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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Das dreizehnte Jahrhundert.
den Anschein eines nur äußerlichen Formalismus dar, war aber doch
im Grunde gerade dadurch für seine Zeit von größter Bedeutung, daß
es den theologischen Bedürfnissen völlig genügte, ohne die consequente
philosophische Durchbildung vermissen zu lassen. Und in Bezug auf
letztere erscheint Albert in einer vermittelnden Stellung zwischen den
beiden sich einander scharf gegenüberstehenden Parteien, was wiederum
für die naturwissenschaftliche Entwickelung von entscheidendem Einflusse
war. Der Nominalismus des Aristoteles führt ihn zwar zur Anerken-
nung der Thatsache, daß man von der Erfahrung ausgehen sollte; aber
diesem gegenüber gibt ihm seine Auffassung der Theologie als einer
praktischen Wissenschaft die andere Behauptung an die Hand, daß wir
außer der äußern Erfahrung noch eine innere, des frommen Lebens in
uns, zu berücksichtigen haben. Zu letzterer werde der Mensch durch die
erstere geführt; daher muß auch die natürliche Erfahrung, welcher die
innere Erfahrung nur als höhere Form gegenübergestellt werden kann,
mit letzterer und schließlich mit dem Glauben, welcher ja nur Vertrauen
auf eine Erfahrung ist, übereinstimmen. Mit dieser Annahme einer
doppelten Erfahrung steht dann Albert's Stellung zu der scholastischen
Frage nach dem Allgemeinen in Zusammenhang und Uebereinstim-
mung. Dies ist vor den Dingen im göttlichen Verstande, in den Dingen
in der Natur, nach den Dingen im menschlichen Verstande. Die letz-
tere, halb realistische Annahme würde nun, in Verbindung mit der An-
erkennung eines Causalzusammenhanges in den Naturerscheinungen
jedenfalls noch viel fruchtbarer gewesen sein, wenn dem gar nicht selten
sich äußernden Bestreben, den Entscheid über Zweifelhaftes oder ein
Urtheil über Wunderbares aus eigener Erfahrung zu schöpfen, Methode
und eine sich an dieser stärkende Kritik zur Seite gestanden hätte. Hier
war aber sein System nicht im Einklang mit der Leistungsfähigkeit sei-
ner Zeit. Daher ist auch sein Einfluß nicht so nachhaltig gewesen, wie
es sonst wohl hätte erwartet werden können.

Zunächst ist nun der theologisirende Gang Albert's dadurch einer
fruchtbar wissenschaftlichen Auffassung des Thierreichs nicht förderlich,
als er dasselbe mit dem Maße des Menschen und zwar nach dessen see-
lischen Begabungen mißt. War es hiernach nur consequent, weiter zu

Das dreizehnte Jahrhundert.
den Anſchein eines nur äußerlichen Formalismus dar, war aber doch
im Grunde gerade dadurch für ſeine Zeit von größter Bedeutung, daß
es den theologiſchen Bedürfniſſen völlig genügte, ohne die conſequente
philoſophiſche Durchbildung vermiſſen zu laſſen. Und in Bezug auf
letztere erſcheint Albert in einer vermittelnden Stellung zwiſchen den
beiden ſich einander ſcharf gegenüberſtehenden Parteien, was wiederum
für die naturwiſſenſchaftliche Entwickelung von entſcheidendem Einfluſſe
war. Der Nominalismus des Ariſtoteles führt ihn zwar zur Anerken-
nung der Thatſache, daß man von der Erfahrung ausgehen ſollte; aber
dieſem gegenüber gibt ihm ſeine Auffaſſung der Theologie als einer
praktiſchen Wiſſenſchaft die andere Behauptung an die Hand, daß wir
außer der äußern Erfahrung noch eine innere, des frommen Lebens in
uns, zu berückſichtigen haben. Zu letzterer werde der Menſch durch die
erſtere geführt; daher muß auch die natürliche Erfahrung, welcher die
innere Erfahrung nur als höhere Form gegenübergeſtellt werden kann,
mit letzterer und ſchließlich mit dem Glauben, welcher ja nur Vertrauen
auf eine Erfahrung iſt, übereinſtimmen. Mit dieſer Annahme einer
doppelten Erfahrung ſteht dann Albert's Stellung zu der ſcholaſtiſchen
Frage nach dem Allgemeinen in Zuſammenhang und Uebereinſtim-
mung. Dies iſt vor den Dingen im göttlichen Verſtande, in den Dingen
in der Natur, nach den Dingen im menſchlichen Verſtande. Die letz-
tere, halb realiſtiſche Annahme würde nun, in Verbindung mit der An-
erkennung eines Cauſalzuſammenhanges in den Naturerſcheinungen
jedenfalls noch viel fruchtbarer geweſen ſein, wenn dem gar nicht ſelten
ſich äußernden Beſtreben, den Entſcheid über Zweifelhaftes oder ein
Urtheil über Wunderbares aus eigener Erfahrung zu ſchöpfen, Methode
und eine ſich an dieſer ſtärkende Kritik zur Seite geſtanden hätte. Hier
war aber ſein Syſtem nicht im Einklang mit der Leiſtungsfähigkeit ſei-
ner Zeit. Daher iſt auch ſein Einfluß nicht ſo nachhaltig geweſen, wie
es ſonſt wohl hätte erwartet werden können.

