burt und Wochenbett darbietet, und es wird deßhalb nöthig, ihre Geschichte mit besonderer Genauigkeit zu verfolgen.
§. 328.
Entzündung überhaupt aber, dieß dürfen wir wohl als des Resultat sowohl der gesunden Naturanschauung dieser Krankheit, als der vielfachen Untersuchungen darüber betrach- ten, ist ihrem Wesen nach: örtlich abnorm hervorge- hobenes Gefäß- oder Bildungsleben; allein weniger beachtet scheint es, daß man den Satz nicht umkehren darf, und daß es zu einem falschen Begriffe führen muß, wenn man sagt: jedes abnorm hervortretende Bildungsleben sey Entzündung, indem offenbar eine Menge krankhafter Aus- wüchse (z. B. Polypen, Fettgeschwülste), Verwachsungen u. s. w. unter Erscheinungen entstehen, welche auch nicht eines der charakteristischen Zeichen der Entzündung (Röthe, turgescirende Anschwellung, vermehrte Wärme und Schmerz) darbieten, und daher nur in Folge gefaßter Vorurtheile zur Entzündung gerechnet werden können. Demohnerachtet ist nicht zu ver- kennen, wie schwer es sey, die Gränze zwischen dieser fal- schen Bildungsthätigkeit (Degeneratio) und wahrer Entzün- dung zu bestimmen, ja man darf überzeugt seyn, daß in der Natur eine wahre Gränze zwischen beiden gar nicht existire, daß sie vielmehr unmerklich in einander übergehen und sogar gleichzeitig an einer Stelle vorkommen können, denn wie oft sehen wir nicht krankhafte Geschwülste sich entzünden. -- Will man indeß eine schärfere Bezeichnung der Entzündung, so kann es wohl nur die folgende seyn, welche sagt: Entzün- dung sey örtlich abnorm hervortretendes Bil- dungsleben, in der Erscheinung bestimmt durch Röthe, erhöhte Wärme, turgescirende Anschwel- lung und vermehrte Empfindlichkeit, im Wesen begründet durch Beschränkung auf den bestehen- den Begriff des Organs, bey welcher wahrhafte Metamorphosen dieses Organs nur als Folge sich anschließen können, dahingegen bey der falschge- richteten Bildungsthätigkeit die Metamorphose selbst die Haupt- sache ist.
burt und Wochenbett darbietet, und es wird deßhalb noͤthig, ihre Geſchichte mit beſonderer Genauigkeit zu verfolgen.
§. 328.
Entzuͤndung uͤberhaupt aber, dieß duͤrfen wir wohl als des Reſultat ſowohl der geſunden Naturanſchauung dieſer Krankheit, als der vielfachen Unterſuchungen daruͤber betrach- ten, iſt ihrem Weſen nach: oͤrtlich abnorm hervorge- hobenes Gefaͤß- oder Bildungsleben; allein weniger beachtet ſcheint es, daß man den Satz nicht umkehren darf, und daß es zu einem falſchen Begriffe fuͤhren muß, wenn man ſagt: jedes abnorm hervortretende Bildungsleben ſey Entzuͤndung, indem offenbar eine Menge krankhafter Aus- wuͤchſe (z. B. Polypen, Fettgeſchwuͤlſte), Verwachſungen u. ſ. w. unter Erſcheinungen entſtehen, welche auch nicht eines der charakteriſtiſchen Zeichen der Entzuͤndung (Roͤthe, turgescirende Anſchwellung, vermehrte Waͤrme und Schmerz) darbieten, und daher nur in Folge gefaßter Vorurtheile zur Entzuͤndung gerechnet werden koͤnnen. Demohnerachtet iſt nicht zu ver- kennen, wie ſchwer es ſey, die Graͤnze zwiſchen dieſer fal- ſchen Bildungsthaͤtigkeit (Degeneratio) und wahrer Entzuͤn- dung zu beſtimmen, ja man darf uͤberzeugt ſeyn, daß in der Natur eine wahre Graͤnze zwiſchen beiden gar nicht exiſtire, daß ſie vielmehr unmerklich in einander uͤbergehen und ſogar gleichzeitig an einer Stelle vorkommen koͤnnen, denn wie oft ſehen wir nicht krankhafte Geſchwuͤlſte ſich entzuͤnden. — Will man indeß eine ſchaͤrfere Bezeichnung der Entzuͤndung, ſo kann es wohl nur die folgende ſeyn, welche ſagt: Entzuͤn- dung ſey oͤrtlich abnorm hervortretendes Bil- dungsleben, in der Erſcheinung beſtimmt durch Roͤthe, erhoͤhte Waͤrme, turgescirende Anſchwel- lung und vermehrte Empfindlichkeit, im Weſen begruͤndet durch Beſchraͤnkung auf den beſtehen- den Begriff des Organs, bey welcher wahrhafte Metamorphoſen dieſes Organs nur als Folge ſich anſchließen koͤnnen, dahingegen bey der falſchge- richteten Bildungsthaͤtigkeit die Metamorphoſe ſelbſt die Haupt- ſache iſt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><divn="9"><divn="10"><p><pbfacs="#f0275"n="255"/>
burt und Wochenbett darbietet, und es wird deßhalb noͤthig,<lb/>
ihre Geſchichte mit beſonderer Genauigkeit zu verfolgen.</p></div><lb/><divn="10"><head>§. 328.</head><lb/><p>Entzuͤndung uͤberhaupt aber, dieß duͤrfen wir wohl als<lb/>
