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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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sem Standpunkt eine tiefere Bedeutung. Es war nämlich
ganz natürlich und angemessen, daß, sobald der Geist des
Menschen die hohe Vernunft, welche in allem Unbewußten
um uns her schweigend sich offenbart, gewahr zu werden
begann, in ihm aufstieg die Ahnung von einem höchsten
Göttlichen, und, dieweil nun in dem unbewußten Walten
der Natur die ungeheure Macht dieses höchsten göttlichen
Mysteriums ihm zuerst doch einigermaßen fühlbar geworden
war, so mußte auch die Naturerscheinung an und für sich
ihm zuerst zum Gegenstande der Verehrung werden. Die
Wiederkehr des Bewußten zum Unbewußten deutete sich hier
zuerst, ich möchte sagen, symbolisch an, und eben weil hin¬
ter diesem Symbol, doch abermals unbewußt, eine hohe
Wahrheit verborgen ruht, hat es immer etwas Ergreifen¬
des, wenn wir die Anbetung und Verehrung einer noch
halb kindlichen Menschheit sich bald auf die Sonne, bald
auf die im Gewitter sich offenbarenden elektrischen Regungen
der Atmosphäre, bald auf Mond und Gestirne, wenden
sehen. Dieser Naturdienst, ja die Verehrung von Quellen,
Flüssen und Bäumen hat uns deßhalb sogar etwas Un¬
schuldigeres und mehr zu Rechtfertigendes als die von thie¬
rischen Geschöpfen oder menschlich sein sollenden Gestalten,
und zwar eben nur deßhalb, weil in jenen Ersteren noch
ein reines Hinwenden des Bewußten gegen ein höchstes
Unbewußtes vernehmbar wird, während in Letzteren dieses
höchste Unbewußte schon widernatürlich in ein unangemesse¬
nes concretes Bewußtsein eingezwängt erscheint. Ebendas¬
selbe kommt auch der griechischen Mythologie zu Gute, denn
auch da wird es eigentlich keinesweges angestrebt das eine
höchste unermeßliche Mysterium in einem concreten Be¬
griff, in eine irgendwie dargestellte Person einzuzwängen,
sondern ihre Göttergestalten sind nur Personificirungen ein¬
zelner Naturerscheinungen, es ist immerfort der Naturcul¬
tus selbst, nur daß die einzelnen Aeußerungen des Unbe¬
wußten in der Natur, gleichsam auf die Weise zum

ſem Standpunkt eine tiefere Bedeutung. Es war nämlich
ganz natürlich und angemeſſen, daß, ſobald der Geiſt des
Menſchen die hohe Vernunft, welche in allem Unbewußten
um uns her ſchweigend ſich offenbart, gewahr zu werden
begann, in ihm aufſtieg die Ahnung von einem höchſten
Göttlichen, und, dieweil nun in dem unbewußten Walten
der Natur die ungeheure Macht dieſes höchſten göttlichen
Myſteriums ihm zuerſt doch einigermaßen fühlbar geworden
war, ſo mußte auch die Naturerſcheinung an und für ſich
ihm zuerſt zum Gegenſtande der Verehrung werden. Die
Wiederkehr des Bewußten zum Unbewußten deutete ſich hier
zuerſt, ich möchte ſagen, ſymboliſch an, und eben weil hin¬
ter dieſem Symbol, doch abermals unbewußt, eine hohe
Wahrheit verborgen ruht, hat es immer etwas Ergreifen¬
des, wenn wir die Anbetung und Verehrung einer noch
halb kindlichen Menſchheit ſich bald auf die Sonne, bald
auf die im Gewitter ſich offenbarenden elektriſchen Regungen
der Atmoſphäre, bald auf Mond und Geſtirne, wenden
ſehen. Dieſer Naturdienſt, ja die Verehrung von Quellen,
Flüſſen und Bäumen hat uns deßhalb ſogar etwas Un¬
ſchuldigeres und mehr zu Rechtfertigendes als die von thie¬
riſchen Geſchöpfen oder menſchlich ſein ſollenden Geſtalten,
und zwar eben nur deßhalb, weil in jenen Erſteren noch
ein reines Hinwenden des Bewußten gegen ein höchſtes
Unbewußtes vernehmbar wird, während in Letzteren dieſes
höchſte Unbewußte ſchon widernatürlich in ein unangemeſſe¬
nes concretes Bewußtſein eingezwängt erſcheint. Ebendaſ¬
ſelbe kommt auch der griechiſchen Mythologie zu Gute, denn
auch da wird es eigentlich keinesweges angeſtrebt das eine
höchſte unermeßliche Myſterium in einem concreten Be¬
griff, in eine irgendwie dargeſtellte Perſon einzuzwängen,
ſondern ihre Göttergeſtalten ſind nur Perſonificirungen ein¬
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[404/0420] ſem Standpunkt eine tiefere Bedeutung. Es war nämlich ganz natürlich und angemeſſen, daß, ſobald der Geiſt des Menſchen die hohe Vernunft, welche in allem Unbewußten um uns her ſchweigend ſich offenbart, gewahr zu werden begann, in ihm aufſtieg die Ahnung von einem höchſten Göttlichen, und, dieweil nun in dem unbewußten Walten der Natur die ungeheure Macht dieſes höchſten göttlichen Myſteriums ihm zuerſt doch einigermaßen fühlbar geworden war, ſo mußte auch die Naturerſcheinung an und für ſich ihm zuerſt zum Gegenſtande der Verehrung werden. Die Wiederkehr des Bewußten zum Unbewußten deutete ſich hier zuerſt, ich möchte ſagen, ſymboliſch an, und eben weil hin¬ ter dieſem Symbol, doch abermals unbewußt, eine hohe Wahrheit verborgen ruht, hat es immer etwas Ergreifen¬ des, wenn wir die Anbetung und Verehrung einer noch halb kindlichen Menſchheit ſich bald auf die Sonne, bald auf die im Gewitter ſich offenbarenden elektriſchen Regungen der Atmoſphäre, bald auf Mond und Geſtirne, wenden ſehen. Dieſer Naturdienſt, ja die Verehrung von Quellen, Flüſſen und Bäumen hat uns deßhalb ſogar etwas Un¬ ſchuldigeres und mehr zu Rechtfertigendes als die von thie¬ riſchen Geſchöpfen oder menſchlich ſein ſollenden Geſtalten, und zwar eben nur deßhalb, weil in jenen Erſteren noch ein reines Hinwenden des Bewußten gegen ein höchſtes Unbewußtes vernehmbar wird, während in Letzteren dieſes höchſte Unbewußte ſchon widernatürlich in ein unangemeſſe¬ nes concretes Bewußtſein eingezwängt erſcheint. Ebendaſ¬ ſelbe kommt auch der griechiſchen Mythologie zu Gute, denn auch da wird es eigentlich keinesweges angeſtrebt das eine höchſte unermeßliche Myſterium in einem concreten Be¬ griff, in eine irgendwie dargeſtellte Perſon einzuzwängen, ſondern ihre Göttergeſtalten ſind nur Perſonificirungen ein¬ zelner Naturerſcheinungen, es iſt immerfort der Naturcul¬ tus ſelbſt, nur daß die einzelnen Aeußerungen des Unbe¬ wußten in der Natur, gleichſam auf die Weiſe zum

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/420>, abgerufen am 22.11.2024.