Die ganze Schrift über die Thiere, welche in der leider sehr incor- rect gedruckten Ausgabe von Jammy den sechsten Band der sämmt- lichen Werke Alberts bildet, ist in sechsundzwanzig Bücher getheilt. Dem Schlußwort des ersten Kapitels des ersten Buches zufolge hat Albert den neunzehn Büchern des Aristoteles noch sieben weitere hinzu- gefügt. Jene neunzehn Bücher sind dieselben, wie sie schon früher bei den arabischen Commentatoren als Inhalt der aristotelischen Zoologie kennen gelernt wurden, nämlich neun ächte und ein unächtes Buch Thiergeschichten, vier Bücher über die Theile und fünf Bücher von der Zeugung und Entwickelung. Bereits Schneider hat bemerkt, daß Albert bei Abfassung seiner Schrift dem durch Michael Scotus über- lieferten Text so getreu gefolgt ist, daß er in seiner ausführlichen Wie- dergabe kaum zehn Zeilen im Ganzen weggelassen hat. Die Schrift stellt, wie schon früher erwähnt wurde, eine Paraphrase in der Art des Avicenna dar im Gegensatze zu der Form eines dem Text selbständig gegenübertretenden Commentars, wie es Averroes und nach ihm Tho- mas von Aquino vorzog212). Von den sieben dem Aristoteles noch hinzugefügten Büchern handelt das erste (das 20.) allgemein von der Natur der thierischen Körper, das zweite (21.) von den Vollkommen- heitsgraden, worin also eine Art Eintheilung gegeben wird, während die übrigen die Thiere einzeln und zwar innerhalb der größeren Grup- pen alphabetisch schildern. So führt das dritte (22.) nach dem Men- schen die vierfüßigen Thiere auf, das vierte (23.) die Vögel, das fünfte (24.) die Wasserthiere, das sechste (25 ) die Schlangen und das letzte (26.) die "kleinen blutlosen Thiere". Dem Alphabet der einzelnen Thiere geht jedesmal eine allgemeine Einleitung voraus.
Gegenüber der Schrift des Thomas von Cantimpre ebenso wie der des Vincenz charakterisirt sich das Werk Alberts als ein viel durch- gearbeiteteres, mit größerem Selbstbewußtsein verfaßtes. Wenn auch Vieles in seinem Text entlehnt ist, so treten doch die Ansichten anderer Autoren nicht wie bei Thomas einfach als Citate auf, welche hinter dem
212) vergl. hierüber die Bemerkungen bei Jourdain, a. a. O. S. 327 und flgde.
Die Zoologie des Mittelalters.
Die ganze Schrift über die Thiere, welche in der leider ſehr incor- rect gedruckten Ausgabe von Jammy den ſechſten Band der ſämmt- lichen Werke Alberts bildet, iſt in ſechsundzwanzig Bücher getheilt. Dem Schlußwort des erſten Kapitels des erſten Buches zufolge hat Albert den neunzehn Büchern des Ariſtoteles noch ſieben weitere hinzu- gefügt. Jene neunzehn Bücher ſind dieſelben, wie ſie ſchon früher bei den arabiſchen Commentatoren als Inhalt der ariſtoteliſchen Zoologie kennen gelernt wurden, nämlich neun ächte und ein unächtes Buch Thiergeſchichten, vier Bücher über die Theile und fünf Bücher von der Zeugung und Entwickelung. Bereits Schneider hat bemerkt, daß Albert bei Abfaſſung ſeiner Schrift dem durch Michael Scotus über- lieferten Text ſo getreu gefolgt iſt, daß er in ſeiner ausführlichen Wie- dergabe kaum zehn Zeilen im Ganzen weggelaſſen hat. Die Schrift ſtellt, wie ſchon früher erwähnt wurde, eine Paraphraſe in der Art des Avicenna dar im Gegenſatze zu der Form eines dem Text ſelbſtändig gegenübertretenden Commentars, wie es Averroës und nach ihm Tho- mas von Aquino vorzog212). Von den ſieben dem Ariſtoteles noch hinzugefügten Büchern handelt das erſte (das 20.) allgemein von der Natur der thieriſchen Körper, das zweite (21.) von den Vollkommen- heitsgraden, worin alſo eine Art Eintheilung gegeben wird, während die übrigen die Thiere einzeln und zwar innerhalb der größeren Grup- pen alphabetiſch ſchildern. So führt das dritte (22.) nach dem Men- ſchen die vierfüßigen Thiere auf, das vierte (23.) die Vögel, das fünfte (24.) die Waſſerthiere, das ſechſte (25 ) die Schlangen und das letzte (26.) die „kleinen blutloſen Thiere“. Dem Alphabet der einzelnen Thiere geht jedesmal eine allgemeine Einleitung voraus.