des Reſultat ſowohl der geſunden Naturanſchauung dieſer<lb/>
Krankheit, als der vielfachen Unterſuchungen daruͤber betrach-<lb/>
ten, iſt ihrem Weſen nach: <hirendition="#g">oͤrtlich abnorm hervorge-<lb/>
hobenes Gefaͤß- oder Bildungsleben</hi>; allein weniger<lb/>
beachtet ſcheint es, daß man den Satz nicht umkehren darf,<lb/>
und daß es zu einem falſchen Begriffe fuͤhren muß, wenn<lb/>
man ſagt: jedes abnorm hervortretende Bildungsleben ſey<lb/>
Entzuͤndung, indem offenbar eine Menge krankhafter Aus-<lb/>
wuͤchſe (z. B. Polypen, Fettgeſchwuͤlſte), Verwachſungen u. ſ. w.<lb/>
unter Erſcheinungen entſtehen, welche auch nicht eines der<lb/>
charakteriſtiſchen Zeichen der Entzuͤndung (Roͤthe, turgescirende<lb/>
Anſchwellung, vermehrte Waͤrme und Schmerz) darbieten,<lb/>
und daher nur in Folge gefaßter Vorurtheile zur Entzuͤndung<lb/>
gerechnet werden koͤnnen. Demohnerachtet iſt nicht zu ver-<lb/>
kennen, wie ſchwer es ſey, die Graͤnze zwiſchen dieſer fal-<lb/>ſchen Bildungsthaͤtigkeit (<hirendition="#aq">Degeneratio</hi>) und wahrer Entzuͤn-<lb/>
dung zu beſtimmen, ja man darf uͤberzeugt ſeyn, daß in der<lb/>
Natur eine wahre Graͤnze zwiſchen beiden gar nicht exiſtire,<lb/>
daß ſie vielmehr unmerklich in einander uͤbergehen und ſogar<lb/>
gleichzeitig an einer Stelle vorkommen koͤnnen, denn wie oft<lb/>ſehen wir nicht krankhafte Geſchwuͤlſte ſich entzuͤnden. — Will<lb/>
man indeß eine ſchaͤrfere Bezeichnung der Entzuͤndung, ſo<lb/>
kann es wohl nur die folgende ſeyn, welche ſagt: <hirendition="#g">Entzuͤn-<lb/>
dung ſey oͤrtlich abnorm hervortretendes Bil-<lb/>
dungsleben, in der Erſcheinung beſtimmt durch<lb/>
Roͤthe, erhoͤhte Waͤrme, turgescirende Anſchwel-<lb/>
lung und vermehrte Empfindlichkeit, im Weſen<lb/>
begruͤndet durch Beſchraͤnkung auf den beſtehen-<lb/>
den Begriff des Organs, bey welcher wahrhafte<lb/>
Metamorphoſen dieſes Organs nur als Folge<lb/>ſich anſchließen koͤnnen</hi>, dahingegen bey der falſchge-<lb/>
richteten Bildungsthaͤtigkeit die Metamorphoſe ſelbſt die Haupt-<lb/>ſache iſt.</p></div><lb/></div></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[255/0275]
burt und Wochenbett darbietet, und es wird deßhalb noͤthig,
ihre Geſchichte mit beſonderer Genauigkeit zu verfolgen.
§. 328.
Entzuͤndung uͤberhaupt aber, dieß duͤrfen wir wohl als
des Reſultat ſowohl der geſunden Naturanſchauung dieſer
Krankheit, als der vielfachen Unterſuchungen daruͤber betrach-
ten, iſt ihrem Weſen nach: oͤrtlich abnorm hervorge-
hobenes Gefaͤß- oder Bildungsleben; allein weniger
beachtet ſcheint es, daß man den Satz nicht umkehren darf,
und daß es zu einem falſchen Begriffe fuͤhren muß, wenn
man ſagt: jedes abnorm hervortretende Bildungsleben ſey
Entzuͤndung, indem offenbar eine Menge krankhafter Aus-
wuͤchſe (z. B. Polypen, Fettgeſchwuͤlſte), Verwachſungen u. ſ. w.
unter Erſcheinungen entſtehen, welche auch nicht eines der
charakteriſtiſchen Zeichen der Entzuͤndung (Roͤthe, turgescirende
Anſchwellung, vermehrte Waͤrme und Schmerz) darbieten,
und daher nur in Folge gefaßter Vorurtheile zur Entzuͤndung
gerechnet werden koͤnnen. Demohnerachtet iſt nicht zu ver-
kennen, wie ſchwer es ſey, die Graͤnze zwiſchen dieſer fal-
ſchen Bildungsthaͤtigkeit (Degeneratio) und wahrer Entzuͤn-
dung zu beſtimmen, ja man darf uͤberzeugt ſeyn, daß in der
Natur eine wahre Graͤnze zwiſchen beiden gar nicht exiſtire,
daß ſie vielmehr unmerklich in einander uͤbergehen und ſogar
gleichzeitig an einer Stelle vorkommen koͤnnen, denn wie oft
ſehen wir nicht krankhafte Geſchwuͤlſte ſich entzuͤnden. — Will
man indeß eine ſchaͤrfere Bezeichnung der Entzuͤndung, ſo
kann es wohl nur die folgende ſeyn, welche ſagt: Entzuͤn-
dung ſey oͤrtlich abnorm hervortretendes Bil-
dungsleben, in der Erſcheinung beſtimmt durch
Roͤthe, erhoͤhte Waͤrme, turgescirende Anſchwel-
lung und vermehrte Empfindlichkeit, im Weſen
begruͤndet durch Beſchraͤnkung auf den beſtehen-
den Begriff des Organs, bey welcher wahrhafte
Metamorphoſen dieſes Organs nur als Folge
ſich anſchließen koͤnnen, dahingegen bey der falſchge-
richteten Bildungsthaͤtigkeit die Metamorphoſe ſelbſt die Haupt-
ſache iſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/275>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.