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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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nach That und Gefühl und Gedanken gereift und erstarkt
sein sollte, noch schwach und in Irrthum, in falsches Ge¬
fühl und ungesundes Thun versunken ist, da werden Krank¬
heiten, welche im Unbewußten sich entwickeln, nicht nur
allemal mit größerer Gewalt auf das Bewußtsein hinüber¬
wirken und wahre Krankheitserscheinungen am Geiste erzeu¬
gen, sondern an und für sich werden auch überhaupt Krank¬
heiten leichter entstehen, weil diejenige Macht, welche das
Unbewußte zu behüten bestimmt ist, nur unvollkommen und
geschwächt sich darstellt.

Ehe wir jedoch jenes zweite Reich der Seelenkrank¬
heiten, welches die am bewußten Geiste sich offenbarenden
umfaßt, noch so weit im Einzelnen erwägen, als es für
einen Ueberblick der gesammten Entwicklungsgeschichte der
Seele hier nöthig ist, bleibt noch übrig theils aufmerksam
darauf zu machen, in welcher Beziehung gewisse sehr erhobene
und gesunde Erscheinungen am Geiste mit gewissen wirk¬
lichen Krankheitserscheinungen sich sehr nahe berühren, theils
noch insbesondere anzudeuten, von welchen ursprünglich
bloß aufgeregten Zuständen des Geistes am leichtesten der
Uebergang sich machen könne zu wirklichen geistigen Krank¬
heitserscheinungen. In Beziehung auf das erstere ist es
sehr merkwürdig, daß gewisse große selbstständige Richtungen
des gesunden Geistes vorkommen, welche, eben weil auch
sie die Kraft des Bewußtseins in einzelnen Richtungen im
höchsten Grade concentriren, öfters Veranlassung gegeben
haben, daß zwischen manchem erhabensten Wirken und
Schauen des Geistes und manchen entschiedenen Formen
des Wahnsinns eine sehr große Annäherung längst, und
schon seit Plato, anerkannt wurde. Gewiß ist die Gränze
solcher Zustände schwerer zu bestimmen als es auf den ersten
Blick scheint, denn weder die in sich richtige Folge, noch
auch die Höhe und Schönheit der Gedanken und Gefühle,
können hier allein allemal ausreichende Unterscheidungs¬
merkmale darbieten. Zwischen dem in religiösen Wahnsinn

nach That und Gefühl und Gedanken gereift und erſtarkt
ſein ſollte, noch ſchwach und in Irrthum, in falſches Ge¬
fühl und ungeſundes Thun verſunken iſt, da werden Krank¬
heiten, welche im Unbewußten ſich entwickeln, nicht nur
allemal mit größerer Gewalt auf das Bewußtſein hinüber¬
wirken und wahre Krankheitserſcheinungen am Geiſte erzeu¬
gen, ſondern an und für ſich werden auch überhaupt Krank¬
heiten leichter entſtehen, weil diejenige Macht, welche das
Unbewußte zu behüten beſtimmt iſt, nur unvollkommen und
geſchwächt ſich darſtellt.

Ehe wir jedoch jenes zweite Reich der Seelenkrank¬
heiten, welches die am bewußten Geiſte ſich offenbarenden
umfaßt, noch ſo weit im Einzelnen erwägen, als es für
einen Ueberblick der geſammten Entwicklungsgeſchichte der
Seele hier nöthig iſt, bleibt noch übrig theils aufmerkſam
darauf zu machen, in welcher Beziehung gewiſſe ſehr erhobene
und geſunde Erſcheinungen am Geiſte mit gewiſſen wirk¬
lichen Krankheitserſcheinungen ſich ſehr nahe berühren, theils
noch insbeſondere anzudeuten, von welchen urſprünglich
bloß aufgeregten Zuſtänden des Geiſtes am leichteſten der
Uebergang ſich machen könne zu wirklichen geiſtigen Krank¬
heitserſcheinungen. In Beziehung auf das erſtere iſt es
ſehr merkwürdig, daß gewiſſe große ſelbſtſtändige Richtungen
des geſunden Geiſtes vorkommen, welche, eben weil auch
ſie die Kraft des Bewußtſeins in einzelnen Richtungen im
höchſten Grade concentriren, öfters Veranlaſſung gegeben
haben, daß zwiſchen manchem erhabenſten Wirken und
Schauen des Geiſtes und manchen entſchiedenen Formen
des Wahnſinns eine ſehr große Annäherung längſt, und
ſchon ſeit Plato, anerkannt wurde. Gewiß iſt die Gränze
ſolcher Zuſtände ſchwerer zu beſtimmen als es auf den erſten
Blick ſcheint, denn weder die in ſich richtige Folge, noch
auch die Höhe und Schönheit der Gedanken und Gefühle,
können hier allein allemal ausreichende Unterſcheidungs¬
merkmale darbieten. Zwiſchen dem in religiöſen Wahnſinn

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[439/0455] nach That und Gefühl und Gedanken gereift und erſtarkt ſein ſollte, noch ſchwach und in Irrthum, in falſches Ge¬ fühl und ungeſundes Thun verſunken iſt, da werden Krank¬ heiten, welche im Unbewußten ſich entwickeln, nicht nur allemal mit größerer Gewalt auf das Bewußtſein hinüber¬ wirken und wahre Krankheitserſcheinungen am Geiſte erzeu¬ gen, ſondern an und für ſich werden auch überhaupt Krank¬ heiten leichter entſtehen, weil diejenige Macht, welche das Unbewußte zu behüten beſtimmt iſt, nur unvollkommen und geſchwächt ſich darſtellt. Ehe wir jedoch jenes zweite Reich der Seelenkrank¬ heiten, welches die am bewußten Geiſte ſich offenbarenden umfaßt, noch ſo weit im Einzelnen erwägen, als es für einen Ueberblick der geſammten Entwicklungsgeſchichte der Seele hier nöthig iſt, bleibt noch übrig theils aufmerkſam darauf zu machen, in welcher Beziehung gewiſſe ſehr erhobene und geſunde Erſcheinungen am Geiſte mit gewiſſen wirk¬ lichen Krankheitserſcheinungen ſich ſehr nahe berühren, theils noch insbeſondere anzudeuten, von welchen urſprünglich bloß aufgeregten Zuſtänden des Geiſtes am leichteſten der Uebergang ſich machen könne zu wirklichen geiſtigen Krank¬ heitserſcheinungen. In Beziehung auf das erſtere iſt es ſehr merkwürdig, daß gewiſſe große ſelbſtſtändige Richtungen des geſunden Geiſtes vorkommen, welche, eben weil auch ſie die Kraft des Bewußtſeins in einzelnen Richtungen im höchſten Grade concentriren, öfters Veranlaſſung gegeben haben, daß zwiſchen manchem erhabenſten Wirken und Schauen des Geiſtes und manchen entſchiedenen Formen des Wahnſinns eine ſehr große Annäherung längſt, und ſchon ſeit Plato, anerkannt wurde. Gewiß iſt die Gränze ſolcher Zuſtände ſchwerer zu beſtimmen als es auf den erſten Blick ſcheint, denn weder die in ſich richtige Folge, noch auch die Höhe und Schönheit der Gedanken und Gefühle, können hier allein allemal ausreichende Unterſcheidungs¬ merkmale darbieten. Zwiſchen dem in religiöſen Wahnſinn

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/455>, abgerufen am 23.11.2024.