heit, und die niedere Idee des Thieres offenbart sich eben so unbewußt in der minder edlen Gestaltung und Entwick¬ lung des Organismus überhaupt und des Hirns inbesondre, wie sie bewußt als Seele geringer sich offenbart, wenn jenes unbewußte Walten das ihm gesteckte Ziel erreicht hat. Nur wenn wir somit die wesentliche Einheit jenes Unbe¬ wußten und dieses Bewußten einsehen und anerkennen, und wenn wir von der unendlichen Mannichfaltigkeit der Ideen und der damit gesetzten nothwendigen qualitativen Ver¬ schiedenheit jeder von der andern die Ueberzeugung gewon¬ nen haben, kann eine befriedigende und klare Anschauung der Welt uns aufgehen. Hiebei muß übrigens auch noch einmal mit Bestimmtheit ausgesprochen werden, was sich eigentlich von selbst versteht, nämlich daß, wenn wir den Ausdruck "höher oder niedriger" von göttlichen Ideen und "vollkommner oder unvollkommner" von Organismen brau¬ chen, dies eine durchaus menschliche und ganz subjektive Bezeichnungsweise sei. Im unendlichen Kreise göttlichen Alllebens kann Jegliches in sich nur als ein Voll¬ kommnes geachtet werden 1, und in Wahrheit ist in die¬ sem Sinne zu sagen, daß der Mensch nicht vollkomm¬ ner sei als das Infusorium, und daß das scheinbar Nie¬ drigste, in Gott und für die Gesammtheit der Welt eben so bedeutungsvoll und nothwendig sei, als das scheinbar Höchste, -- aber nicht so für den Stand¬ punkt des Menschen, und darum rechtfertigen sich jene Bezeichnungen.
Nach allem Vorhergehenden können wir sonach das Resultat aussprechen: das Höchste, wozu die Thierseele sich entwickelt, ist der bestimmtere Ausdruck einer geistigen In¬ dividualität, d. h. einer Eigenthümlichkeit, welche in
1 So sagt Dante sehr schön: "Chiaro mi fu allor, com' ogni dove In Cielo e Paradiso, etsi la grazia Del sommo bend'un modo nonvi piove."
heit, und die niedere Idee des Thieres offenbart ſich eben ſo unbewußt in der minder edlen Geſtaltung und Entwick¬ lung des Organismus überhaupt und des Hirns inbeſondre, wie ſie bewußt als Seele geringer ſich offenbart, wenn jenes unbewußte Walten das ihm geſteckte Ziel erreicht hat. Nur wenn wir ſomit die weſentliche Einheit jenes Unbe¬ wußten und dieſes Bewußten einſehen und anerkennen, und wenn wir von der unendlichen Mannichfaltigkeit der Ideen und der damit geſetzten nothwendigen qualitativen Ver¬ ſchiedenheit jeder von der andern die Ueberzeugung gewon¬ nen haben, kann eine befriedigende und klare Anſchauung der Welt uns aufgehen. Hiebei muß übrigens auch noch einmal mit Beſtimmtheit ausgeſprochen werden, was ſich eigentlich von ſelbſt verſteht, nämlich daß, wenn wir den Ausdruck „höher oder niedriger“ von göttlichen Ideen und „vollkommner oder unvollkommner“ von Organismen brau¬ chen, dies eine durchaus menſchliche und ganz ſubjektive Bezeichnungsweiſe ſei. Im unendlichen Kreiſe göttlichen Alllebens kann Jegliches in ſich nur als ein Voll¬ kommnes geachtet werden 1, und in Wahrheit iſt in die¬ ſem Sinne zu ſagen, daß der Menſch nicht vollkomm¬ ner ſei als das Infuſorium, und daß das ſcheinbar Nie¬ drigſte, in Gott und für die Geſammtheit der Welt eben ſo bedeutungsvoll und nothwendig ſei, als das ſcheinbar Höchſte, — aber nicht ſo für den Stand¬ punkt des Menſchen, und darum rechtfertigen ſich jene Bezeichnungen.
