Erscheinen der Göttlichen Comoedie des Dante Alighieri, da der- selbe, ganz abgesehen vom Inhalt seines großen Gedichtes, nicht bloß die Sprache sich fast ganz zu schaffen hatte, sondern zum erstenmale wieder der Welt zeigte, daß die tiefsten und erhabensten Gedanken einer Ver- bindung mit einer wahrhaft schönen Form des Ausdrucks fähig seien.
Von größerer Bedeutung ist ein Hinblick auf die Stellung der be- wegenden geistigen Mächte zu einander, einerseits des durch die Scho- lastiker wieder zu Ansehn, freilich nur in einseitiger Auffassung, ge- brachten Aristoteles, andrerseits der Kirche. Die Autorität des Aristo- teles, d. h. nicht seiner eigentlichen Lehre und Methode, sondern jener Form aristotelischer Weisheit, wie sie die Scholastik nicht zu wissen- schaftlichen Zwecken allein allmählich herausgebildet hatte, gieng weit über das Gebiet hinaus, auf welchem er vorzüglich Einfluß hätte äußern sollen. Sie stand der der Bibel gleich; was nicht aus Aristoteles zu beweisen war, wurde jetzt, wie später noch, verworfen; man predigte selbst hin und wieder über Aristoteles. Selbstverständlich wurde hier- durch die Aufmerksamkeit von dem Inhalte seiner Werke abgelenkt; es schloß sich die spitzfindigste Dialektik nur an die, mit Recht oder Unrecht auf Aristoteles zurückgeführte Form der Speculation an. Zweck und Ziel dieser war aber auch jetzt noch die wissenschaftliche Begründung der Glaubenssätze. Indessen drängten besonders im vierzehnten Jahr- hundert äußere Momente sowohl in Italien als in Deutschland die rein theologischen Fragen zurück und natürlich mit ihnen das Interesse an Wissenschaft überhaupt, bis letzteres zunächst gleichfalls wieder in for- maler Art von Italien aus angeregt wurde. Es soll hier nicht behauptet werden, daß das merkwürdige Verstummen des naturwissenschaftlichen Eifers vom Anfang des vierzehnten bis zum Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts damit erklärt sei, daß auf die politischen Zustände Deutschlands und Italiens in jener Zeit hingewiesen wird. Sie waren ja von denen der beiden vorausgehenden Jahrhunderte nicht so verschie- den, daß in ihnen allein die Ursache des theilweisen Stillstandes auf naturwissenschaftlichem Gebiete zu erblicken wäre. Doch muß es erlaubt sein, bei einer sonst ziemlich räthselhaften Erscheinung alle Möglich- keiten zu berücksichtigen. Daß der Sinn für die Pflege der Wissenschaf-
Ausgang des Mittelalters.
Erſcheinen der Göttlichen Comoedie des Dante Alighieri, da der- ſelbe, ganz abgeſehen vom Inhalt ſeines großen Gedichtes, nicht bloß die Sprache ſich faſt ganz zu ſchaffen hatte, ſondern zum erſtenmale wieder der Welt zeigte, daß die tiefſten und erhabenſten Gedanken einer Ver- bindung mit einer wahrhaft ſchönen Form des Ausdrucks fähig ſeien.
