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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820.

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leistet werden; denn wollte man Rontiuiers dazu nehmen,
so würde jede Geburt, um die Wichtigkeit der Hülfsleistung
zu erhöhen, unfehlbar zur künstlichen gemacht werden. Da
nun aber bei der natürlichen Geburt, wie sich schon aus dem
oben (§§. 890. 891.) Erinnerten ergiebt, das negative und
exspektative Verfahren das einzig heilsame ist so müßte
der Geburtshelfer zuweilen 1 bis 2 Tage Zeit aufwenden,
blos um den natürlichen nur vielleicht etwas zögernden Gang
des Geburtsgeschäfts abzuwarten, welcher Zeitaufwand durch-
aus mit den übrigen Geschäften des praktischen Arztes un-
vereinbar seyn, oder wenigstens einen unverhältnißmäßigen
Kostenaufwand für die Gebärende veranlassen würde. Auch
paßt offenbar die männliche Individualität nicht so zu dem
ruhigen Ausharren, welches beim Geburtsgeschäft nöthig ist,
die Gebärende selbst wird ihr Schamgefühl dabei verletzt
finden, und des Trostes weiblicher Theilnahme entbehren;
ja, und auch der gebildete Geburtshelfer wird vielleicht nur
zu oft, von Ungeduld übermannt, zu Hülfsleistungen schrei-
ten, welche doch eigentlich überflüßig waren.

§. 905.

Bei alle dem muß dem Geburtshelfer jeder Umstand
und jede Fertigkeit in den bei einer natürlichen Geburt
Statt findenden Hülfsleistungen, vollkommen bekannt seyn,
theils weil er es ist, der das Verfahren der Hebamme zu
leiten und zu beurtheilen hat, theils weil es demohnerachtet
nicht selten vorkommt, daß ausdrücklich die Hülfsleistung des
Geburtshelfers auch bei einer ganz natürlichen Geburt gefor-
dert wird. Wir betrachten daher die hierher gehörigen Ge-
genstände im Folgenden unter drei Abtheilungen. Die erste
begreift die Vorbereitungen, Erwägung der nöthigen Appa-
rate u. s. w.; die zweite die Aufzählung der Behandlung
einer natürlichen Hinterhauptsgeburt, nach den einzelnen Ge-
burtsperioden; die dritte die besondern Regeln, welche die
Behandlung der ungewöhnlichern Geburten erfordert.


leiſtet werden; denn wollte man Rontiuiers dazu nehmen,
ſo wuͤrde jede Geburt, um die Wichtigkeit der Huͤlfsleiſtung
zu erhoͤhen, unfehlbar zur kuͤnſtlichen gemacht werden. Da
nun aber bei der natuͤrlichen Geburt, wie ſich ſchon aus dem
oben (§§. 890. 891.) Erinnerten ergiebt, das negative und
exſpektative Verfahren das einzig heilſame iſt ſo muͤßte
der Geburtshelfer zuweilen 1 bis 2 Tage Zeit aufwenden,
blos um den natuͤrlichen nur vielleicht etwas zoͤgernden Gang
des Geburtsgeſchaͤfts abzuwarten, welcher Zeitaufwand durch-
aus mit den uͤbrigen Geſchaͤften des praktiſchen Arztes un-
vereinbar ſeyn, oder wenigſtens einen unverhaͤltnißmaͤßigen
Koſtenaufwand fuͤr die Gebaͤrende veranlaſſen wuͤrde. Auch
paßt offenbar die maͤnnliche Individualitaͤt nicht ſo zu dem
ruhigen Ausharren, welches beim Geburtsgeſchaͤft noͤthig iſt,
die Gebaͤrende ſelbſt wird ihr Schamgefuͤhl dabei verletzt
finden, und des Troſtes weiblicher Theilnahme entbehren;
ja, und auch der gebildete Geburtshelfer wird vielleicht nur
zu oft, von Ungeduld uͤbermannt, zu Huͤlfsleiſtungen ſchrei-
ten, welche doch eigentlich uͤberfluͤßig waren.

