der Geist in wie fern er im Thier sich zu entwickeln beginnt etwas wesentlich, und zwar qualitativ Anderes ist als der des Menschen, wer hier nur an ein plus und minus denkt, der wird nie zu einem nähern Verständniß gelangen. Es ist hier unbedingt nothwendig, davon auszugehen, das Thier habe seinen besondern Verstand, eben so wie es eine qualitativ entschiedne eigenthümliche Seele habe, oder -- richtiger gesagt -- ist. Ja, nicht bloß überhaupt ist der Verstand oder die erste Stufe des Geistes im Thier ein Eigenthümliches gegen die gleichnamige Facultät im Menschen, sondern in jedem Thiere insbesondre erhält diese Stufe eine eigenthümliche Färbung, und ist am Ende, wo innerhalb der Art des Thieres selbst eine beträchtliche Ver¬ schiedenheit der Individualität merklich wird, selbst nach dem Individuum verschieden. Der Verstand des Hundes muß sonach nicht nur etwa als ein qualitativ andrer be¬ trachtet werden als der des Pferdes, sondern der Verstand des Jagdhundes ist ein andrer als der des Pudels, und wieder hier ist zwischen dem Verstehen verschiedner Jagd¬ hunde und verschiedner Pudel ein wichtiger und aus vielen Zeichen merklicher Unterschied vorhanden. Auf diesem Stand¬ punkte erhalten wir also von den geistigen Zuständen des höher entwickelten Thieres einen wesentlich andern Begriff, als wenn wir sie bloß als ein minus menschlicher Zustände betrachten wollten, und diese Ansicht erst gewährt dem Beobachter selbst die geistige Freiheit, welche ihn fähig macht, von alle den vielfältigen Nuancen, welche in der Thierseele vorkommen, doch einigermaßen den Begriff zu gewinnen, obwohl es zuletzt immer unmöglich bleiben muß von den Zuständen einer Thierseele die volle und ganz an¬ gemessene Vorstellung zu erhalten, da es uns oft schwer genug fällt, selbst in die Seele eines andern Menschen nur mit einiger Deutlichkeit uns zu versetzen.
Uebrigens ist es eine nothwendige Folge daß, so wie die Seele des Thieres diejenige Stufe der Entwicklung er¬
der Geiſt in wie fern er im Thier ſich zu entwickeln beginnt etwas weſentlich, und zwar qualitativ Anderes iſt als der des Menſchen, wer hier nur an ein plus und minus denkt, der wird nie zu einem nähern Verſtändniß gelangen. Es iſt hier unbedingt nothwendig, davon auszugehen, das Thier habe ſeinen beſondern Verſtand, eben ſo wie es eine qualitativ entſchiedne eigenthümliche Seele habe, oder — richtiger geſagt — iſt. Ja, nicht bloß überhaupt iſt der Verſtand oder die erſte Stufe des Geiſtes im Thier ein Eigenthümliches gegen die gleichnamige Facultät im Menſchen, ſondern in jedem Thiere insbeſondre erhält dieſe Stufe eine eigenthümliche Färbung, und iſt am Ende, wo innerhalb der Art des Thieres ſelbſt eine beträchtliche Ver¬ ſchiedenheit der Individualität merklich wird, ſelbſt nach dem Individuum verſchieden. Der Verſtand des Hundes muß ſonach nicht nur etwa als ein qualitativ andrer be¬ trachtet werden als der des Pferdes, ſondern der Verſtand des Jagdhundes iſt ein andrer als der des Pudels, und wieder hier iſt zwiſchen dem Verſtehen verſchiedner Jagd¬ hunde und verſchiedner Pudel ein wichtiger und aus vielen Zeichen merklicher Unterſchied vorhanden. Auf dieſem Stand¬ punkte erhalten wir alſo von den geiſtigen Zuſtänden des höher entwickelten Thieres einen weſentlich andern Begriff, als wenn wir ſie bloß als ein minus menſchlicher Zuſtände betrachten wollten, und dieſe Anſicht erſt gewährt dem Beobachter ſelbſt die geiſtige Freiheit, welche ihn fähig macht, von alle den vielfältigen Nuancen, welche in der Thierſeele vorkommen, doch einigermaßen den Begriff zu gewinnen, obwohl es zuletzt immer unmöglich bleiben muß von den Zuſtänden einer Thierſeele die volle und ganz an¬ gemeſſene Vorſtellung zu erhalten, da es uns oft ſchwer genug fällt, ſelbſt in die Seele eines andern Menſchen nur mit einiger Deutlichkeit uns zu verſetzen.
