nix, Drache, die Serra und vieles Andere, was zum Theil aus alten Quellen her, zum Theil aus dem Physiologus und ähnlichen Schriften bekannt war. Auch die Namengebung ist durchaus die populäre, über- lieferte, sowohl bei den ganzen Gruppen als auch bei den einzelnen Formen. Wie bedenklich die nicht gar selten gegebene Etymologie der Thiernamen ausgefallen ist, wurde bereits angedeutet. Der Ausdruck Genus kommt zwar öfter vor und es gewinnt sogar zuweilen den An- schein, als läge diesem Worte hier schon ein anderer Sinn unter, als bei den Vorgängern des Thomas. Es wird dasselbe indeß auch hier als bloße Bezeichnung einer logischen Gliederung gebraucht. So heißt es z. B. beim Falken, daß das eine Genus der Lanerfalken zwei Ge- nera umfasse.
Das Werk des Thomas erhält nun dadurch noch ein besonderes historisches Interesse, daß es sich selbst nicht als ein auf eigne Unter- suchungen gegründetes, sondern aus den verschiedensten Autoren zu- sammengestelltes bezeichnet. So wenig es hiernach auf den ersten Blick als eine wissenschaftliche Leistung anzusehen oder überhaupt dem Ver- fasser als Verdienst anzurechnen wäre, wenn derselbe in einer Zeit ge- lebt hätte, wo auf der einen Seite der Kreis der zu beherrschenden That- sachen noch eng und ein vollständiges Durchdringen des Ganzen von einem einzelnen Forscher noch möglich war, auf der andern Seite aber durch Ausbildung der Beobachtungsmittel, durch Entwickelung einer naturwissenschaftlichen Methode und durch den instinctiv gewordenen Drang nach thatsächlicher, nicht bloß litterarischer Begründung einer vorgebrachten Ansicht das Hauptgewicht factisch auf das Zeugniß der sinnlichen Erfahrung gelegt wird, so war es doch etwas anderes, wenn ein Schriftsteller überhaupt zum ersten Male es unternahm, das ge- sammte thatsächliche Material in einer übersichtlichen Form zur Dar- stellung zu bringen. Und dies that Thomas von Cantimpre. Die äußere Anregung hierzu nahm er zwar aus einem Ausspruch Augu- stin's in dessen Schrift von der christlichen Lehre, wo derselbe sagt, daß es äußerst nützlich wäre, wenn jemand die Mühe auf sich nehmen wollte, die Natur der Dinge, vorzüglich der Thiere in einem Bande zusammenzufassen (Schlußwort des Thomas). Er hielt sich aber, wie
Die Zoologie des Mittelalters.
nix, Drache, die Serra und vieles Andere, was zum Theil aus alten Quellen her, zum Theil aus dem Phyſiologus und ähnlichen Schriften bekannt war. Auch die Namengebung iſt durchaus die populäre, über- lieferte, ſowohl bei den ganzen Gruppen als auch bei den einzelnen Formen. Wie bedenklich die nicht gar ſelten gegebene Etymologie der Thiernamen ausgefallen iſt, wurde bereits angedeutet. Der Ausdruck Genus kommt zwar öfter vor und es gewinnt ſogar zuweilen den An- ſchein, als läge dieſem Worte hier ſchon ein anderer Sinn unter, als bei den Vorgängern des Thomas. Es wird daſſelbe indeß auch hier als bloße Bezeichnung einer logiſchen Gliederung gebraucht. So heißt es z. B. beim Falken, daß das eine Genus der Lanerfalken zwei Ge- nera umfaſſe.