§. 905.

Bei alle dem muß dem Geburtshelfer jeder Umſtand
und jede Fertigkeit in den bei einer natuͤrlichen Geburt
Statt findenden Huͤlfsleiſtungen, vollkommen bekannt ſeyn,
theils weil er es iſt, der das Verfahren der Hebamme zu
leiten und zu beurtheilen hat, theils weil es demohnerachtet
nicht ſelten vorkommt, daß ausdruͤcklich die Huͤlfsleiſtung des
Geburtshelfers auch bei einer ganz natuͤrlichen Geburt gefor-
dert wird. Wir betrachten daher die hierher gehoͤrigen Ge-
genſtaͤnde im Folgenden unter drei Abtheilungen. Die erſte
begreift die Vorbereitungen, Erwaͤgung der noͤthigen Appa-
rate u. ſ. w.; die zweite die Aufzaͤhlung der Behandlung
einer natuͤrlichen Hinterhauptsgeburt, nach den einzelnen Ge-
burtsperioden; die dritte die beſondern Regeln, welche die
Behandlung der ungewoͤhnlichern Geburten erfordert.


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[159/0183] leiſtet werden; denn wollte man Rontiuiers dazu nehmen, ſo wuͤrde jede Geburt, um die Wichtigkeit der Huͤlfsleiſtung zu erhoͤhen, unfehlbar zur kuͤnſtlichen gemacht werden. Da nun aber bei der natuͤrlichen Geburt, wie ſich ſchon aus dem oben (§§. 890. 891.) Erinnerten ergiebt, das negative und exſpektative Verfahren das einzig heilſame iſt ſo muͤßte der Geburtshelfer zuweilen 1 bis 2 Tage Zeit aufwenden, blos um den natuͤrlichen nur vielleicht etwas zoͤgernden Gang des Geburtsgeſchaͤfts abzuwarten, welcher Zeitaufwand durch- aus mit den uͤbrigen Geſchaͤften des praktiſchen Arztes un- vereinbar ſeyn, oder wenigſtens einen unverhaͤltnißmaͤßigen Koſtenaufwand fuͤr die Gebaͤrende veranlaſſen wuͤrde. Auch paßt offenbar die maͤnnliche Individualitaͤt nicht ſo zu dem ruhigen Ausharren, welches beim Geburtsgeſchaͤft noͤthig iſt, die Gebaͤrende ſelbſt wird ihr Schamgefuͤhl dabei verletzt finden, und des Troſtes weiblicher Theilnahme entbehren; ja, und auch der gebildete Geburtshelfer wird vielleicht nur zu oft, von Ungeduld uͤbermannt, zu Huͤlfsleiſtungen ſchrei- ten, welche doch eigentlich uͤberfluͤßig waren. §. 905. Bei alle dem muß dem Geburtshelfer jeder Umſtand und jede Fertigkeit in den bei einer natuͤrlichen Geburt Statt findenden Huͤlfsleiſtungen, vollkommen bekannt ſeyn, theils weil er es iſt, der das Verfahren der Hebamme zu leiten und zu beurtheilen hat, theils weil es demohnerachtet nicht ſelten vorkommt, daß ausdruͤcklich die Huͤlfsleiſtung des Geburtshelfers auch bei einer ganz natuͤrlichen Geburt gefor- dert wird. Wir betrachten daher die hierher gehoͤrigen Ge- genſtaͤnde im Folgenden unter drei Abtheilungen. Die erſte begreift die Vorbereitungen, Erwaͤgung der noͤthigen Appa- rate u. ſ. w.; die zweite die Aufzaͤhlung der Behandlung einer natuͤrlichen Hinterhauptsgeburt, nach den einzelnen Ge- burtsperioden; die dritte die beſondern Regeln, welche die Behandlung der ungewoͤhnlichern Geburten erfordert.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/183>, abgerufen am 21.11.2024.