Nach allem Vorhergehenden können wir ſonach das Reſultat ausſprechen: das Höchſte, wozu die Thierſeele ſich entwickelt, iſt der beſtimmtere Ausdruck einer geiſtigen In¬ dividualität, d. h. einer Eigenthümlichkeit, welche in
1 So ſagt Dante ſehr ſchön: „Chiaro mi fu allor, com' ogni dove In Cielo è Paradiso, etsi la grazia Del sommo bend'un modo nonvi piove.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0153"n="137"/>
heit, und die niedere Idee des Thieres offenbart ſich eben<lb/>ſo unbewußt in der minder edlen Geſtaltung und Entwick¬<lb/>
lung des Organismus überhaupt und des Hirns inbeſondre,<lb/>
wie ſie bewußt als Seele geringer ſich offenbart, wenn<lb/>
jenes unbewußte Walten das ihm geſteckte Ziel erreicht hat.<lb/>
Nur wenn wir ſomit die weſentliche Einheit jenes Unbe¬<lb/>
wußten und dieſes Bewußten einſehen und anerkennen, und<lb/>
wenn wir von der unendlichen Mannichfaltigkeit der Ideen<lb/>
und der damit geſetzten nothwendigen qualitativen Ver¬<lb/>ſchiedenheit jeder von der andern die Ueberzeugung gewon¬<lb/>
nen haben, kann eine befriedigende und klare Anſchauung<lb/>
der Welt uns aufgehen. Hiebei muß übrigens auch noch<lb/>
einmal mit Beſtimmtheit ausgeſprochen werden, was ſich<lb/>
eigentlich von ſelbſt verſteht, nämlich daß, wenn wir den<lb/>
Ausdruck „höher oder niedriger“ von göttlichen Ideen und<lb/>„vollkommner oder unvollkommner“ von Organismen brau¬<lb/>
chen, dies eine durchaus menſchliche und ganz ſubjektive<lb/>
Bezeichnungsweiſe ſei. Im unendlichen Kreiſe göttlichen<lb/>
Alllebens kann Jegliches <hirendition="#g">in ſich nur als ein Voll¬<lb/>
kommnes</hi> geachtet werden <noteplace="foot"n="1"><p>So ſagt Dante ſehr ſchön:</p><lb/><p><hirendition="#aq">„Chiaro mi fu allor, com' ogni dove<lb/>
In Cielo è Paradiso, etsi la grazia</hi></p><lb/><p><hirendition="#aq">Del sommo ben</hi><hirendition="#aq #g">d'un modo non</hi><hirendition="#aq">vi piove.“</hi></p><lb/></note>, und in Wahrheit iſt in die¬<lb/>ſem Sinne zu ſagen, daß der Menſch nicht <hirendition="#g">vollkomm¬<lb/>
ner</hi>ſei als das Infuſorium, und daß das ſcheinbar Nie¬<lb/>
drigſte, <hirendition="#g">in Gott und für die Geſammtheit der<lb/>
Welt</hi> eben ſo bedeutungsvoll und nothwendig ſei, als das<lb/>ſcheinbar Höchſte, — aber nicht ſo <hirendition="#g">für den Stand¬<lb/>
punkt des Menſchen</hi>, und <hirendition="#g">darum</hi> rechtfertigen ſich<lb/>
jene Bezeichnungen.</p><lb/><p>Nach allem Vorhergehenden können wir ſonach das<lb/>
Reſultat ausſprechen: das Höchſte, wozu die Thierſeele ſich<lb/>
entwickelt, iſt der beſtimmtere Ausdruck einer geiſtigen <hirendition="#g">In¬<lb/>
dividualität</hi>, d. h. einer Eigenthümlichkeit, welche in<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[137/0153]
heit, und die niedere Idee des Thieres offenbart ſich eben
ſo unbewußt in der minder edlen Geſtaltung und Entwick¬
lung des Organismus überhaupt und des Hirns inbeſondre,
wie ſie bewußt als Seele geringer ſich offenbart, wenn
jenes unbewußte Walten das ihm geſteckte Ziel erreicht hat.
Nur wenn wir ſomit die weſentliche Einheit jenes Unbe¬
wußten und dieſes Bewußten einſehen und anerkennen, und
wenn wir von der unendlichen Mannichfaltigkeit der Ideen
und der damit geſetzten nothwendigen qualitativen Ver¬
ſchiedenheit jeder von der andern die Ueberzeugung gewon¬
nen haben, kann eine befriedigende und klare Anſchauung
der Welt uns aufgehen. Hiebei muß übrigens auch noch
einmal mit Beſtimmtheit ausgeſprochen werden, was ſich
eigentlich von ſelbſt verſteht, nämlich daß, wenn wir den
Ausdruck „höher oder niedriger“ von göttlichen Ideen und
„vollkommner oder unvollkommner“ von Organismen brau¬
chen, dies eine durchaus menſchliche und ganz ſubjektive
Bezeichnungsweiſe ſei. Im unendlichen Kreiſe göttlichen
Alllebens kann Jegliches in ſich nur als ein Voll¬
kommnes geachtet werden 1, und in Wahrheit iſt in die¬
ſem Sinne zu ſagen, daß der Menſch nicht vollkomm¬
ner ſei als das Infuſorium, und daß das ſcheinbar Nie¬
drigſte, in Gott und für die Geſammtheit der
Welt eben ſo bedeutungsvoll und nothwendig ſei, als das
ſcheinbar Höchſte, — aber nicht ſo für den Stand¬
punkt des Menſchen, und darum rechtfertigen ſich
jene Bezeichnungen.
Nach allem Vorhergehenden können wir ſonach das
Reſultat ausſprechen: das Höchſte, wozu die Thierſeele ſich
entwickelt, iſt der beſtimmtere Ausdruck einer geiſtigen In¬
dividualität, d. h. einer Eigenthümlichkeit, welche in
1 So ſagt Dante ſehr ſchön:
„Chiaro mi fu allor, com' ogni dove
In Cielo è Paradiso, etsi la grazia
Del sommo ben d'un modo non vi piove.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/153>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.