Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Die Zoologie des Mittelalters. zum Theil zugänglich gebliebenen Philosophen des Altherthums anknü-pfend, als eine nothwendige Folge des reichlich zuströmenden Stoffes eintreten mußte. Daß hierbei die Kirche ihr Interesse vor allen Dingen zu wahren suchte, war eine eben so nothwendige Lebenserscheinung der- selben. In ihren Händen, nicht in denen der Laien lag die Pflege und die Erhaltung der Wissenschaft. Die gesammte Christenheit, "welche beständig auseinander zu fallen drohte", war in ihrer Vertretung und in ihrem Schutze gegen die zersetzenden Parteieinflüsse auf die Hierar- chie angewiesen. Da war denn das erste und natürlichste, daß einzelne Differenzpunkte, wie die bereits erwähnten Lehren Gottschalk's, des Paschasius Ratpertus, die späteren Streitigkeiten Berengar's von Tour u. a. ausgeglichen oder unterdrückt wurden. Wichtiger war, daß die ganze Philosophie eine bestimmte, der Kirche dienstbare Form erhielt. Nun war aber nicht bloß der gesammte, von den Kirchenvätern, Sy- noden und Concilen bestimmte, sich nach und nach vermehrende und abrundende Glaubensinhalt philosophisch zu begründen, sondern es galt vorzüglich auch, die platonische und aristotelische, die idealistische und rationalistische Ansicht von der Natur der Dinge zum Ausgleich zu bringen; -- ein Ausgleich, welcher auch für die Entwickelung der wis- senschaftlichen Erfassung der Natur von maßgebender Bedeutung sein mußte. Das ganze Gewicht der Philosophie des Mittelalters, welche Die Zoologie des Mittelalters. zum Theil zugänglich gebliebenen Philoſophen des Altherthums anknü-pfend, als eine nothwendige Folge des reichlich zuſtrömenden Stoffes eintreten mußte. Daß hierbei die Kirche ihr Intereſſe vor allen Dingen zu wahren ſuchte, war eine eben ſo nothwendige Lebenserſcheinung der- ſelben. In ihren Händen, nicht in denen der Laien lag die Pflege und die Erhaltung der Wiſſenſchaft. Die geſammte Chriſtenheit, „welche beſtändig auseinander zu fallen drohte“, war in ihrer Vertretung und in ihrem Schutze gegen die zerſetzenden Parteieinflüſſe auf die Hierar- chie angewieſen. Da war denn das erſte und natürlichſte, daß einzelne Differenzpunkte, wie die bereits erwähnten Lehren Gottſchalk's, des Paſchaſius Ratpertus, die ſpäteren Streitigkeiten Berengar's von Tour u. a. ausgeglichen oder unterdrückt wurden. Wichtiger war, daß die ganze Philoſophie eine beſtimmte, der Kirche dienſtbare Form erhielt. Nun war aber nicht bloß der geſammte, von den Kirchenvätern, Sy- noden und Concilen beſtimmte, ſich nach und nach vermehrende und abrundende Glaubensinhalt philoſophiſch zu begründen, ſondern es galt vorzüglich auch, die platoniſche und ariſtoteliſche, die idealiſtiſche und rationaliſtiſche Anſicht von der Natur der Dinge zum Ausgleich zu bringen; — ein Ausgleich, welcher auch für die Entwickelung der wiſ- ſenſchaftlichen Erfaſſung der Natur von maßgebender Bedeutung ſein mußte. Das ganze Gewicht der Philoſophie des Mittelalters, welche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0159" n="148"/><fw place="top" type="header">Die Zoologie des Mittelalters.</fw><lb/> zum Theil zugänglich gebliebenen Philoſophen des Altherthums anknü-<lb/> pfend, als eine nothwendige Folge des reichlich zuſtrömenden Stoffes<lb/> eintreten mußte. Daß hierbei die Kirche ihr Intereſſe vor allen Dingen<lb/> zu wahren ſuchte, war eine eben ſo nothwendige Lebenserſcheinung der-<lb/> ſelben. 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Die Zoologie des Mittelalters.
zum Theil zugänglich gebliebenen Philoſophen des Altherthums anknü-
pfend, als eine nothwendige Folge des reichlich zuſtrömenden Stoffes
eintreten mußte. Daß hierbei die Kirche ihr Intereſſe vor allen Dingen
zu wahren ſuchte, war eine eben ſo nothwendige Lebenserſcheinung der-
ſelben. In ihren Händen, nicht in denen der Laien lag die Pflege und
die Erhaltung der Wiſſenſchaft. Die geſammte Chriſtenheit, „welche
beſtändig auseinander zu fallen drohte“, war in ihrer Vertretung und
in ihrem Schutze gegen die zerſetzenden Parteieinflüſſe auf die Hierar-
chie angewieſen. Da war denn das erſte und natürlichſte, daß einzelne
Differenzpunkte, wie die bereits erwähnten Lehren Gottſchalk's, des
Paſchaſius Ratpertus, die ſpäteren Streitigkeiten Berengar's von Tour
u. a. ausgeglichen oder unterdrückt wurden. Wichtiger war, daß die
ganze Philoſophie eine beſtimmte, der Kirche dienſtbare Form erhielt.
Nun war aber nicht bloß der geſammte, von den Kirchenvätern, Sy-
noden und Concilen beſtimmte, ſich nach und nach vermehrende und
abrundende Glaubensinhalt philoſophiſch zu begründen, ſondern es galt
vorzüglich auch, die platoniſche und ariſtoteliſche, die idealiſtiſche und
rationaliſtiſche Anſicht von der Natur der Dinge zum Ausgleich zu
bringen; — ein Ausgleich, welcher auch für die Entwickelung der wiſ-
ſenſchaftlichen Erfaſſung der Natur von maßgebender Bedeutung ſein
mußte.
Das ganze Gewicht der Philoſophie des Mittelalters, welche
als mit der Theologie zuſammenfallend angeſehen wurde, wenn ſchon
ein eigentliches Aufgehen derſelben in letzterer nur vorübergehend zu
erreichen war, galt der Löſung des durch Porphyrius und Boëthius
überlieferten Problems, ob die allgemeinen Begriffe der Arten und
Gattungen eine von den wirklichen Dingen unabhängige Realität be-
ſäßen oder ob ſie nur als ſubjective Vorſtellungen zu gelten hätten.
Dies iſt die Grundfrage der Scholaſtik. Die erſte an Plato ſich an-
ſchließende Beantwortungsart ſtellt den von Wilhelm von Champeaux
beſonders vertretenen Realismus, die letztere den Nominalismus dar,
deſſen Erneuerer, Roſcellinus, zum Widerruf ſeiner Lehre gezwungen
wurde. Im Grunde war hiernach bereits Johannes Scotus Erigena
Scholaſtiker. Ihm iſt Gott die einzig wahre Subſtanz; alle Geſchöpfe
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