Naturgemäß mußte die Erweiterung der Formenkenntniß zu einer gründlicheren Einsicht in das schon früher Gekannte drängen. Nahm das Gebiet extensiv an Umfang zu, so konnten die neuen Erwerbungen nur dadurch zu einem sicheren Besitzthum der Wissenschaft werden, daß sich gleichzeitig die Forschung vertiefte oder in entsprechendem Grade auch an Intensität gewann. Dies geschah vornehmlich nach zwei Richtungen hin. Die wichtigste derselben tritt mit der allgemeinen Er- hebung der anatomischen Grundansichten in fast gleichzeitiger Folge auf und charakterisirt schon mehrere der ersten zootomischen Leistungen als vergleichend anatomische. Die andere, zur ersten in dem Verhältnisse eines nothwendigen Complements stehend, sucht dasjenige fester zu stellen, was bei dem Zuströmen zahlreicher neuer Gestalten von großer praktischer Bedeutung ist, und was man wohl, den Ausdruck freilich etwas zu eng fassend, die zoologische Charakteristik der Formen nennt. Die Abhängigkeit dieser letzteren von einem Verständniß des inneren Baues der Thiere konnte nun aber in den Jahren, welche hier der Be- trachtung unterliegen, um so weniger eingesehen werden, als man die äußere Erscheinung der Thiere und ihre Anatomie gewissermaßen von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus beurtheilte. Während man bei letzterer den Maßstab des menschlichen Leibes an den Thierkörper legte, erblickte man in den äußeren Gestaltungsverhältnissen der Thiere eben- soviele Offenbarungen wunderbarer Allmacht und schöpferischer Weis- heit. Es war ebensowenig von einer Erfassung morphologischer Gesetz- mäßigkeit wie von einer Ahnung des nothwendigen Zusammenhangs auch der scheinbar äußerlichsten Structurverhältnisse mit dem ganzen Bau der Thiere die Rede.
Nach diesen Bemerkungen schon, und besonders wenn man sich noch der ganzen Haltung der oben geschilderten allgemeinen Darstel- lungen erinnert, wird auch in den Einzelarbeiten noch nicht dieselbe ausschließlich wissenschaftliche Weise der Behandlung der besprochenen Thiere erwartet werden können, welche die besseren Specialleistungen späterer Zeit kennzeichnet. Auf der andern Seite aber ist das Erschei-
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Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
Naturgemäß mußte die Erweiterung der Formenkenntniß zu einer gründlicheren Einſicht in das ſchon früher Gekannte drängen. Nahm das Gebiet extenſiv an Umfang zu, ſo konnten die neuen Erwerbungen nur dadurch zu einem ſicheren Beſitzthum der Wiſſenſchaft werden, daß ſich gleichzeitig die Forſchung vertiefte oder in entſprechendem Grade auch an Intenſität gewann. Dies geſchah vornehmlich nach zwei Richtungen hin. Die wichtigſte derſelben tritt mit der allgemeinen Er- hebung der anatomiſchen Grundanſichten in faſt gleichzeitiger Folge auf und charakteriſirt ſchon mehrere der erſten zootomiſchen Leiſtungen als vergleichend anatomiſche. Die andere, zur erſten in dem Verhältniſſe eines nothwendigen Complements ſtehend, ſucht dasjenige feſter zu ſtellen, was bei dem Zuſtrömen zahlreicher neuer Geſtalten von großer praktiſcher Bedeutung iſt, und was man wohl, den Ausdruck freilich etwas zu eng faſſend, die zoologiſche Charakteriſtik der Formen nennt. Die Abhängigkeit dieſer letzteren von einem Verſtändniß des inneren Baues der Thiere konnte nun aber in den Jahren, welche hier der Be- trachtung unterliegen, um ſo weniger eingeſehen werden, als man die äußere Erſcheinung der Thiere und ihre Anatomie gewiſſermaßen von zwei verſchiedenen Geſichtspunkten aus beurtheilte. Während man bei letzterer den Maßſtab des menſchlichen Leibes an den Thierkörper legte, erblickte man in den äußeren Geſtaltungsverhältniſſen der Thiere eben- ſoviele Offenbarungen wunderbarer Allmacht und ſchöpferiſcher Weis- heit. Es war ebenſowenig von einer Erfaſſung morphologiſcher Geſetz- mäßigkeit wie von einer Ahnung des nothwendigen Zuſammenhangs auch der ſcheinbar äußerlichſten Structurverhältniſſe mit dem ganzen Bau der Thiere die Rede.
