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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820.

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Zeit*). Gewöhnlich brauchen die Wehen 6 bis 12, ja oft
bis 20, und bei bejahrten Erstgebärenden zuweilen sogar bis
gegen 30 Stunden Zeit, um die völlige Eröffnung zu be-
werkstelligen, wo man dann endlich, wenn sich nun die Ei-
häute kuglich und prall durch den völlig eröffneten Mutter-
mund hervor heben, zu sagen pflegt: die Blase stehe
springfertig
. -- Zu bemerken ist übrigens noch, daß
während der Eröffnung des Muttermundes (deren allmähli-
ges Vorschreiten man am besten nach dem Durchmesser der
Oeffnung in Zollen bestimmt) gewöhnlich die Ränder des
Muttermundes kleine Einrisse erhalten, zugleich aber auch in-
nerlich durch das Herabdrängen der Eihäute, die äußere Fläche
der Lederhaut vom Uterus sich abzulösen beginnt, und daß
durch beide Ursachen veranlaßt, gegen die Mitte der zwei-
ten Periode etwas Blutabgang erfolgt, welcher den Schleim
der Vagina färbt, und am untersuchenden Finger Blutspuren
hinterläßt, wofür denn ebenfalls ein Kunstausdruck üblich ist,
indem man, es als ein Zeichen vorrückender Geburt betrach-
tend, zu sagen pflegt: es zeichnet.


*) Der eigentliche Hergang der Eröffnung des Muttermundes hat
viel Räthselhaftes. Galen sagt schon: Quod os matricis eo us-
que aperiatur, ut possit fetibus facilem praebere exitum, nemo
ignorat; sed quo pacto id accidat, mirari possumus, intelligere
non possumus.
Böer selbst (Abhandlungen und Vers. III. Bd.
S. 208.) welcher obige Stelle als Motto einer Abhandlung aufge-
nommen hat, hält die Wehen mehr für Veranlassungen, als für
wirkliche Ursachen der Muttermundseröffnung. Mit ihm betrachten
mehrere andere Geburtshelfer die allmählige Muttermundseröffnung
für eine uns noch nicht erklärliche Erscheinung (fast wie manche
Physiologen die Erweiterung der Pupille). -- Bedenkt man aber
recht, welche Wirkungen die Längenfibern im Uterus ausüben müs-
sen, so scheint diese Erweiterung eben so wenig unbegreiflich als die
der Magenöffnungen oder des Harnblasenausgangs. Indeß ist es
allerdings richtig, daß man sich die Muttermundseröffnung
nicht als ein bloßes mechanisches Auseinandergezerrt-
werden, sondern als eine durch Mitwirkung der
Contraktionen vor sich gehende organische Bildungs-
änderung der Gebärmuttersubstanz und Form selbst
vorstellen müsse
.

Zeit*). Gewoͤhnlich brauchen die Wehen 6 bis 12, ja oft
bis 20, und bei bejahrten Erſtgebaͤrenden zuweilen ſogar bis
gegen 30 Stunden Zeit, um die voͤllige Eroͤffnung zu be-
werkſtelligen, wo man dann endlich, wenn ſich nun die Ei-
haͤute kuglich und prall durch den voͤllig eroͤffneten Mutter-
mund hervor heben, zu ſagen pflegt: die Blaſe ſtehe
ſpringfertig
. — Zu bemerken iſt uͤbrigens noch, daß
waͤhrend der Eroͤffnung des Muttermundes (deren allmaͤhli-
ges Vorſchreiten man am beſten nach dem Durchmeſſer der
Oeffnung in Zollen beſtimmt) gewoͤhnlich die Raͤnder des
Muttermundes kleine Einriſſe erhalten, zugleich aber auch in-
nerlich durch das Herabdraͤngen der Eihaͤute, die aͤußere Flaͤche
der Lederhaut vom Uterus ſich abzuloͤſen beginnt, und daß
durch beide Urſachen veranlaßt, gegen die Mitte der zwei-
ten Periode etwas Blutabgang erfolgt, welcher den Schleim
der Vagina faͤrbt, und am unterſuchenden Finger Blutſpuren
hinterlaͤßt, wofuͤr denn ebenfalls ein Kunſtausdruck uͤblich iſt,
indem man, es als ein Zeichen vorruͤckender Geburt betrach-
tend, zu ſagen pflegt: es zeichnet.


