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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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9. Selim der I
Dabey er hinzusetzte: "Es ist unrecht, Leute zu Gefangenen zu machen, welche
"Sünni 13 und zum Kriege gezwungen worden sind; der Sieg ist schon genug,
"und gegen Ueberwundene soll man eher Gelindigkeit, als Grausamkeit wal-
"ten lassen. Was den Schah betrifft: so mag derselbe an diesem Vorspiele
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selben einholen: so ziehen sie ihre Säbel aus,
und begehren, daß sie absteigen sollen. Es
war vergebens, daß die Türken sie fragten;
was sie haben wollten: sondern sie wurden
gleich von ihnen mit Riemen gebunden, bis
aufs Hemde ausgezogen, und ihnen gedro-
het, sie umzubringen, wenn sie nicht thäten,
was man ihnen befehlen würde. Durch diese
unvermuthete und augenscheinliche Gefahr
werden sie in solches Schrecken gesetzet, daß
sie versprechen, alles zu thun, was man von
ihnen verlangte. Zum Anfange also peitschen
die Tatarn ihre Gefangenen ganz unbarmher-
zig aus: hierauf scheren sie ihnen sowol die
Spitz- als Knebelbärte ab, und lehren sie,
daß sie auf die Frage; was seyd ihr für Lands-
leute? in russischer Sprache antworten sollen;
ne snaju, ja Rußiak; "ich weis nicht, ich
"bin ein Russe." Nachdem sie dieselben
solchergestalt unterrichtet haben: so bringen
sie ihre Türken einige Tage hernach, die Hände
auf den Rücken gebunden, nach Ismäil, einer
Stadt in Budschak an der Donau gelegen,
und quälen sie die ganze Nacht grausam, da-
mit sie nicht entdecken sollten, daß sie Türken
wären. Sie müssen ihnen schweren, es zu
verhehlen, und hierauf stellen sie die Tatarn
des andern Tages zum Verkaufe aus. Als
die Slawenhändler (denn es giebt viele Leute
an diesem Orte, welche Slawen für die Tür-
ken kaufen, und sie ihren Handelsgenos-
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sen zu Constantinopel zuschicken) dieselben
fragen, was sie für Landsleute seyen: so zuc-
ken die Tatarn gleich ihre Peitschen gegen ihre
Gefangenen, damit sie sich der empfangenen
Streiche erinnern und russisch sprechen möch-
ten. Die Tatarn verkaufen also dieselben, für
zehen Reichsthaler den Kopf (denn sie begehr-
ten kein großes Geld für solche schlechte Wa-
re), und kehren ungesäumt wieder nach Hau-
se. Innerhalb zwoer bis dreyer Stunden
fangen die Gefangenen an rein türkisch zu
sprechen, und bitten um Gottes willen etwas
zu essen und zu trinken. Die Kaufleute er-
staunen, da sie die reine türkische Mundart
hören (denn diese ist für die Russen unge-
mein schwer auszusprechen), und fragen sie:
wie sie doch, als in Rußland Geborne, dazu
gekommen wären, daß sie so schön türkisch
sprächen? Die Türken weisen ihnen die
Striemen von den empfangenen Streichen,
und sagen: Dieses ist es, was uns, durch die
Arglist der Tatarn, aus Türken in Russen
verwandelt hat. Endlich befanden die Kauf-
leute, daß sie Türken für Russen gekauft hat-
ten, und also ihres Geldes verlustig waren,
und geben ihnen ihre Freyheit wieder. Der
Officier aber, Ismäil Aga, ein Mann von
Witz und munteren Einfällen, verlanget von
seinem Käufer, daß er ihn als einen Slawen
nach Babadagi (da der Seräskjer auf seine
Wiederkunft wartete) führen, und daselbst

"von
men um Bassera herum, das sonst Johanneschristen heißet, und dessen Religion aus dem Christen-
thum und Muhämmedenthum zusammengesetzet ist. Sie sind eine von denen, welchen Muhämmed
in seinem Kuron Schutz zu geben versprochen hat, und darunter auch die Christen, die von ihnen
Näsrani genennet werden, begriffen sind. Daß aber beyde von ihnen für Sünni erkennet werden
sollten: können wir nicht finden.

