf
Finger breit, eingeschnallet, und seine Füße
in hölzene Schuhe gespannet; welche beyde
Werkzeuge es tragen muß, bis es völlig er-
wachsen ist. Was also das französische Frau-
enzimmer durch Fischbein und andere Künste
mit nicht geringem Schmerzen zuwege brin-
get: das wird hier ohne die mindeste Be-
schwerlichkeit im zarten Alter erlanget, und
hernach die ganze Lebenszeit hindurch mit Be-
quemlichkeit genossen. Sowol die Knaben
als Mädchen liegen niemals in einem Bette,
sondern auf Brettern oder auf dem Boden,
darauf Heu oder Stroh geleget ist; um zu
verhindern, daß sie nicht fett oder weichlich
werden: weil sie nicht ungeschickt schließen,
daß allezeit Faulheit und Feigherzigkeit damit
verknüpfet sey. Dieses Volk ist so mannfest
und stark, daß, nach dem Geständnisse der
Tatarn selbst, so wie zehen Krimer funfzehen
Budschakiern mehr als zu viel gewachsen sind:
eben so fünf Tscherkassier zehen Krimern über-
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flüssig die Wage halten. Von dieser Tapfer-
keit will ich meinem Leser nur ein Beyspiel
erzählen, das sich vor ungefähr sechs Jahren
zugetragen hat, und denjenigen Thaten nicht
sehr unähnlich ist, dadurch das alte Griechen-
land sich so sehr berühmt gemacht hat. Als
Selim Gjiraj, damaliger Chan in der Krim
(ein Herr von großem Verstande und Tapfer-
keit, und ein alter Kriegesmann), einsmals
den jährlichen Tribut, den man ihm schuldig
war, nicht bezahlt bekam: so sendete er im
folgenden Jahre seinen Sohn Schahbaß Gji-
raj Sultan dahin, die Slawen für beyde
Jahre zu fordern. Dieser wurde mit vieler
Ehrerbietigkeit empfangen, weil er mit keinem
fürchterlichen Gefolge erschien, und erhielte
unverzüglich den Tribut von den Aeltesten ge-
liefert, wie es sich gebührete. Es hatte aber
derselbe von ungefähr eine sehr schöne Tochter
eines Tscherkassiers erblicket; und weil er die-
selbe nicht mit auf der Liste der Slawen sahe:
so nahm er sie, der Gewohnheit zuwider,
mit Gewalt weg und führete sie in sein Haus.
Ihre Brüder, die ein Par recht brave Jüng-
linge waren, verbargen anfangs den Ver-
druß, den sie über diesem Zufalle empfanden,
trösteten ihren Vater und suchten seine Be-
kümmerniß zu stillen, mit dem schmeichlenden
Anscheine, daß dieselbe künftig zu der Ehre
gelangen könne, in des Sultans Bette auf-
genommen zu werden. Sie warteten aber
nur eine bequeme Gelegenheit ab, und bra-
chen endlich unvermuthet in das Haus des
Prinzen ein, als dieser sicher und mit der ge-
raubten Jungfer allein war (denn seine Wa-
che war theils aus einander gegangen, und
theils betrunken), und stießen sowol ihn als ihre
Schwester darnieder, und die Wache brachten sie

demselben,

Osmaniſche Geſchichte
er aber mit Schimpfe zuruͤckgeſchlagen wird, und wohl merket, daß er zu wenig
ſey, ihnen zu widerſtehen: ſo erſuchet er Bajeßid um Huͤlfe, und verſpricht
[Spaltenumbruch]
mehr als ein Beyſpiel von dieſer Art vor.