*) Der eigentliche Hergang der Eroͤffnung des Muttermundes hat
viel Raͤthſelhaftes. Galen ſagt ſchon: Quod os matricis eo us-
que aperiatur, ut possit fetibus facilem praebere exitum, nemo
ignorat; sed quo pacto id accidat, mirari possumus, intelligere
non possumus.
Boͤer ſelbſt (Abhandlungen und Verſ. III. Bd.
S. 208.) welcher obige Stelle als Motto einer Abhandlung aufge-
nommen hat, haͤlt die Wehen mehr fuͤr Veranlaſſungen, als fuͤr
wirkliche Urſachen der Muttermundseroͤffnung. Mit ihm betrachten
mehrere andere Geburtshelfer die allmaͤhlige Muttermundseroͤffnung
fuͤr eine uns noch nicht erklaͤrliche Erſcheinung (faſt wie manche
Phyſiologen die Erweiterung der Pupille). — Bedenkt man aber
recht, welche Wirkungen die Laͤngenfibern im Uterus ausuͤben muͤſ-
ſen, ſo ſcheint dieſe Erweiterung eben ſo wenig unbegreiflich als die
der Magenoͤffnungen oder des Harnblaſenausgangs. Indeß iſt es
allerdings richtig, daß man ſich die Muttermundseroͤffnung
nicht als ein bloßes mechaniſches Auseinandergezerrt-
werden, ſondern als eine durch Mitwirkung der
Contraktionen vor ſich gehende organiſche Bildungs-
aͤnderung der Gebaͤrmutterſubſtanz und Form ſelbſt
vorſtellen muͤſſe
.
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[99/0123] Zeit *). Gewoͤhnlich brauchen die Wehen 6 bis 12, ja oft bis 20, und bei bejahrten Erſtgebaͤrenden zuweilen ſogar bis gegen 30 Stunden Zeit, um die voͤllige Eroͤffnung zu be- werkſtelligen, wo man dann endlich, wenn ſich nun die Ei- haͤute kuglich und prall durch den voͤllig eroͤffneten Mutter- mund hervor heben, zu ſagen pflegt: die Blaſe ſtehe ſpringfertig. — Zu bemerken iſt uͤbrigens noch, daß waͤhrend der Eroͤffnung des Muttermundes (deren allmaͤhli- ges Vorſchreiten man am beſten nach dem Durchmeſſer der Oeffnung in Zollen beſtimmt) gewoͤhnlich die Raͤnder des Muttermundes kleine Einriſſe erhalten, zugleich aber auch in- nerlich durch das Herabdraͤngen der Eihaͤute, die aͤußere Flaͤche der Lederhaut vom Uterus ſich abzuloͤſen beginnt, und daß durch beide Urſachen veranlaßt, gegen die Mitte der zwei- ten Periode etwas Blutabgang erfolgt, welcher den Schleim der Vagina faͤrbt, und am unterſuchenden Finger Blutſpuren hinterlaͤßt, wofuͤr denn ebenfalls ein Kunſtausdruck uͤblich iſt, indem man, es als ein Zeichen vorruͤckender Geburt betrach- tend, zu ſagen pflegt: es zeichnet. *) Der eigentliche Hergang der Eroͤffnung des Muttermundes hat viel Raͤthſelhaftes. Galen ſagt ſchon: Quod os matricis eo us- que aperiatur, ut possit fetibus facilem praebere exitum, nemo ignorat; sed quo pacto id accidat, mirari possumus, intelligere non possumus. Boͤer ſelbſt (Abhandlungen und Verſ. III. Bd. S. 208.) welcher obige Stelle als Motto einer Abhandlung aufge- nommen hat, haͤlt die Wehen mehr fuͤr Veranlaſſungen, als fuͤr wirkliche Urſachen der Muttermundseroͤffnung. Mit ihm betrachten mehrere andere Geburtshelfer die allmaͤhlige Muttermundseroͤffnung fuͤr eine uns noch nicht erklaͤrliche Erſcheinung (faſt wie manche Phyſiologen die Erweiterung der Pupille). — Bedenkt man aber recht, welche Wirkungen die Laͤngenfibern im Uterus ausuͤben muͤſ- ſen, ſo ſcheint dieſe Erweiterung eben ſo wenig unbegreiflich als die der Magenoͤffnungen oder des Harnblaſenausgangs. Indeß iſt es allerdings richtig, daß man ſich die Muttermundseroͤffnung nicht als ein bloßes mechaniſches Auseinandergezerrt- werden, ſondern als eine durch Mitwirkung der Contraktionen vor ſich gehende organiſche Bildungs- aͤnderung der Gebaͤrmutterſubſtanz und Form ſelbſt vorſtellen muͤſſe.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/123>, abgerufen am 16.05.2024.