9. Selim der I
Dabey er hinzuſetzte: “Es iſt unrecht, Leute zu Gefangenen zu machen, welche
“Suͤnni 13 und zum Kriege gezwungen worden ſind; der Sieg iſt ſchon genug,
“und gegen Ueberwundene ſoll man eher Gelindigkeit, als Grauſamkeit wal-
“ten laſſen. Was den Schah betrifft: ſo mag derſelbe an dieſem Vorſpiele
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ſelben einholen: ſo ziehen ſie ihre Saͤbel aus,
und begehren, daß ſie abſteigen ſollen. Es
war vergebens, daß die Tuͤrken ſie fragten;
was ſie haben wollten: ſondern ſie wurden
gleich von ihnen mit Riemen gebunden, bis
aufs Hemde ausgezogen, und ihnen gedro-
het, ſie umzubringen, wenn ſie nicht thaͤten,
was man ihnen befehlen wuͤrde. Durch dieſe
unvermuthete und augenſcheinliche Gefahr
werden ſie in ſolches Schrecken geſetzet, daß
ſie verſprechen, alles zu thun, was man von
ihnen verlangte. Zum Anfange alſo peitſchen
die Tatarn ihre Gefangenen ganz unbarmher-
zig aus: hierauf ſcheren ſie ihnen ſowol die
Spitz- als Knebelbaͤrte ab, und lehren ſie,
daß ſie auf die Frage; was ſeyd ihr fuͤr Lands-
leute? in ruſſiſcher Sprache antworten ſollen;
ne ſnaju, ja Rußiak; “ich weis nicht, ich
“bin ein Ruſſe.„ Nachdem ſie dieſelben
ſolchergeſtalt unterrichtet haben: ſo bringen
ſie ihre Tuͤrken einige Tage hernach, die Haͤnde
auf den Ruͤcken gebunden, nach Ismaͤil, einer
Stadt in Budſchak an der Donau gelegen,
und quaͤlen ſie die ganze Nacht grauſam, da-
mit ſie nicht entdecken ſollten, daß ſie Tuͤrken
waͤren. Sie muͤſſen ihnen ſchweren, es zu
verhehlen, und hierauf ſtellen ſie die Tatarn
des andern Tages zum Verkaufe aus. Als
die Slawenhaͤndler (denn es giebt viele Leute
an dieſem Orte, welche Slawen fuͤr die Tuͤr-
ken kaufen, und ſie ihren Handelsgenoſ-
[Spaltenumbruch]
ſen zu Conſtantinopel zuſchicken) dieſelben
fragen, was ſie fuͤr Landsleute ſeyen: ſo zuc-
ken die Tatarn gleich ihre Peitſchen gegen ihre
Gefangenen, damit ſie ſich der empfangenen
Streiche erinnern und ruſſiſch ſprechen moͤch-
ten. Die Tatarn verkaufen alſo dieſelben, fuͤr
zehen Reichsthaler den Kopf (denn ſie begehr-
ten kein großes Geld fuͤr ſolche ſchlechte Wa-
re), und kehren ungeſaͤumt wieder nach Hau-
ſe. Innerhalb zwoer bis dreyer Stunden
fangen die Gefangenen an rein tuͤrkiſch zu
ſprechen, und bitten um Gottes willen etwas
zu eſſen und zu trinken. Die Kaufleute er-
ſtaunen, da ſie die reine tuͤrkiſche Mundart
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mein ſchwer auszuſprechen), und fragen ſie:
wie ſie doch, als in Rußland Geborne, dazu
gekommen waͤren, daß ſie ſo ſchoͤn tuͤrkiſch
ſpraͤchen? Die Tuͤrken weiſen ihnen die
Striemen von den empfangenen Streichen,
und ſagen: Dieſes iſt es, was uns, durch die
Argliſt der Tatarn, aus Tuͤrken in Ruſſen
verwandelt hat. Endlich befanden die Kauf-
leute, daß ſie Tuͤrken fuͤr Ruſſen gekauft hat-
ten, und alſo ihres Geldes verluſtig waren,
und geben ihnen ihre Freyheit wieder. Der
Officier aber, Ismaͤil Aga, ein Mann von
Witz und munteren Einfaͤllen, verlanget von
ſeinem Kaͤufer, daß er ihn als einen Slawen
nach Babadagi (da der Seraͤskjer auf ſeine
Wiederkunft wartete) fuͤhren, und daſelbſt

“von
men um Baſſera herum, das ſonſt Johanneschriſten heißet, und deſſen Religion aus dem Chriſten-
thum und Muhaͤmmedenthum zuſammengeſetzet iſt. Sie ſind eine von denen, welchen Muhaͤmmed
in ſeinem Kuron Schutz zu geben verſprochen hat, und darunter auch die Chriſten, die von ihnen