Nach dieſen Bemerkungen ſchon, und beſonders wenn man ſich noch der ganzen Haltung der oben geſchilderten allgemeinen Darſtel- lungen erinnert, wird auch in den Einzelarbeiten noch nicht dieſelbe ausſchließlich wiſſenſchaftliche Weiſe der Behandlung der beſprochenen Thiere erwartet werden können, welche die beſſeren Specialleiſtungen ſpäterer Zeit kennzeichnet. Auf der andern Seite aber iſt das Erſchei-
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Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
Naturgemäß mußte die Erweiterung der Formenkenntniß zu einer
gründlicheren Einſicht in das ſchon früher Gekannte drängen. Nahm
das Gebiet extenſiv an Umfang zu, ſo konnten die neuen Erwerbungen
nur dadurch zu einem ſicheren Beſitzthum der Wiſſenſchaft werden, daß
ſich gleichzeitig die Forſchung vertiefte oder in entſprechendem Grade
auch an Intenſität gewann. Dies geſchah vornehmlich nach zwei
Richtungen hin. Die wichtigſte derſelben tritt mit der allgemeinen Er-
hebung der anatomiſchen Grundanſichten in faſt gleichzeitiger Folge auf
und charakteriſirt ſchon mehrere der erſten zootomiſchen Leiſtungen als
vergleichend anatomiſche. Die andere, zur erſten in dem Verhältniſſe
eines nothwendigen Complements ſtehend, ſucht dasjenige feſter zu
ſtellen, was bei dem Zuſtrömen zahlreicher neuer Geſtalten von großer
praktiſcher Bedeutung iſt, und was man wohl, den Ausdruck freilich
etwas zu eng faſſend, die zoologiſche Charakteriſtik der Formen nennt.
Die Abhängigkeit dieſer letzteren von einem Verſtändniß des inneren
Baues der Thiere konnte nun aber in den Jahren, welche hier der Be-
trachtung unterliegen, um ſo weniger eingeſehen werden, als man die
äußere Erſcheinung der Thiere und ihre Anatomie gewiſſermaßen von
zwei verſchiedenen Geſichtspunkten aus beurtheilte. Während man bei
letzterer den Maßſtab des menſchlichen Leibes an den Thierkörper legte,
erblickte man in den äußeren Geſtaltungsverhältniſſen der Thiere eben-
ſoviele Offenbarungen wunderbarer Allmacht und ſchöpferiſcher Weis-
heit. Es war ebenſowenig von einer Erfaſſung morphologiſcher Geſetz-
mäßigkeit wie von einer Ahnung des nothwendigen Zuſammenhangs
auch der ſcheinbar äußerlichſten Structurverhältniſſe mit dem ganzen
Bau der Thiere die Rede.
Nach dieſen Bemerkungen ſchon, und beſonders wenn man ſich
noch der ganzen Haltung der oben geſchilderten allgemeinen Darſtel-
lungen erinnert, wird auch in den Einzelarbeiten noch nicht dieſelbe
ausſchließlich wiſſenſchaftliche Weiſe der Behandlung der beſprochenen
Thiere erwartet werden können, welche die beſſeren Specialleiſtungen
ſpäterer Zeit kennzeichnet. Auf der andern Seite aber iſt das Erſchei-
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/350>, abgerufen am 22.11.2024.
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