Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

Bild:
<< vorherige Seite

Osmanische Geschichte
hire aufhielte, die Schlüssel von seiner Stadt, und erkennete öffentlich die Ober-
herrschaft desselben. Selim empfing ihn mit vieler Höflichkeit, und verordnete
desselben Sohn, der wegen seiner Tugend, Gottseligkeit und Wissenschaft be-
[Spaltenumbruch]
49 Beni Ibrahim] Es sind über sie-
benzig Völker oder Stämme, von unterschie-
denen Linien entsprossen, die iedoch allesamt
sich der Abkunft von Abraham rühmen, und
in den weitläuftigen Wüsten von Arabien
herumschweifen, und darinnen ihre ungewis-
sen Wohnungen haben. Sie reden alle ara-
bisch; aber nach so verschiedenen Mundarten,
daß sie einander kaum verstehen können.
Daher saget man mit Rechte, daß die arabi-
sche Sprache die allerweitläuftigste, und fast
unendlich sey. Denn eines und dasselbe Wort
heißet hundert Dinge, von ganz unterschie-
denen Wesen: und eines und dasselbe Ding
wird durch eben so viele Wörter ausgedrücket,
die nicht die geringste Verwandschaft mit ein-
ander haben. So ist auch noch über dieses
kaum eine Eigenschaft oder Beschaffenheit an
einem Dinge zu finden, die der Sache, daran
sie sich befindet, nicht eine besondere Benen-
nung zuwege bringet. Meninskis Schatz
der morgenländischen Sprachen giebt unzäh-
lige Beyspiele davon an die Hand, die abzu-
schreiben unser gegenwärtiges Vorhaben nicht
gestattet. Aus den Blümchen aller dieser
Mundarten nun ist der Kuron zusammen-
gesetzt: und daher kommt es, daß die An-
hänger desselben glauben, er sey nicht in einer
menschlichen, sondern göttlichen Sprache ge-
schrieben. Denn keiner von allen diesen
Stämmen ist im Stande, ihn ganz zu ver-
stehen: und eben so wenig kann der Gelehr-
teste unter den Arabern sich rühmen, daß er
alle Wörter darinnen zu erklären wüßte.
Sie setzen bey dieser Sache noch eine lustige
Geschichte hinzu, die bey ihnen festiglich ge-
glaubet wird. Sie sagen, zu Muhämmeds
[Spaltenumbruch]
Zeiten sey die arabische Sprache zu ihrer größ-
ten Vollkommenheit gekommen gewesen: und
es haben damals witzige Poeten gelebet, die,
nach Art der olympischen Spiele, allezeit,
wann einer einen scharfsinnigen Doppelvers
vorgebracht, denselben an eine Säule geheftet,
die zu dem Ende auf dem Markte aufgerichtet
gewesen. Hiernächst habe man einem andern
Dichter drey Monate Zeit gegeben, mit einem
darauf passenden Doppelverse, Näßir genen-
net, jenem zu antworten. An dem bestimm-
ten Tage seyen alle Poeten zusammengekom-
men, und haben, nach angestellter Untersu-
chung beyderley Verse, demjenigen den Vor-
zug zuerkennet, dessen Vers den größten Bey-
fall gefunden, ihn den Fürsten unter den Poe-
ten genennet, und demselben einen neuen
Mächläs oder Zunamen beygeleget. Mu-
hämmed habe sich der Gelegenheit dieser Ge-
wohnheit bedienet, und auch einen von den
Näßm oder Versen des Kurons an die Säule
angeschlagen, mit dessen Beantwortung sich
alle Poeten ganzer neun Monate lang bemü-
het: der Sieg aber sey einstimmig Muhäm-
med beygeleget, dessen Verse für von Gott
eingegebene erkläret, und seine Lehre, von der
Zeit an, angenommen worden.
