Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Zoologie des Mittelalters.
nix, Drache, die Serra und vieles Andere, was zum Theil aus alten
Quellen her, zum Theil aus dem Physiologus und ähnlichen Schriften
bekannt war. Auch die Namengebung ist durchaus die populäre, über-
lieferte, sowohl bei den ganzen Gruppen als auch bei den einzelnen
Formen. Wie bedenklich die nicht gar selten gegebene Etymologie der
Thiernamen ausgefallen ist, wurde bereits angedeutet. Der Ausdruck
Genus kommt zwar öfter vor und es gewinnt sogar zuweilen den An-
schein, als läge diesem Worte hier schon ein anderer Sinn unter, als
bei den Vorgängern des Thomas. Es wird dasselbe indeß auch hier
als bloße Bezeichnung einer logischen Gliederung gebraucht. So heißt
es z. B. beim Falken, daß das eine Genus der Lanerfalken zwei Ge-
nera umfasse.

Das Werk des Thomas erhält nun dadurch noch ein besonderes
historisches Interesse, daß es sich selbst nicht als ein auf eigne Unter-
suchungen gegründetes, sondern aus den verschiedensten Autoren zu-
sammengestelltes bezeichnet. So wenig es hiernach auf den ersten Blick
als eine wissenschaftliche Leistung anzusehen oder überhaupt dem Ver-
fasser als Verdienst anzurechnen wäre, wenn derselbe in einer Zeit ge-
lebt hätte, wo auf der einen Seite der Kreis der zu beherrschenden That-
sachen noch eng und ein vollständiges Durchdringen des Ganzen von
einem einzelnen Forscher noch möglich war, auf der andern Seite aber
durch Ausbildung der Beobachtungsmittel, durch Entwickelung einer
naturwissenschaftlichen Methode und durch den instinctiv gewordenen
Drang nach thatsächlicher, nicht bloß litterarischer Begründung einer
vorgebrachten Ansicht das Hauptgewicht factisch auf das Zeugniß der
sinnlichen Erfahrung gelegt wird, so war es doch etwas anderes, wenn
ein Schriftsteller überhaupt zum ersten Male es unternahm, das ge-
sammte thatsächliche Material in einer übersichtlichen Form zur Dar-
stellung zu bringen. Und dies that Thomas von Cantimpre. Die
äußere Anregung hierzu nahm er zwar aus einem Ausspruch Augu-
stin
's in dessen Schrift von der christlichen Lehre, wo derselbe sagt, daß
es äußerst nützlich wäre, wenn jemand die Mühe auf sich nehmen
wollte, die Natur der Dinge, vorzüglich der Thiere in einem Bande
zusammenzufassen (Schlußwort des Thomas). Er hielt sich aber, wie

Die Zoologie des Mittelalters.
nix, Drache, die Serra und vieles Andere, was zum Theil aus alten
Quellen her, zum Theil aus dem Phyſiologus und ähnlichen Schriften
bekannt war. Auch die Namengebung iſt durchaus die populäre, über-
lieferte, ſowohl bei den ganzen Gruppen als auch bei den einzelnen
Formen. Wie bedenklich die nicht gar ſelten gegebene Etymologie der
Thiernamen ausgefallen iſt, wurde bereits angedeutet. Der Ausdruck
Genus kommt zwar öfter vor und es gewinnt ſogar zuweilen den An-
ſchein, als läge dieſem Worte hier ſchon ein anderer Sinn unter, als
bei den Vorgängern des Thomas. Es wird daſſelbe indeß auch hier
als bloße Bezeichnung einer logiſchen Gliederung gebraucht. So heißt
es z. B. beim Falken, daß das eine Genus der Lanerfalken zwei Ge-
nera umfaſſe.