Das Werk des Thomas erhält nun dadurch noch ein beſonderes hiſtoriſches Intereſſe, daß es ſich ſelbſt nicht als ein auf eigne Unter- ſuchungen gegründetes, ſondern aus den verſchiedenſten Autoren zu- ſammengeſtelltes bezeichnet. So wenig es hiernach auf den erſten Blick als eine wiſſenſchaftliche Leiſtung anzuſehen oder überhaupt dem Ver- faſſer als Verdienſt anzurechnen wäre, wenn derſelbe in einer Zeit ge- lebt hätte, wo auf der einen Seite der Kreis der zu beherrſchenden That- ſachen noch eng und ein vollſtändiges Durchdringen des Ganzen von einem einzelnen Forſcher noch möglich war, auf der andern Seite aber durch Ausbildung der Beobachtungsmittel, durch Entwickelung einer naturwiſſenſchaftlichen Methode und durch den inſtinctiv gewordenen Drang nach thatſächlicher, nicht bloß litterariſcher Begründung einer vorgebrachten Anſicht das Hauptgewicht factiſch auf das Zeugniß der ſinnlichen Erfahrung gelegt wird, ſo war es doch etwas anderes, wenn ein Schriftſteller überhaupt zum erſten Male es unternahm, das ge- ſammte thatſächliche Material in einer überſichtlichen Form zur Dar- ſtellung zu bringen. Und dies that Thomas von Cantimpré. Die äußere Anregung hierzu nahm er zwar aus einem Ausſpruch Augu- ſtin's in deſſen Schrift von der chriſtlichen Lehre, wo derſelbe ſagt, daß es äußerſt nützlich wäre, wenn jemand die Mühe auf ſich nehmen wollte, die Natur der Dinge, vorzüglich der Thiere in einem Bande zuſammenzufaſſen (Schlußwort des Thomas). Er hielt ſich aber, wie
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Die Zoologie des Mittelalters.
nix, Drache, die Serra und vieles Andere, was zum Theil aus alten
Quellen her, zum Theil aus dem Phyſiologus und ähnlichen Schriften
bekannt war. Auch die Namengebung iſt durchaus die populäre, über-
lieferte, ſowohl bei den ganzen Gruppen als auch bei den einzelnen
Formen. Wie bedenklich die nicht gar ſelten gegebene Etymologie der
Thiernamen ausgefallen iſt, wurde bereits angedeutet. Der Ausdruck
Genus kommt zwar öfter vor und es gewinnt ſogar zuweilen den An-
ſchein, als läge dieſem Worte hier ſchon ein anderer Sinn unter, als
bei den Vorgängern des Thomas. Es wird daſſelbe indeß auch hier
als bloße Bezeichnung einer logiſchen Gliederung gebraucht. So heißt
es z. B. beim Falken, daß das eine Genus der Lanerfalken zwei Ge-
nera umfaſſe.
Das Werk des Thomas erhält nun dadurch noch ein beſonderes
hiſtoriſches Intereſſe, daß es ſich ſelbſt nicht als ein auf eigne Unter-
ſuchungen gegründetes, ſondern aus den verſchiedenſten Autoren zu-
ſammengeſtelltes bezeichnet. So wenig es hiernach auf den erſten Blick
als eine wiſſenſchaftliche Leiſtung anzuſehen oder überhaupt dem Ver-
faſſer als Verdienſt anzurechnen wäre, wenn derſelbe in einer Zeit ge-
lebt hätte, wo auf der einen Seite der Kreis der zu beherrſchenden That-
ſachen noch eng und ein vollſtändiges Durchdringen des Ganzen von
einem einzelnen Forſcher noch möglich war, auf der andern Seite aber
durch Ausbildung der Beobachtungsmittel, durch Entwickelung einer
naturwiſſenſchaftlichen Methode und durch den inſtinctiv gewordenen
Drang nach thatſächlicher, nicht bloß litterariſcher Begründung einer
vorgebrachten Anſicht das Hauptgewicht factiſch auf das Zeugniß der
ſinnlichen Erfahrung gelegt wird, ſo war es doch etwas anderes, wenn
ein Schriftſteller überhaupt zum erſten Male es unternahm, das ge-
ſammte thatſächliche Material in einer überſichtlichen Form zur Dar-
ſtellung zu bringen. Und dies that Thomas von Cantimpré. Die
äußere Anregung hierzu nahm er zwar aus einem Ausſpruch Augu-
ſtin's in deſſen Schrift von der chriſtlichen Lehre, wo derſelbe ſagt, daß
es äußerſt nützlich wäre, wenn jemand die Mühe auf ſich nehmen
wollte, die Natur der Dinge, vorzüglich der Thiere in einem Bande
zuſammenzufaſſen (Schlußwort des Thomas). Er hielt ſich aber, wie
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/229>, abgerufen am 27.11.2024.
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