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[223/0311] 9. Selim der I Dabey er hinzuſetzte: “Es iſt unrecht, Leute zu Gefangenen zu machen, welche “Suͤnni ¹³ und zum Kriege gezwungen worden ſind; der Sieg iſt ſchon genug, “und gegen Ueberwundene ſoll man eher Gelindigkeit, als Grauſamkeit wal- “ten laſſen. Was den Schah betrifft: ſo mag derſelbe an dieſem Vorſpiele “von * ſelben einholen: ſo ziehen ſie ihre Saͤbel aus, und begehren, daß ſie abſteigen ſollen. Es war vergebens, daß die Tuͤrken ſie fragten; was ſie haben wollten: ſondern ſie wurden gleich von ihnen mit Riemen gebunden, bis aufs Hemde ausgezogen, und ihnen gedro- het, ſie umzubringen, wenn ſie nicht thaͤten, was man ihnen befehlen wuͤrde. Durch dieſe unvermuthete und augenſcheinliche Gefahr werden ſie in ſolches Schrecken geſetzet, daß ſie verſprechen, alles zu thun, was man von ihnen verlangte. Zum Anfange alſo peitſchen die Tatarn ihre Gefangenen ganz unbarmher- zig aus: hierauf ſcheren ſie ihnen ſowol die Spitz- als Knebelbaͤrte ab, und lehren ſie, daß ſie auf die Frage; was ſeyd ihr fuͤr Lands- leute? in ruſſiſcher Sprache antworten ſollen; ne ſnaju, ja Rußiak; “ich weis nicht, ich “bin ein Ruſſe.„ Nachdem ſie dieſelben ſolchergeſtalt unterrichtet haben: ſo bringen ſie ihre Tuͤrken einige Tage hernach, die Haͤnde auf den Ruͤcken gebunden, nach Ismaͤil, einer Stadt in Budſchak an der Donau gelegen, und quaͤlen ſie die ganze Nacht grauſam, da- mit ſie nicht entdecken ſollten, daß ſie Tuͤrken waͤren. Sie muͤſſen ihnen ſchweren, es zu verhehlen, und hierauf ſtellen ſie die Tatarn des andern Tages zum Verkaufe aus. Als die Slawenhaͤndler (denn es giebt viele Leute an dieſem Orte, welche Slawen fuͤr die Tuͤr- ken kaufen, und ſie ihren Handelsgenoſ- ſen zu Conſtantinopel zuſchicken) dieſelben fragen, was ſie fuͤr Landsleute ſeyen: ſo zuc- ken die Tatarn gleich ihre Peitſchen gegen ihre Gefangenen, damit ſie ſich der empfangenen Streiche erinnern und ruſſiſch ſprechen moͤch- ten. Die Tatarn verkaufen alſo dieſelben, fuͤr zehen Reichsthaler den Kopf (denn ſie begehr- ten kein großes Geld fuͤr ſolche ſchlechte Wa- re), und kehren ungeſaͤumt wieder nach Hau- ſe. Innerhalb zwoer bis dreyer Stunden fangen die Gefangenen an rein tuͤrkiſch zu ſprechen, und bitten um Gottes willen etwas zu eſſen und zu trinken. Die Kaufleute er- ſtaunen, da ſie die reine tuͤrkiſche Mundart hoͤren (denn dieſe iſt fuͤr die Ruſſen unge- mein ſchwer auszuſprechen), und fragen ſie: wie ſie doch, als in Rußland Geborne, dazu gekommen waͤren, daß ſie ſo ſchoͤn tuͤrkiſch ſpraͤchen? Die Tuͤrken weiſen ihnen die Striemen von den empfangenen Streichen, und ſagen: Dieſes iſt es, was uns, durch die Argliſt der Tatarn, aus Tuͤrken in Ruſſen verwandelt hat. Endlich befanden die Kauf- leute, daß ſie Tuͤrken fuͤr Ruſſen gekauft hat- ten, und alſo ihres Geldes verluſtig waren, und geben ihnen ihre Freyheit wieder. Der Officier aber, Ismaͤil Aga, ein Mann von Witz und munteren Einfaͤllen, verlanget von ſeinem Kaͤufer, daß er ihn als einen Slawen nach Babadagi (da der Seraͤskjer auf ſeine Wiederkunft wartete) fuͤhren, und daſelbſt auf * men um Baſſera herum, das ſonſt Johanneschriſten heißet, und deſſen Religion aus dem Chriſten- thum und Muhaͤmmedenthum zuſammengeſetzet iſt. Sie ſind eine von denen, welchen Muhaͤmmed in ſeinem Kuron Schutz zu geben verſprochen hat, und darunter auch die Chriſten, die von ihnen Naͤsrani genennet werden, begriffen ſind. Daß aber beyde von ihnen fuͤr Suͤnni erkennet werden ſollten: koͤnnen wir nicht finden.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/311>, abgerufen am 22.11.2024.