50 vielen andern] Unter den übrigen
befanden sich auch die Mönche, die an dem
Berge Sinaj wohnen. Von diesen wird eine
sehr sonderbare Begebenheit erzählet: und da
derselben, so viel ich weis, sonst nirgends,
als in einem gewissen fabelhaften Buche von
den sinaischen Mönchen, gedacht wird; so
will ich sie hier einschalten. Man saget,
wiewol auf eine fabelhafte Weise: Muhäm-

rühmt

Osmaniſche Geſchichte
hire aufhielte, die Schluͤſſel von ſeiner Stadt, und erkennete oͤffentlich die Ober-
herrſchaft deſſelben. Selim empfing ihn mit vieler Hoͤflichkeit, und verordnete
deſſelben Sohn, der wegen ſeiner Tugend, Gottſeligkeit und Wiſſenſchaft be-
[Spaltenumbruch]
49 Beni Ibrahim] Es ſind uͤber ſie-
benzig Voͤlker oder Staͤmme, von unterſchie-
denen Linien entſproſſen, die iedoch alleſamt
ſich der Abkunft von Abraham ruͤhmen, und
in den weitlaͤuftigen Wuͤſten von Arabien
herumſchweifen, und darinnen ihre ungewiſ-
ſen Wohnungen haben. Sie reden alle ara-
biſch; aber nach ſo verſchiedenen Mundarten,
daß ſie einander kaum verſtehen koͤnnen.
Daher ſaget man mit Rechte, daß die arabi-
ſche Sprache die allerweitlaͤuftigſte, und faſt
unendlich ſey. Denn eines und daſſelbe Wort
heißet hundert Dinge, von ganz unterſchie-
denen Weſen: und eines und daſſelbe Ding
wird durch eben ſo viele Woͤrter ausgedruͤcket,
die nicht die geringſte Verwandſchaft mit ein-
ander haben. So iſt auch noch uͤber dieſes
kaum eine Eigenſchaft oder Beſchaffenheit an
einem Dinge zu finden, die der Sache, daran
ſie ſich befindet, nicht eine beſondere Benen-
nung zuwege bringet. Meninſkis Schatz
der morgenlaͤndiſchen Sprachen giebt unzaͤh-
lige Beyſpiele davon an die Hand, die abzu-
ſchreiben unſer gegenwaͤrtiges Vorhaben nicht
geſtattet. Aus den Bluͤmchen aller dieſer
Mundarten nun iſt der Kuron zuſammen-
geſetzt: und daher kommt es, daß die An-
haͤnger deſſelben glauben, er ſey nicht in einer
menſchlichen, ſondern goͤttlichen Sprache ge-
ſchrieben. Denn keiner von allen dieſen
Staͤmmen iſt im Stande, ihn ganz zu ver-
ſtehen: und eben ſo wenig kann der Gelehr-
teſte unter den Arabern ſich ruͤhmen, daß er
alle Woͤrter darinnen zu erklaͤren wuͤßte.
Sie ſetzen bey dieſer Sache noch eine luſtige
Geſchichte hinzu, die bey ihnen feſtiglich ge-
glaubet wird. Sie ſagen, zu Muhaͤmmeds
[Spaltenumbruch]
Zeiten ſey die arabiſche Sprache zu ihrer groͤß-
ten Vollkommenheit gekommen geweſen: und
es haben damals witzige Poeten gelebet, die,
nach Art der olympiſchen Spiele, allezeit,
wann einer einen ſcharfſinnigen Doppelvers
vorgebracht, denſelben an eine Saͤule geheftet,
die zu dem Ende auf dem Markte aufgerichtet
geweſen. Hiernaͤchſt habe man einem andern
Dichter drey Monate Zeit gegeben, mit einem
darauf paſſenden Doppelverſe, Naͤßir genen-
net, jenem zu antworten. An dem beſtimm-
ten Tage ſeyen alle Poeten zuſammengekom-
men, und haben, nach angeſtellter Unterſu-
chung beyderley Verſe, demjenigen den Vor-
zug zuerkennet, deſſen Vers den groͤßten Bey-
fall gefunden, ihn den Fuͤrſten unter den Poe-
ten genennet, und demſelben einen neuen
Maͤchlaͤs oder Zunamen beygeleget. Mu-
haͤmmed habe ſich der Gelegenheit dieſer Ge-
wohnheit bedienet, und auch einen von den
Naͤßm oder Verſen des Kurons an die Saͤule
angeſchlagen, mit deſſen Beantwortung ſich
alle Poeten ganzer neun Monate lang bemuͤ-
het: der Sieg aber ſey einſtimmig Muhaͤm-
med beygeleget, deſſen Verſe fuͤr von Gott
eingegebene erklaͤret, und ſeine Lehre, von der
Zeit an, angenommen worden.