Das Werk des Thomas erhält nun dadurch noch ein beſonderes
hiſtoriſches Intereſſe, daß es ſich ſelbſt nicht als ein auf eigne Unter-
ſuchungen gegründetes, ſondern aus den verſchiedenſten Autoren zu-
ſammengeſtelltes bezeichnet. So wenig es hiernach auf den erſten Blick
als eine wiſſenſchaftliche Leiſtung anzuſehen oder überhaupt dem Ver-
faſſer als Verdienſt anzurechnen wäre, wenn derſelbe in einer Zeit ge-
lebt hätte, wo auf der einen Seite der Kreis der zu beherrſchenden That-
ſachen noch eng und ein vollſtändiges Durchdringen des Ganzen von
einem einzelnen Forſcher noch möglich war, auf der andern Seite aber
durch Ausbildung der Beobachtungsmittel, durch Entwickelung einer
naturwiſſenſchaftlichen Methode und durch den inſtinctiv gewordenen
Drang nach thatſächlicher, nicht bloß litterariſcher Begründung einer
vorgebrachten Anſicht das Hauptgewicht factiſch auf das Zeugniß der
ſinnlichen Erfahrung gelegt wird, ſo war es doch etwas anderes, wenn
ein Schriftſteller überhaupt zum erſten Male es unternahm, das ge-
ſammte thatſächliche Material in einer überſichtlichen Form zur Dar-
ſtellung zu bringen. Und dies that Thomas von Cantimpré. Die
äußere Anregung hierzu nahm er zwar aus einem Ausſpruch Augu-
ſtin
's in deſſen Schrift von der chriſtlichen Lehre, wo derſelbe ſagt, daß
es äußerſt nützlich wäre, wenn jemand die Mühe auf ſich nehmen
wollte, die Natur der Dinge, vorzüglich der Thiere in einem Bande
zuſammenzufaſſen (Schlußwort des Thomas). Er hielt ſich aber, wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0229" n="218"/><fw place="top" type="header">Die Zoologie des Mittelalters.</fw><lb/>
nix, Drache, die Serra und vieles Andere, was zum Theil aus alten<lb/>
Quellen her, zum Theil aus dem Phy&#x017F;iologus und ähnlichen Schriften<lb/>
bekannt war. Auch die Namengebung i&#x017F;t durchaus die populäre, über-<lb/>
lieferte, &#x017F;owohl bei den ganzen Gruppen als auch bei den einzelnen<lb/>
Formen. Wie bedenklich die nicht gar &#x017F;elten gegebene Etymologie der<lb/>
Thiernamen ausgefallen i&#x017F;t, wurde bereits angedeutet. Der Ausdruck<lb/>
Genus kommt zwar öfter vor und es gewinnt &#x017F;ogar zuweilen den An-<lb/>
&#x017F;chein, als läge die&#x017F;em Worte hier &#x017F;chon ein anderer Sinn unter, als<lb/>
bei den Vorgängern des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118802003">Thomas</persName>. Es wird da&#x017F;&#x017F;elbe indeß auch hier<lb/>
als bloße Bezeichnung einer logi&#x017F;chen Gliederung gebraucht. So heißt<lb/>
es z. B. beim Falken, daß das eine Genus der Lanerfalken zwei Ge-<lb/>
nera umfa&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>Das Werk des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118802003">Thomas</persName> erhält nun dadurch noch ein be&#x017F;onderes<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;ches Intere&#x017F;&#x017F;e, daß es &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht als ein auf eigne Unter-<lb/>
&#x017F;uchungen gegründetes, &#x017F;ondern aus den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Autoren zu-<lb/>
&#x017F;ammenge&#x017F;telltes bezeichnet. So wenig es hiernach auf den er&#x017F;ten Blick<lb/>
als eine wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Lei&#x017F;tung anzu&#x017F;ehen oder überhaupt dem Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;er als Verdien&#x017F;t anzurechnen wäre, wenn der&#x017F;elbe in einer Zeit ge-<lb/>
lebt hätte, wo auf der einen Seite der Kreis der zu beherr&#x017F;chenden That-<lb/>
&#x017F;achen noch eng und ein voll&#x017F;tändiges Durchdringen des Ganzen von<lb/>
einem einzelnen For&#x017F;cher noch möglich war, auf der andern Seite aber<lb/>
durch Ausbildung der Beobachtungsmittel, durch Entwickelung einer<lb/>
naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Methode und durch den in&#x017F;tinctiv gewordenen<lb/>
Drang nach that&#x017F;ächlicher, nicht bloß litterari&#x017F;cher Begründung einer<lb/>
vorgebrachten An&#x017F;icht das Hauptgewicht facti&#x017F;ch auf das Zeugniß der<lb/>
&#x017F;innlichen Erfahrung gelegt wird, &#x017F;o war es doch etwas anderes, wenn<lb/>
ein Schrift&#x017F;teller überhaupt zum er&#x017F;ten Male es unternahm, das ge-<lb/>
&#x017F;ammte that&#x017F;ächliche Material in einer über&#x017F;ichtlichen Form zur Dar-<lb/>
&#x017F;tellung zu bringen. Und dies that <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118802003">Thomas</persName> von Cantimpré. Die<lb/>
äußere Anregung hierzu nahm er zwar aus einem Aus&#x017F;pruch <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118505114">Augu-<lb/>
&#x017F;tin</persName>'s in de&#x017F;&#x017F;en Schrift von der chri&#x017F;tlichen Lehre, wo der&#x017F;elbe &#x017F;agt, daß<lb/>
es äußer&#x017F;t nützlich wäre, wenn jemand die Mühe auf &#x017F;ich nehmen<lb/>
wollte, die Natur der Dinge, vorzüglich der Thiere in einem Bande<lb/>
zu&#x017F;ammenzufa&#x017F;&#x017F;en (Schlußwort des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118802003">Thomas</persName>). Er hielt &#x017F;ich aber, wie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0229] Die Zoologie des Mittelalters. nix, Drache, die Serra und vieles Andere, was zum Theil aus alten Quellen her, zum Theil aus dem Phyſiologus und ähnlichen Schriften bekannt war. Auch die Namengebung iſt durchaus die populäre, über- lieferte, ſowohl bei den ganzen Gruppen als auch bei den einzelnen Formen. Wie bedenklich die nicht gar ſelten gegebene Etymologie der Thiernamen ausgefallen iſt, wurde bereits angedeutet. Der Ausdruck Genus kommt zwar öfter vor und es gewinnt ſogar zuweilen den An- ſchein, als läge dieſem Worte hier ſchon ein anderer Sinn unter, als bei den Vorgängern des Thomas. Es wird daſſelbe indeß auch hier als bloße Bezeichnung einer logiſchen Gliederung gebraucht. So heißt es z. B. beim Falken, daß das eine Genus der Lanerfalken zwei Ge- nera umfaſſe. Das Werk des Thomas erhält nun dadurch noch ein beſonderes hiſtoriſches Intereſſe, daß es ſich ſelbſt nicht als ein auf eigne Unter- ſuchungen gegründetes, ſondern aus den verſchiedenſten Autoren zu- ſammengeſtelltes bezeichnet. So wenig es hiernach auf den erſten Blick als eine wiſſenſchaftliche Leiſtung anzuſehen oder überhaupt dem Ver- faſſer als Verdienſt anzurechnen wäre, wenn derſelbe in einer Zeit ge- lebt hätte, wo auf der einen Seite der Kreis der zu beherrſchenden That- ſachen noch eng und ein vollſtändiges Durchdringen des Ganzen von einem einzelnen Forſcher noch möglich war, auf der andern Seite aber durch Ausbildung der Beobachtungsmittel, durch Entwickelung einer naturwiſſenſchaftlichen Methode und durch den inſtinctiv gewordenen Drang nach thatſächlicher, nicht bloß litterariſcher Begründung einer vorgebrachten Anſicht das Hauptgewicht factiſch auf das Zeugniß der ſinnlichen Erfahrung gelegt wird, ſo war es doch etwas anderes, wenn ein Schriftſteller überhaupt zum erſten Male es unternahm, das ge- ſammte thatſächliche Material in einer überſichtlichen Form zur Dar- ſtellung zu bringen. Und dies that Thomas von Cantimpré. Die äußere Anregung hierzu nahm er zwar aus einem Ausſpruch Augu- ſtin's in deſſen Schrift von der chriſtlichen Lehre, wo derſelbe ſagt, daß es äußerſt nützlich wäre, wenn jemand die Mühe auf ſich nehmen wollte, die Natur der Dinge, vorzüglich der Thiere in einem Bande zuſammenzufaſſen (Schlußwort des Thomas). Er hielt ſich aber, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/229
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/229>, abgerufen am 27.11.2024.