Zunächſt iſt nun der theologiſirende Gang Albert's dadurch einer
fruchtbar wiſſenſchaftlichen Auffaſſung des Thierreichs nicht förderlich,
als er daſſelbe mit dem Maße des Menſchen und zwar nach deſſen ſee-
liſchen Begabungen mißt. War es hiernach nur conſequent, weiter zu

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[229/0240] Das dreizehnte Jahrhundert. den Anſchein eines nur äußerlichen Formalismus dar, war aber doch im Grunde gerade dadurch für ſeine Zeit von größter Bedeutung, daß es den theologiſchen Bedürfniſſen völlig genügte, ohne die conſequente philoſophiſche Durchbildung vermiſſen zu laſſen. Und in Bezug auf letztere erſcheint Albert in einer vermittelnden Stellung zwiſchen den beiden ſich einander ſcharf gegenüberſtehenden Parteien, was wiederum für die naturwiſſenſchaftliche Entwickelung von entſcheidendem Einfluſſe war. Der Nominalismus des Ariſtoteles führt ihn zwar zur Anerken- nung der Thatſache, daß man von der Erfahrung ausgehen ſollte; aber dieſem gegenüber gibt ihm ſeine Auffaſſung der Theologie als einer praktiſchen Wiſſenſchaft die andere Behauptung an die Hand, daß wir außer der äußern Erfahrung noch eine innere, des frommen Lebens in uns, zu berückſichtigen haben. Zu letzterer werde der Menſch durch die erſtere geführt; daher muß auch die natürliche Erfahrung, welcher die innere Erfahrung nur als höhere Form gegenübergeſtellt werden kann, mit letzterer und ſchließlich mit dem Glauben, welcher ja nur Vertrauen auf eine Erfahrung iſt, übereinſtimmen. Mit dieſer Annahme einer doppelten Erfahrung ſteht dann Albert's Stellung zu der ſcholaſtiſchen Frage nach dem Allgemeinen in Zuſammenhang und Uebereinſtim- mung. Dies iſt vor den Dingen im göttlichen Verſtande, in den Dingen in der Natur, nach den Dingen im menſchlichen Verſtande. Die letz- tere, halb realiſtiſche Annahme würde nun, in Verbindung mit der An- erkennung eines Cauſalzuſammenhanges in den Naturerſcheinungen jedenfalls noch viel fruchtbarer geweſen ſein, wenn dem gar nicht ſelten ſich äußernden Beſtreben, den Entſcheid über Zweifelhaftes oder ein Urtheil über Wunderbares aus eigener Erfahrung zu ſchöpfen, Methode und eine ſich an dieſer ſtärkende Kritik zur Seite geſtanden hätte. Hier war aber ſein Syſtem nicht im Einklang mit der Leiſtungsfähigkeit ſei- ner Zeit. Daher iſt auch ſein Einfluß nicht ſo nachhaltig geweſen, wie es ſonſt wohl hätte erwartet werden können. Zunächſt iſt nun der theologiſirende Gang Albert's dadurch einer fruchtbar wiſſenſchaftlichen Auffaſſung des Thierreichs nicht förderlich, als er daſſelbe mit dem Maße des Menſchen und zwar nach deſſen ſee- liſchen Begabungen mißt. War es hiernach nur conſequent, weiter zu

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/240>, abgerufen am 24.11.2024.