50 vielen andern] Unter den uͤbrigen
befanden ſich auch die Moͤnche, die an dem
Berge Sinaj wohnen. Von dieſen wird eine
ſehr ſonderbare Begebenheit erzaͤhlet: und da
derſelben, ſo viel ich weis, ſonſt nirgends,
als in einem gewiſſen fabelhaften Buche von
den ſinaiſchen Moͤnchen, gedacht wird; ſo
will ich ſie hier einſchalten. Man ſaget,
wiewol auf eine fabelhafte Weiſe: Muhaͤm-

ruͤhmt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0338" n="250"/><fw place="top" type="header">Osmani&#x017F;che Ge&#x017F;chichte</fw><lb/>
hire aufhielte, die Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el von &#x017F;einer Stadt, und erkennete o&#x0364;ffentlich die Ober-<lb/>
herr&#x017F;chaft de&#x017F;&#x017F;elben. Selim empfing ihn mit vieler Ho&#x0364;flichkeit, und verordnete<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben Sohn, der wegen &#x017F;einer Tugend, Gott&#x017F;eligkeit und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft be-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ru&#x0364;hmt</fw><lb/><cb n="1"/><lb/><note place="end" n="49">Beni Ibrahim] Es &#x017F;ind u&#x0364;ber &#x017F;ie-<lb/>
benzig Vo&#x0364;lker oder Sta&#x0364;mme, von unter&#x017F;chie-<lb/>
denen Linien ent&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;en, die iedoch alle&#x017F;amt<lb/>
&#x017F;ich der Abkunft von Abraham ru&#x0364;hmen, und<lb/>
in den weitla&#x0364;uftigen Wu&#x0364;&#x017F;ten von Arabien<lb/>
herum&#x017F;chweifen, und darinnen ihre ungewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Wohnungen haben. Sie reden alle ara-<lb/>
bi&#x017F;ch; aber nach &#x017F;o ver&#x017F;chiedenen Mundarten,<lb/>
daß &#x017F;ie einander kaum ver&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen.<lb/>
Daher &#x017F;aget man mit Rechte, daß die arabi-<lb/>
&#x017F;che Sprache die allerweitla&#x0364;uftig&#x017F;te, und fa&#x017F;t<lb/>
unendlich &#x017F;ey. Denn eines und da&#x017F;&#x017F;elbe Wort<lb/>
heißet hundert Dinge, von ganz unter&#x017F;chie-<lb/>
denen We&#x017F;en: und eines und da&#x017F;&#x017F;elbe Ding<lb/>
wird durch eben &#x017F;o viele Wo&#x0364;rter ausgedru&#x0364;cket,<lb/>
die nicht die gering&#x017F;te Verwand&#x017F;chaft mit ein-<lb/>
ander haben. So i&#x017F;t auch noch u&#x0364;ber die&#x017F;es<lb/>
kaum eine Eigen&#x017F;chaft oder Be&#x017F;chaffenheit an<lb/>
einem Dinge zu finden, die der Sache, daran<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich befindet, nicht eine be&#x017F;ondere Benen-<lb/>
nung zuwege bringet. Menin&#x017F;kis Schatz<lb/>
der morgenla&#x0364;ndi&#x017F;chen Sprachen giebt unza&#x0364;h-<lb/>
lige Bey&#x017F;piele davon an die Hand, die abzu-<lb/>
&#x017F;chreiben un&#x017F;er gegenwa&#x0364;rtiges Vorhaben nicht<lb/>
ge&#x017F;tattet. Aus den Blu&#x0364;mchen aller die&#x017F;er<lb/>
Mundarten nun i&#x017F;t der Kuron zu&#x017F;ammen-<lb/>
ge&#x017F;etzt: und daher kommt es, daß die An-<lb/>
ha&#x0364;nger de&#x017F;&#x017F;elben glauben, er &#x017F;ey nicht in einer<lb/>
men&#x017F;chlichen, &#x017F;ondern go&#x0364;ttlichen Sprache ge-<lb/>
&#x017F;chrieben. Denn keiner von allen die&#x017F;en<lb/>
Sta&#x0364;mmen i&#x017F;t im Stande, ihn ganz zu ver-<lb/>