Wann der Prinz etwas erwachſen iſt: ſo leh-
ret man ihn ſorgfaͤltig das Reiten, mit dem
Bogen zu ſchießen, die Waffen zu fuͤhren,
nebſt der ganzen Wiſſenſchaft und Ruͤſtung
des Kriegs, und ſchicket ihn alsdann wieder
nach Hauſe. Die Frauenzimmer werden hier
fuͤr edel geachtet, wenn ſie duͤnne Finger und
kurze Fuͤße haben. Eine Jungfer hingegen,
welche dick vom Leibe iſt und unfoͤrmliche Fuͤße
oder Finger hat, und ſollte ſie auch von noch
ſo hoher Geburt ſeyn: wird fuͤr unedel gehal-
ten; und wenn ſie nicht von ſehr großem
Vermoͤgen iſt: ſo hat ſie niemals Hoffnung,
einen Mann zu bekommen. Daher, ſo bald
ein Maͤdchen ſieben Jahre alt iſt: ſo wird
daſſelbe in einen eiſernen Reif, vier bis fuͤnf
Finger breit, eingeſchnallet, und ſeine Fuͤße
in hoͤlzene Schuhe geſpannet; welche beyde
Werkzeuge es tragen muß, bis es voͤllig er-
wachſen iſt. Was alſo das franzoͤſiſche Frau-
enzimmer durch Fiſchbein und andere Kuͤnſte
mit nicht geringem Schmerzen zuwege brin-
get: das wird hier ohne die mindeſte Be-
ſchwerlichkeit im zarten Alter erlanget, und
hernach die ganze Lebenszeit hindurch mit Be-
quemlichkeit genoſſen. Sowol die Knaben
als Maͤdchen liegen niemals in einem Bette,
ſondern auf Brettern oder auf dem Boden,
darauf Heu oder Stroh geleget iſt; um zu
verhindern, daß ſie nicht fett oder weichlich
werden: weil ſie nicht ungeſchickt ſchließen,
daß allezeit Faulheit und Feigherzigkeit damit
verknuͤpfet ſey. Dieſes Volk iſt ſo mannfeſt
und ſtark, daß, nach dem Geſtaͤndniſſe der
Tatarn ſelbſt, ſo wie zehen Krimer funfzehen
Budſchakiern mehr als zu viel gewachſen ſind:
eben ſo fuͤnf Tſcherkaſſier zehen Krimern uͤber-
[Spaltenumbruch]
fluͤſſig die Wage halten. Von dieſer Tapfer-
keit will ich meinem Leſer nur ein Beyſpiel
erzaͤhlen, das ſich vor ungefaͤhr ſechs Jahren
zugetragen hat, und denjenigen Thaten nicht
ſehr unaͤhnlich iſt, dadurch das alte Griechen-
land ſich ſo ſehr beruͤhmt gemacht hat. Als
Selim Gjiraj, damaliger Chan in der Krim
(ein Herr von großem Verſtande und Tapfer-
keit, und ein alter Kriegesmann), einsmals
den jaͤhrlichen Tribut, den man ihm ſchuldig
war, nicht bezahlt bekam: ſo ſendete er im
folgenden Jahre ſeinen Sohn Schahbaß Gji-
raj Sultan dahin, die Slawen fuͤr beyde
Jahre zu fordern. Dieſer wurde mit vieler
Ehrerbietigkeit empfangen, weil er mit keinem
fuͤrchterlichen Gefolge erſchien, und erhielte
unverzuͤglich den Tribut von den Aelteſten ge-
liefert, wie es ſich gebuͤhrete. Es hatte aber
derſelbe von ungefaͤhr eine ſehr ſchoͤne Tochter
eines Tſcherkaſſiers erblicket; und weil er die-
ſelbe nicht mit auf der Liſte der Slawen ſahe:
ſo nahm er ſie, der Gewohnheit zuwider,
mit Gewalt weg und fuͤhrete ſie in ſein Haus.
Ihre Bruͤder, die ein Par recht brave Juͤng-
linge waren, verbargen anfangs den Ver-
druß, den ſie uͤber dieſem Zufalle empfanden,
troͤſteten ihren Vater und ſuchten ſeine Be-
kuͤmmerniß zu ſtillen, mit dem ſchmeichlenden
Anſcheine, daß dieſelbe kuͤnftig zu der Ehre
gelangen koͤnne, in des Sultans Bette auf-
genommen zu werden. Sie warteten aber
nur eine bequeme Gelegenheit ab, und bra-
chen endlich unvermuthet in das Haus des
Prinzen ein, als dieſer ſicher und mit der ge-
raubten Jungfer allein war (denn ſeine Wa-
che war theils aus einander gegangen, und
theils betrunken), und ſtießen ſowol ihn als ihre
Schweſter darnieder, und die Wache brachten ſie