Gegenüber der Schrift des Thomas von Cantimpré ebenſo wie der des Vincenz charakteriſirt ſich das Werk Alberts als ein viel durch- gearbeiteteres, mit größerem Selbſtbewußtſein verfaßtes. Wenn auch Vieles in ſeinem Text entlehnt iſt, ſo treten doch die Anſichten anderer Autoren nicht wie bei Thomas einfach als Citate auf, welche hinter dem
212) vergl. hierüber die Bemerkungen bei Jourdain, a. a. O. S. 327 und flgde.
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Die Zoologie des Mittelalters.
Die ganze Schrift über die Thiere, welche in der leider ſehr incor-
rect gedruckten Ausgabe von Jammy den ſechſten Band der ſämmt-
lichen Werke Alberts bildet, iſt in ſechsundzwanzig Bücher getheilt.
Dem Schlußwort des erſten Kapitels des erſten Buches zufolge hat
Albert den neunzehn Büchern des Ariſtoteles noch ſieben weitere hinzu-
gefügt. Jene neunzehn Bücher ſind dieſelben, wie ſie ſchon früher bei
den arabiſchen Commentatoren als Inhalt der ariſtoteliſchen Zoologie
kennen gelernt wurden, nämlich neun ächte und ein unächtes Buch
Thiergeſchichten, vier Bücher über die Theile und fünf Bücher von der
Zeugung und Entwickelung. Bereits Schneider hat bemerkt, daß
Albert bei Abfaſſung ſeiner Schrift dem durch Michael Scotus über-
lieferten Text ſo getreu gefolgt iſt, daß er in ſeiner ausführlichen Wie-
dergabe kaum zehn Zeilen im Ganzen weggelaſſen hat. Die Schrift
ſtellt, wie ſchon früher erwähnt wurde, eine Paraphraſe in der Art des
Avicenna dar im Gegenſatze zu der Form eines dem Text ſelbſtändig
gegenübertretenden Commentars, wie es Averroës und nach ihm Tho-
mas von Aquino vorzog 212). Von den ſieben dem Ariſtoteles noch
hinzugefügten Büchern handelt das erſte (das 20.) allgemein von der
Natur der thieriſchen Körper, das zweite (21.) von den Vollkommen-
heitsgraden, worin alſo eine Art Eintheilung gegeben wird, während
die übrigen die Thiere einzeln und zwar innerhalb der größeren Grup-
pen alphabetiſch ſchildern. So führt das dritte (22.) nach dem Men-
ſchen die vierfüßigen Thiere auf, das vierte (23.) die Vögel, das fünfte
(24.) die Waſſerthiere, das ſechſte (25 ) die Schlangen und das letzte
(26.) die „kleinen blutloſen Thiere“. Dem Alphabet der einzelnen Thiere
geht jedesmal eine allgemeine Einleitung voraus.
Gegenüber der Schrift des Thomas von Cantimpré ebenſo wie
der des Vincenz charakteriſirt ſich das Werk Alberts als ein viel durch-
gearbeiteteres, mit größerem Selbſtbewußtſein verfaßtes. Wenn auch
Vieles in ſeinem Text entlehnt iſt, ſo treten doch die Anſichten anderer
Autoren nicht wie bei Thomas einfach als Citate auf, welche hinter dem
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/237>, abgerufen am 24.11.2024.
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