&#x017F;tehen: und eben &#x017F;o wenig kann der Gelehr-<lb/>
te&#x017F;te unter den Arabern &#x017F;ich ru&#x0364;hmen, daß er<lb/>
alle Wo&#x0364;rter darinnen zu erkla&#x0364;ren wu&#x0364;ßte.<lb/>
Sie &#x017F;etzen bey die&#x017F;er Sache noch eine lu&#x017F;tige<lb/>
Ge&#x017F;chichte hinzu, die bey ihnen fe&#x017F;tiglich ge-<lb/>
glaubet wird. Sie &#x017F;agen, zu Muha&#x0364;mmeds<lb/><cb n="2"/><lb/>
Zeiten &#x017F;ey die arabi&#x017F;che Sprache zu ihrer gro&#x0364;ß-<lb/>
ten Vollkommenheit gekommen gewe&#x017F;en: und<lb/>
es haben damals witzige Poeten gelebet, die,<lb/>
nach Art der olympi&#x017F;chen Spiele, allezeit,<lb/>
wann einer einen &#x017F;charf&#x017F;innigen Doppelvers<lb/>
vorgebracht, den&#x017F;elben an eine Sa&#x0364;ule geheftet,<lb/>
die zu dem Ende auf dem Markte aufgerichtet<lb/>
gewe&#x017F;en. Hierna&#x0364;ch&#x017F;t habe man einem andern<lb/>
Dichter drey Monate Zeit gegeben, mit einem<lb/>
darauf pa&#x017F;&#x017F;enden Doppelver&#x017F;e, Na&#x0364;ßir genen-<lb/>
net, jenem zu antworten. An dem be&#x017F;timm-<lb/>
ten Tage &#x017F;eyen alle Poeten zu&#x017F;ammengekom-<lb/>
men, und haben, nach ange&#x017F;tellter Unter&#x017F;u-<lb/>
chung beyderley Ver&#x017F;e, demjenigen den Vor-<lb/>
zug zuerkennet, de&#x017F;&#x017F;en Vers den gro&#x0364;ßten Bey-<lb/>
fall gefunden, ihn den Fu&#x0364;r&#x017F;ten unter den Poe-<lb/>
ten genennet, und dem&#x017F;elben einen neuen<lb/>
Ma&#x0364;chla&#x0364;s oder Zunamen beygeleget. Mu-<lb/>
ha&#x0364;mmed habe &#x017F;ich der Gelegenheit die&#x017F;er Ge-<lb/>
wohnheit bedienet, und auch einen von den<lb/>
Na&#x0364;ßm oder Ver&#x017F;en des Kurons an die Sa&#x0364;ule<lb/>
ange&#x017F;chlagen, mit de&#x017F;&#x017F;en Beantwortung &#x017F;ich<lb/>
alle Poeten ganzer neun Monate lang bemu&#x0364;-<lb/>
het: der Sieg aber &#x017F;ey ein&#x017F;timmig Muha&#x0364;m-<lb/>
med beygeleget, de&#x017F;&#x017F;en Ver&#x017F;e fu&#x0364;r von Gott<lb/>
eingegebene erkla&#x0364;ret, und &#x017F;eine Lehre, von der<lb/>
Zeit an, angenommen worden.</note><lb/><note xml:id="D338" next="#D339" place="end" n="50">vielen andern] Unter den u&#x0364;brigen<lb/>
befanden &#x017F;ich auch die Mo&#x0364;nche, die an dem<lb/>
Berge Sinaj wohnen. Von die&#x017F;en wird eine<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;onderbare Begebenheit erza&#x0364;hlet: und da<lb/>
der&#x017F;elben, &#x017F;o viel ich weis, &#x017F;on&#x017F;t nirgends,<lb/>
als in einem gewi&#x017F;&#x017F;en fabelhaften Buche von<lb/>
den &#x017F;inai&#x017F;chen Mo&#x0364;nchen, gedacht wird; &#x017F;o<lb/>
will ich &#x017F;ie hier ein&#x017F;chalten. Man &#x017F;aget,<lb/>
wiewol auf eine fabelhafte Wei&#x017F;e: Muha&#x0364;m-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">med,</fw></note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0338] Osmaniſche Geſchichte hire aufhielte, die Schluͤſſel von ſeiner Stadt, und erkennete oͤffentlich die Ober- herrſchaft deſſelben. Selim empfing ihn mit vieler Hoͤflichkeit, und verordnete deſſelben Sohn, der wegen ſeiner Tugend, Gottſeligkeit und Wiſſenſchaft be- ruͤhmt ⁴⁹ Beni Ibrahim] Es ſind uͤber ſie- benzig Voͤlker oder Staͤmme, von unterſchie- denen