Uebrigens iſt es eine nothwendige Folge daß, ſo wie die Seele des Thieres diejenige Stufe der Entwicklung er¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0150"n="134"/>
der Geiſt in wie fern er im Thier ſich zu entwickeln beginnt<lb/>
etwas weſentlich, und zwar qualitativ Anderes iſt als der<lb/>
des Menſchen, wer hier nur an ein <hirendition="#aq">plus</hi> und <hirendition="#aq">minus</hi> denkt,<lb/>
der wird nie zu einem nähern Verſtändniß gelangen. Es<lb/>
iſt hier unbedingt nothwendig, davon auszugehen, das Thier<lb/>
habe <hirendition="#g">ſeinen beſondern Verſtand</hi>, eben ſo wie es<lb/>
eine qualitativ entſchiedne eigenthümliche Seele habe, oder<lb/>— richtiger geſagt —<hirendition="#g">iſt</hi>. Ja, nicht bloß überhaupt iſt<lb/>
der Verſtand oder die erſte Stufe des Geiſtes im Thier<lb/>
ein Eigenthümliches gegen die gleichnamige Facultät im<lb/>
Menſchen, ſondern in jedem Thiere insbeſondre erhält dieſe<lb/>
Stufe eine eigenthümliche Färbung, und iſt am Ende, wo<lb/>
innerhalb der Art des Thieres ſelbſt eine beträchtliche Ver¬<lb/>ſchiedenheit der Individualität merklich wird, ſelbſt nach<lb/>
dem Individuum verſchieden. Der Verſtand des Hundes<lb/>
muß ſonach nicht nur etwa als ein qualitativ andrer be¬<lb/>
trachtet werden als der des Pferdes, ſondern der Verſtand<lb/>
des Jagdhundes iſt ein andrer als der des Pudels, und<lb/>
wieder hier iſt zwiſchen dem Verſtehen verſchiedner Jagd¬<lb/>
hunde und verſchiedner Pudel ein wichtiger und aus vielen<lb/>
Zeichen merklicher Unterſchied vorhanden. Auf dieſem Stand¬<lb/>
punkte erhalten wir alſo von den geiſtigen Zuſtänden des<lb/>
höher entwickelten Thieres einen weſentlich andern Begriff,<lb/>
als wenn wir ſie bloß als ein <hirendition="#aq">minus</hi> menſchlicher Zuſtände<lb/>
betrachten wollten, und dieſe Anſicht erſt gewährt dem<lb/>
Beobachter ſelbſt die geiſtige Freiheit, welche ihn fähig<lb/>
macht, von alle den vielfältigen Nuancen, welche in der<lb/>
Thierſeele vorkommen, doch einigermaßen den Begriff zu<lb/>
gewinnen, obwohl es zuletzt immer unmöglich bleiben muß<lb/>
von den Zuſtänden einer Thierſeele die volle und ganz an¬<lb/>
gemeſſene Vorſtellung zu erhalten, da es uns oft ſchwer<lb/>
genug fällt, ſelbſt in die Seele eines andern Menſchen nur<lb/>
mit einiger Deutlichkeit uns zu verſetzen.</p><lb/><p>Uebrigens iſt es eine nothwendige Folge daß, ſo wie<lb/>
die Seele des Thieres diejenige Stufe der Entwicklung er¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[134/0150]
der Geiſt in wie fern er im Thier ſich zu entwickeln beginnt
etwas weſentlich, und zwar qualitativ Anderes iſt als der
des Menſchen, wer hier nur an ein plus und minus denkt,
der wird nie zu einem nähern Verſtändniß gelangen. Es
iſt hier unbedingt nothwendig, davon auszugehen, das Thier
habe ſeinen beſondern Verſtand, eben ſo wie es
eine qualitativ entſchiedne eigenthümliche Seele habe, oder
— richtiger geſagt — iſt. Ja, nicht bloß überhaupt iſt
der Verſtand oder die erſte Stufe des Geiſtes im Thier
ein Eigenthümliches gegen die gleichnamige Facultät im
Menſchen, ſondern in jedem Thiere insbeſondre erhält dieſe
Stufe eine eigenthümliche Färbung, und iſt am Ende, wo
innerhalb der Art des Thieres ſelbſt eine beträchtliche Ver¬
ſchiedenheit der Individualität merklich wird, ſelbſt nach
dem Individuum verſchieden. Der Verſtand des Hundes
muß ſonach nicht nur etwa als ein qualitativ andrer be¬
trachtet werden als der des Pferdes, ſondern der Verſtand
des Jagdhundes iſt ein andrer als der des Pudels, und
wieder hier iſt zwiſchen dem Verſtehen verſchiedner Jagd¬
hunde und verſchiedner Pudel ein wichtiger und aus vielen
Zeichen merklicher Unterſchied vorhanden. Auf dieſem Stand¬
punkte erhalten wir alſo von den geiſtigen Zuſtänden des
höher entwickelten Thieres einen weſentlich andern Begriff,
als wenn wir ſie bloß als ein minus menſchlicher Zuſtände
betrachten wollten, und dieſe Anſicht erſt gewährt dem
Beobachter ſelbſt die geiſtige Freiheit, welche ihn fähig
macht, von alle den vielfältigen Nuancen, welche in der
Thierſeele vorkommen, doch einigermaßen den Begriff zu
gewinnen, obwohl es zuletzt immer unmöglich bleiben muß
von den Zuſtänden einer Thierſeele die volle und ganz an¬
gemeſſene Vorſtellung zu erhalten, da es uns oft ſchwer
genug fällt, ſelbſt in die Seele eines andern Menſchen nur
mit einiger Deutlichkeit uns zu verſetzen.
Uebrigens iſt es eine nothwendige Folge daß, ſo wie
die Seele des Thieres diejenige Stufe der Entwicklung er¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/150>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.