nur in der aristotelischen Bedeutung des Wortes gegenüber den Be- standtheilen. Von einer etwaigen Vergleichung derselben als Glied- maßen mit solchen des Rumpfes ist auch nicht im entferntesten die Rede.
In Bezug auf seine anatomischen Kenntnisse ist nun kaum noch zu erwähnen nöthig, daß er zwar die Muskeln beschreibt (wobei er die Beuge- und Streckseite der Extremitäten in der Weise des Mundinus als domestica und sylvestris bezeichnet), aber die Sehnen immer noch Nerven nennt, diesen die eigentlich bewegende Kraft beilegt und sie vom Herzen entspringen läßt. Von den eigentlichen Nerven hat er keine Vorstellung, ebensowenig von ihrer Bedeutung bei der Wirkungsart der Sinnesorgane. Eigenthümlich ist es, daß auch Albert bei Schilderung des Gehirns nach Aristoteles in den auch neuerdings wiederholten und bereits oben (S. 69. Anm. 89) gerügten Fehler verfällt, Aristoteles habe den hintern Raum des Schädels unter dem Tentorium als hohl beschrieben222). Die Arterien enthalten Luft; das Herz hat drei Höh- len. Das Gehirn ist feucht und kalt u. s. w.
Bei solchen anatomischen Anschauungen ist es nicht zu verwun- dern, daß seine Physiologie sich in gleicher Weise von den alten Grund- fehlern befangen zeigt, trotzdem daß er manche Punkte, wie die Zeu- gung, Entstehung der Geschlechter, Begattung mit einer großen Aus- führlichkeit behandelt. Dabei macht sich aber der scholastische Zug der haarspaltenden Worterklärung und spitzfindigsten Dialektik in hohem Maße geltend. Zu Experimenten, auf welche er sich zuweilen beruft, ohne sie dann mitzutheilen, kommt er nur äußerst selten und dann bei Fragen, welche gar keine grundlegende Bedeutung haben oder deren Tragweite er nicht zu beurtheilen im Stande ist, wie z. B. ob der Sa- lamander im Feuer leben könne. Man weiß auch nicht, ob man bei der- artigen Gelegenheiten an eine grobe Täuschung, welcher er ausgesetzt gewesen ist, oder an eine starke Leichtgläubigkeit seinerseits denken soll. So sagt er z. B. bei Schilderung des Wurmes seta (möglicherweise ein Gordius), daß derselbe vielleicht aus Pferdehaaren entstehe; denn er habe selbst vielfach erfahren, daß diese Haare in stehendem Wasser
nur in der ariſtoteliſchen Bedeutung des Wortes gegenüber den Be- ſtandtheilen. Von einer etwaigen Vergleichung derſelben als Glied- maßen mit ſolchen des Rumpfes iſt auch nicht im entfernteſten die Rede.
In Bezug auf ſeine anatomiſchen Kenntniſſe iſt nun kaum noch zu erwähnen nöthig, daß er zwar die Muskeln beſchreibt (wobei er die Beuge- und Streckſeite der Extremitäten in der Weiſe des Mundinus als domestica und sylvestris bezeichnet), aber die Sehnen immer noch Nerven nennt, dieſen die eigentlich bewegende Kraft beilegt und ſie vom Herzen entſpringen läßt. Von den eigentlichen Nerven hat er keine Vorſtellung, ebenſowenig von ihrer Bedeutung bei der Wirkungsart der Sinnesorgane. Eigenthümlich iſt es, daß auch Albert bei Schilderung des Gehirns nach Ariſtoteles in den auch neuerdings wiederholten und bereits oben (S. 69. Anm. 89) gerügten Fehler verfällt, Ariſtoteles habe den hintern Raum des Schädels unter dem Tentorium als hohl beſchrieben222). Die Arterien enthalten Luft; das Herz hat drei Höh- len. Das Gehirn iſt feucht und kalt u. ſ. w.