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[188/0274] Osmaniſche Geſchichte er aber mit Schimpfe zuruͤckgeſchlagen wird, und wohl merket, daß er zu wenig ſey, ihnen zu widerſtehen: ſo erſuchet er Bajeßid um Huͤlfe, und verſpricht demſelben, mehr als ein Beyſpiel von dieſer Art vor. Wann der Prinz etwas erwachſen iſt: ſo leh- ret man ihn ſorgfaͤltig das Reiten, mit dem Bogen zu ſchießen, die Waffen zu fuͤhren, nebſt der ganzen Wiſſenſchaft und Ruͤſtung des Kriegs, und ſchicket ihn alsdann wieder nach Hauſe. Die Frauenzimmer werden hier fuͤr edel geachtet, wenn ſie duͤnne Finger und kurze Fuͤße haben. Eine Jungfer hingegen, welche dick vom Leibe iſt und unfoͤrmliche Fuͤße oder Finger hat, und ſollte ſie auch von noch ſo hoher Geburt ſeyn: wird fuͤr unedel gehal- ten; und wenn ſie nicht von ſehr großem Vermoͤgen iſt: ſo hat ſie niemals Hoffnung, einen Mann zu bekommen. Daher, ſo bald ein Maͤdchen ſieben Jahre alt iſt: ſo wird daſſelbe in einen eiſernen Reif, vier bis fuͤnf Finger breit, eingeſchnallet, und ſeine Fuͤße in hoͤlzene Schuhe geſpannet; welche beyde Werkzeuge es tragen muß, bis es voͤllig er- wachſen iſt. Was alſo das franzoͤſiſche Frau- enzimmer durch Fiſchbein und andere Kuͤnſte mit nicht geringem Schmerzen zuwege brin- get: das wird hier ohne die mindeſte Be- ſchwerlichkeit im zarten Alter erlanget, und hernach die ganze Lebenszeit hindurch mit Be- quemlichkeit genoſſen. Sowol die Knaben als Maͤdchen liegen niemals in einem Bette, ſondern auf Brettern oder auf dem Boden, darauf Heu oder Stroh geleget iſt; um zu verhindern, daß ſie nicht fett oder weichlich werden: weil ſie nicht ungeſchickt ſchließen, daß allezeit Faulheit und Feigherzigkeit damit verknuͤpfet ſey. Dieſes Volk iſt ſo mannfeſt und ſtark, daß, nach dem Geſtaͤndniſſe der Tatarn ſelbſt, ſo wie zehen Krimer funfzehen Budſchakiern mehr als zu viel gewachſen ſind: eben ſo fuͤnf Tſcherkaſſier zehen Krimern uͤber- fluͤſſig die Wage halten. Von dieſer Tapfer- keit will ich meinem Leſer nur ein Beyſpiel erzaͤhlen, das ſich vor ungefaͤhr ſechs Jahren zugetragen hat, und denjenigen Thaten nicht ſehr unaͤhnlich iſt, dadurch das alte Griechen- land ſich ſo ſehr beruͤhmt gemacht hat. Als Selim Gjiraj, damaliger Chan in der Krim (ein Herr von großem Verſtande und Tapfer- keit, und ein alter Kriegesmann), einsmals den jaͤhrlichen Tribut, den man ihm ſchuldig war, nicht bezahlt bekam: ſo ſendete er im folgenden Jahre ſeinen Sohn Schahbaß Gji- raj Sultan dahin, die Slawen fuͤr beyde Jahre zu fordern. Dieſer wurde mit vieler Ehrerbietigkeit empfangen, weil er mit keinem fuͤrchterlichen Gefolge erſchien, und erhielte unverzuͤglich den Tribut von den Aelteſten ge- liefert, wie es ſich gebuͤhrete. Es hatte aber derſelbe von ungefaͤhr eine ſehr ſchoͤne Tochter eines Tſcherkaſſiers erblicket; und weil er die- ſelbe nicht mit auf der Liſte der Slawen ſahe: ſo nahm er ſie, der Gewohnheit zuwider, mit Gewalt weg und fuͤhrete ſie in ſein Haus. Ihre Bruͤder, die ein Par recht brave Juͤng- linge waren, verbargen anfangs den Ver- druß, den ſie uͤber dieſem Zufalle empfanden, troͤſteten ihren Vater und ſuchten ſeine Be- kuͤmmerniß zu ſtillen, mit dem ſchmeichlenden Anſcheine, daß dieſelbe kuͤnftig zu der Ehre gelangen koͤnne, in des Sultans Bette auf- genommen zu werden. Sie warteten aber nur eine bequeme Gelegenheit ab, und bra- chen endlich unvermuthet in das Haus des Prinzen ein, als dieſer ſicher und mit der ge- raubten Jungfer allein war (denn ſeine Wa- che war theils aus einander gegangen, und theils betrunken), und ſtießen ſowol ihn als ihre Schweſter darnieder, und die Wache brachten ſie um,

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/274>, abgerufen am 22.11.2024.