Linien entſproſſen, die iedoch alleſamt ſich der Abkunft von Abraham ruͤhmen, und in den weitlaͤuftigen Wuͤſten von Arabien herumſchweifen, und darinnen ihre ungewiſ- ſen Wohnungen haben. Sie reden alle ara- biſch; aber nach ſo verſchiedenen Mundarten, daß ſie einander kaum verſtehen koͤnnen. Daher ſaget man mit Rechte, daß die arabi- ſche Sprache die allerweitlaͤuftigſte, und faſt unendlich ſey. Denn eines und daſſelbe Wort heißet hundert Dinge, von ganz unterſchie- denen Weſen: und eines und daſſelbe Ding wird durch eben ſo viele Woͤrter ausgedruͤcket, die nicht die geringſte Verwandſchaft mit ein- ander haben. So iſt auch noch uͤber dieſes kaum eine Eigenſchaft oder Beſchaffenheit an einem Dinge zu finden, die der Sache, daran ſie ſich befindet, nicht eine beſondere Benen- nung zuwege bringet. Meninſkis Schatz der morgenlaͤndiſchen Sprachen giebt unzaͤh- lige Beyſpiele davon an die Hand, die abzu- ſchreiben unſer gegenwaͤrtiges Vorhaben nicht geſtattet. Aus den Bluͤmchen aller dieſer Mundarten nun iſt der Kuron zuſammen- geſetzt: und daher kommt es, daß die An- haͤnger deſſelben glauben, er ſey nicht in einer menſchlichen, ſondern goͤttlichen Sprache ge- ſchrieben. Denn keiner von allen dieſen Staͤmmen iſt im Stande, ihn ganz zu ver- ſtehen: und eben ſo wenig kann der Gelehr- teſte unter den Arabern ſich ruͤhmen, daß er alle Woͤrter darinnen zu erklaͤren wuͤßte. Sie ſetzen bey dieſer Sache noch eine luſtige Geſchichte hinzu, die bey ihnen feſtiglich ge- glaubet wird. Sie ſagen, zu Muhaͤmmeds Zeiten ſey die arabiſche Sprache zu ihrer groͤß- ten Vollkommenheit gekommen geweſen: und es haben damals witzige Poeten gelebet, die, nach Art der olympiſchen Spiele, allezeit, wann einer einen ſcharfſinnigen Doppelvers vorgebracht, denſelben an eine Saͤule geheftet, die zu dem Ende auf dem Markte aufgerichtet geweſen. Hiernaͤchſt habe man einem andern Dichter drey Monate Zeit gegeben, mit einem darauf paſſenden Doppelverſe, Naͤßir genen- net, jenem zu antworten. An dem beſtimm- ten Tage ſeyen alle Poeten zuſammengekom- men, und haben, nach angeſtellter Unterſu- chung beyderley Verſe, demjenigen den Vor- zug zuerkennet, deſſen Vers den groͤßten Bey- fall gefunden, ihn den Fuͤrſten unter den Poe- ten genennet, und demſelben einen neuen Maͤchlaͤs oder Zunamen beygeleget. Mu- haͤmmed habe ſich der Gelegenheit dieſer Ge- wohnheit bedienet, und auch einen von den Naͤßm oder Verſen des Kurons an die Saͤule angeſchlagen, mit deſſen Beantwortung ſich alle Poeten ganzer neun Monate lang bemuͤ- het: der Sieg aber ſey einſtimmig Muhaͤm- med beygeleget, deſſen Verſe fuͤr von Gott eingegebene erklaͤret, und ſeine Lehre, von der Zeit an, angenommen worden. ⁵⁰ vielen andern] Unter den uͤbrigen befanden ſich auch die Moͤnche, die an dem Berge Sinaj wohnen. Von dieſen wird eine ſehr ſonderbare Begebenheit erzaͤhlet: und da derſelben, ſo viel ich weis, ſonſt nirgends, als in einem gewiſſen fabelhaften Buche von den ſinaiſchen Moͤnchen, gedacht wird; ſo will ich ſie hier einſchalten. Man ſaget, wiewol auf eine fabelhafte Weiſe: Muhaͤm- med,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/338
Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/338>, abgerufen am 22.11.2024.