Bei ſolchen anatomiſchen Anſchauungen iſt es nicht zu verwun- dern, daß ſeine Phyſiologie ſich in gleicher Weiſe von den alten Grund- fehlern befangen zeigt, trotzdem daß er manche Punkte, wie die Zeu- gung, Entſtehung der Geſchlechter, Begattung mit einer großen Aus- führlichkeit behandelt. Dabei macht ſich aber der ſcholaſtiſche Zug der haarſpaltenden Worterklärung und ſpitzfindigſten Dialektik in hohem Maße geltend. Zu Experimenten, auf welche er ſich zuweilen beruft, ohne ſie dann mitzutheilen, kommt er nur äußerſt ſelten und dann bei Fragen, welche gar keine grundlegende Bedeutung haben oder deren Tragweite er nicht zu beurtheilen im Stande iſt, wie z. B. ob der Sa- lamander im Feuer leben könne. Man weiß auch nicht, ob man bei der- artigen Gelegenheiten an eine grobe Täuſchung, welcher er ausgeſetzt geweſen iſt, oder an eine ſtarke Leichtgläubigkeit ſeinerſeits denken ſoll. So ſagt er z. B. bei Schilderung des Wurmes seta (möglicherweiſe ein Gordius), daß derſelbe vielleicht aus Pferdehaaren entſtehe; denn er habe ſelbſt vielfach erfahren, daß dieſe Haare in ſtehendem Waſſer
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Das dreizehnte Jahrhundert.
nur in der ariſtoteliſchen Bedeutung des Wortes gegenüber den Be-
ſtandtheilen. Von einer etwaigen Vergleichung derſelben als Glied-
maßen mit ſolchen des Rumpfes iſt auch nicht im entfernteſten die Rede.
In Bezug auf ſeine anatomiſchen Kenntniſſe iſt nun kaum noch
zu erwähnen nöthig, daß er zwar die Muskeln beſchreibt (wobei er die
Beuge- und Streckſeite der Extremitäten in der Weiſe des Mundinus als
domestica und sylvestris bezeichnet), aber die Sehnen immer noch
Nerven nennt, dieſen die eigentlich bewegende Kraft beilegt und ſie vom
Herzen entſpringen läßt. Von den eigentlichen Nerven hat er keine
Vorſtellung, ebenſowenig von ihrer Bedeutung bei der Wirkungsart der
Sinnesorgane. Eigenthümlich iſt es, daß auch Albert bei Schilderung
des Gehirns nach Ariſtoteles in den auch neuerdings wiederholten und
bereits oben (S. 69. Anm. 89) gerügten Fehler verfällt, Ariſtoteles
habe den hintern Raum des Schädels unter dem Tentorium als hohl
beſchrieben 222). Die Arterien enthalten Luft; das Herz hat drei Höh-
len. Das Gehirn iſt feucht und kalt u. ſ. w.
Bei ſolchen anatomiſchen Anſchauungen iſt es nicht zu verwun-
dern, daß ſeine Phyſiologie ſich in gleicher Weiſe von den alten Grund-
fehlern befangen zeigt, trotzdem daß er manche Punkte, wie die Zeu-
gung, Entſtehung der Geſchlechter, Begattung mit einer großen Aus-
führlichkeit behandelt. Dabei macht ſich aber der ſcholaſtiſche Zug der
haarſpaltenden Worterklärung und ſpitzfindigſten Dialektik in hohem
Maße geltend. Zu Experimenten, auf welche er ſich zuweilen beruft,
ohne ſie dann mitzutheilen, kommt er nur äußerſt ſelten und dann bei
Fragen, welche gar keine grundlegende Bedeutung haben oder deren
Tragweite er nicht zu beurtheilen im Stande iſt, wie z. B. ob der Sa-
lamander im Feuer leben könne. Man weiß auch nicht, ob man bei der-
artigen Gelegenheiten an eine grobe Täuſchung, welcher er ausgeſetzt
geweſen iſt, oder an eine ſtarke Leichtgläubigkeit ſeinerſeits denken ſoll.
So ſagt er z. B. bei Schilderung des Wurmes seta (möglicherweiſe
ein Gordius), daß derſelbe vielleicht aus Pferdehaaren entſtehe; denn
er habe ſelbſt vielfach erfahren, daß dieſe Haare in ſtehendem Waſſer
222) Opera, ed. Jammy, T. VI. p. 79.
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/242>, abgerufen am 23.11.2024.
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