Von größerer Bedeutung iſt ein Hinblick auf die Stellung der be- wegenden geiſtigen Mächte zu einander, einerſeits des durch die Scho- laſtiker wieder zu Anſehn, freilich nur in einſeitiger Auffaſſung, ge- brachten Ariſtoteles, andrerſeits der Kirche. Die Autorität des Ariſto- teles, d. h. nicht ſeiner eigentlichen Lehre und Methode, ſondern jener Form ariſtoteliſcher Weisheit, wie ſie die Scholaſtik nicht zu wiſſen- ſchaftlichen Zwecken allein allmählich herausgebildet hatte, gieng weit über das Gebiet hinaus, auf welchem er vorzüglich Einfluß hätte äußern ſollen. Sie ſtand der der Bibel gleich; was nicht aus Ariſtoteles zu beweiſen war, wurde jetzt, wie ſpäter noch, verworfen; man predigte ſelbſt hin und wieder über Ariſtoteles. Selbſtverſtändlich wurde hier- durch die Aufmerkſamkeit von dem Inhalte ſeiner Werke abgelenkt; es ſchloß ſich die ſpitzfindigſte Dialektik nur an die, mit Recht oder Unrecht auf Ariſtoteles zurückgeführte Form der Speculation an. Zweck und Ziel dieſer war aber auch jetzt noch die wiſſenſchaftliche Begründung der Glaubensſätze. Indeſſen drängten beſonders im vierzehnten Jahr- hundert äußere Momente ſowohl in Italien als in Deutſchland die rein theologiſchen Fragen zurück und natürlich mit ihnen das Intereſſe an Wiſſenſchaft überhaupt, bis letzteres zunächſt gleichfalls wieder in for- maler Art von Italien aus angeregt wurde. Es ſoll hier nicht behauptet werden, daß das merkwürdige Verſtummen des naturwiſſenſchaftlichen Eifers vom Anfang des vierzehnten bis zum Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts damit erklärt ſei, daß auf die politiſchen Zuſtände Deutſchlands und Italiens in jener Zeit hingewieſen wird. Sie waren ja von denen der beiden vorausgehenden Jahrhunderte nicht ſo verſchie- den, daß in ihnen allein die Urſache des theilweiſen Stillſtandes auf naturwiſſenſchaftlichem Gebiete zu erblicken wäre. Doch muß es erlaubt ſein, bei einer ſonſt ziemlich räthſelhaften Erſcheinung alle Möglich- keiten zu berückſichtigen. Daß der Sinn für die Pflege der Wiſſenſchaf-
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Ausgang des Mittelalters.
Erſcheinen der Göttlichen Comoedie des Dante Alighieri, da der-
ſelbe, ganz abgeſehen vom Inhalt ſeines großen Gedichtes, nicht bloß die
Sprache ſich faſt ganz zu ſchaffen hatte, ſondern zum erſtenmale wieder
der Welt zeigte, daß die tiefſten und erhabenſten Gedanken einer Ver-
bindung mit einer wahrhaft ſchönen Form des Ausdrucks fähig ſeien.
Von größerer Bedeutung iſt ein Hinblick auf die Stellung der be-
wegenden geiſtigen Mächte zu einander, einerſeits des durch die Scho-
laſtiker wieder zu Anſehn, freilich nur in einſeitiger Auffaſſung, ge-
brachten Ariſtoteles, andrerſeits der Kirche. Die Autorität des Ariſto-
teles, d. h. nicht ſeiner eigentlichen Lehre und Methode, ſondern jener
Form ariſtoteliſcher Weisheit, wie ſie die Scholaſtik nicht zu wiſſen-
ſchaftlichen Zwecken allein allmählich herausgebildet hatte, gieng weit
über das Gebiet hinaus, auf welchem er vorzüglich Einfluß hätte äußern
ſollen. Sie ſtand der der Bibel gleich; was nicht aus Ariſtoteles zu
beweiſen war, wurde jetzt, wie ſpäter noch, verworfen; man predigte
ſelbſt hin und wieder über Ariſtoteles. Selbſtverſtändlich wurde hier-
durch die Aufmerkſamkeit von dem Inhalte ſeiner Werke abgelenkt; es
ſchloß ſich die ſpitzfindigſte Dialektik nur an die, mit Recht oder Unrecht
auf Ariſtoteles zurückgeführte Form der Speculation an. Zweck und
Ziel dieſer war aber auch jetzt noch die wiſſenſchaftliche Begründung
der Glaubensſätze. Indeſſen drängten beſonders im vierzehnten Jahr-
hundert äußere Momente ſowohl in Italien als in Deutſchland die rein
theologiſchen Fragen zurück und natürlich mit ihnen das Intereſſe an
Wiſſenſchaft überhaupt, bis letzteres zunächſt gleichfalls wieder in for-
maler Art von Italien aus angeregt wurde. Es ſoll hier nicht behauptet
werden, daß das merkwürdige Verſtummen des naturwiſſenſchaftlichen
Eifers vom Anfang des vierzehnten bis zum Ausgang des fünfzehnten
Jahrhunderts damit erklärt ſei, daß auf die politiſchen Zuſtände
Deutſchlands und Italiens in jener Zeit hingewieſen wird. Sie waren
ja von denen der beiden vorausgehenden Jahrhunderte nicht ſo verſchie-
den, daß in ihnen allein die Urſache des theilweiſen Stillſtandes auf
naturwiſſenſchaftlichem Gebiete zu erblicken wäre. Doch muß es erlaubt
ſein, bei einer ſonſt ziemlich räthſelhaften Erſcheinung alle Möglich-
keiten zu berückſichtigen. Daß der Sinn für die Pflege der Wiſſenſchaf-
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/264>, abgerufen am 22.11.2024.
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