zu betrachten, wenn er nicht trotz seiner Verallgemeinerungen bloß einen im Ganzen nicht sehr umfangreichen Formenkreis durchforscht hätte. Die Art indessen, wie er das gethan hat, läßt ihn immer als einen der ausgezeichnetsten Beobachter des siebzehnten Jahrhunderts erkennen.
Benutzte Malpighi das Mikroskop planmäßig und den Bedürf- nissen einer Untersuchungsreihe entsprechend, so war das Instrument in den Händen des andern berühmten Mikroskopikers des siebzehnten Jahrhunderts mehr oder weniger das Mittel, die Neugierde, welche die Wunder einer bis dahin unsichtbaren Welt in empfänglichen Geistern erregte, zu befriedigen. Und doch sind die Entdeckungen, welche die Frucht eines emsigen, durch fünfzig Jahre fortgesetzten Gebrauchs des Mikroskops waren, extensiv sowie ihrer Tragweite nach die wichtig- sten und einflußreichsten. Anton von Leeuwenhoek war 1632 in Delft geboren, genoß keine gelehrte Erziehung, da er zum Kauf- mannsstande bestimmt war (er soll nicht einmal Latein verstanden ha- ben), wandte sich aber aus Liebhaberei dem Verfertigen vorzüglicher Linsen zu, mittelst deren er unablässig immer neue und neue Gegen- stände durchsuchte, ohne bei diesen Untersuchungen von irgend einem durchgehenden wissenschaftlichen Plane geleitet zu werden. Die könig- liche Gesellschaft zu London, welcher er seine Beobachtungen übersandte, machte ihn zum Mitgliede. Er starb 90 Jahre alt, 1723, in seiner Geburtsstadt. Ist hiernach Leeuwenhoek gewissermaßen als der erste Repräsentant jener Dilettanten zu betrachten, welche durch das Mi- kroskop einem inneren gemüthlichen Drange Genüge zu leisten suchten, so ist doch die Kenntniß nicht bloß zahlreicher seiner Formenverhältnisse des Thierkörpers, sondern auch der Aufschluß einer ganzen Welt mi- kroskopischer Lebensformen sein Verdienst. Was die ersteren betrifft, so ist kaum ein anatomisches System zu nennen, an welchem Leeuwen- hoek nicht wichtige neue Sachen gefunden hätte. Er entdeckte die Blut- körperchen und sah zum erstenmale die Blutbewegung in den Gefäßen an dem Schwanze der Froschlarven (Malpighi soll bereits vorher in der Froschlunge die Blutbewegung gesehen haben; doch läßt sich dies nicht sicher nachweisen). Er sah die Querstreifen der Muskelfasern und schilderte diese als Bündel von Fäserchen. Er sah die Zahnröhr-
zu betrachten, wenn er nicht trotz ſeiner Verallgemeinerungen bloß einen im Ganzen nicht ſehr umfangreichen Formenkreis durchforſcht hätte. Die Art indeſſen, wie er das gethan hat, läßt ihn immer als einen der ausgezeichnetſten Beobachter des ſiebzehnten Jahrhunderts erkennen.
Benutzte Malpighi das Mikroſkop planmäßig und den Bedürf- niſſen einer Unterſuchungsreihe entſprechend, ſo war das Inſtrument in den Händen des andern berühmten Mikroſkopikers des ſiebzehnten Jahrhunderts mehr oder weniger das Mittel, die Neugierde, welche die Wunder einer bis dahin unſichtbaren Welt in empfänglichen Geiſtern erregte, zu befriedigen. Und doch ſind die Entdeckungen, welche die Frucht eines emſigen, durch fünfzig Jahre fortgeſetzten Gebrauchs des Mikroſkops waren, extenſiv ſowie ihrer Tragweite nach die wichtig- ſten und einflußreichſten. Anton von Leeuwenhoek war 1632 in Delft geboren, genoß keine gelehrte Erziehung, da er zum Kauf- mannsſtande beſtimmt war (er ſoll nicht einmal Latein verſtanden ha- ben), wandte ſich aber aus Liebhaberei dem Verfertigen vorzüglicher Linſen zu, mittelſt deren er unabläſſig immer neue und neue Gegen- ſtände durchſuchte, ohne bei dieſen Unterſuchungen von irgend einem durchgehenden wiſſenſchaftlichen Plane geleitet zu werden. Die könig- liche Geſellſchaft zu London, welcher er ſeine Beobachtungen überſandte, machte ihn zum Mitgliede. Er ſtarb 90 Jahre alt, 1723, in ſeiner Geburtsſtadt. Iſt hiernach Leeuwenhoek gewiſſermaßen als der erſte Repräſentant jener Dilettanten zu betrachten, welche durch das Mi- kroſkop einem inneren gemüthlichen Drange Genüge zu leiſten ſuchten, ſo iſt doch die Kenntniß nicht bloß zahlreicher ſeiner Formenverhältniſſe des Thierkörpers, ſondern auch der Aufſchluß einer ganzen Welt mi- kroſkopiſcher Lebensformen ſein Verdienſt. Was die erſteren betrifft, ſo iſt kaum ein anatomiſches Syſtem zu nennen, an welchem Leeuwen- hoek nicht wichtige neue Sachen gefunden hätte. Er entdeckte die Blut- körperchen und ſah zum erſtenmale die Blutbewegung in den Gefäßen an dem Schwanze der Froſchlarven (Malpighi ſoll bereits vorher in der Froſchlunge die Blutbewegung geſehen haben; doch läßt ſich dies nicht ſicher nachweiſen). Er ſah die Querſtreifen der Muskelfaſern und ſchilderte dieſe als Bündel von Fäſerchen. Er ſah die Zahnröhr-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0410"n="399"/><fwplace="top"type="header"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/119188279">Anton von Leeuwenhoek</persName>.</fw><lb/>
zu betrachten, wenn er nicht trotz ſeiner Verallgemeinerungen bloß einen<lb/>
im Ganzen nicht ſehr umfangreichen Formenkreis durchforſcht hätte.<lb/>
Die Art indeſſen, wie er das gethan hat, läßt ihn immer als einen<lb/>
der ausgezeichnetſten Beobachter des ſiebzehnten Jahrhunderts erkennen.</p><lb/><p>Benutzte <persNameref="http://d-nb.info/gnd/119403099">Malpighi</persName> das Mikroſkop planmäßig und den Bedürf-<lb/>
niſſen einer Unterſuchungsreihe entſprechend, ſo war das Inſtrument<lb/>
in den Händen des andern berühmten Mikroſkopikers des ſiebzehnten<lb/>
Jahrhunderts mehr oder weniger das Mittel, die Neugierde, welche die<lb/>
Wunder einer bis dahin unſichtbaren Welt in empfänglichen Geiſtern<lb/>
erregte, zu befriedigen. Und doch ſind die Entdeckungen, welche die<lb/>
Frucht eines emſigen, durch fünfzig Jahre fortgeſetzten Gebrauchs des<lb/>
Mikroſkops waren, extenſiv ſowie ihrer Tragweite nach die wichtig-<lb/>ſten und einflußreichſten. <hirendition="#g"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/119188279">Anton von Leeuwenhoek</persName></hi> war 1632<lb/>
in Delft geboren, genoß keine gelehrte Erziehung, da er zum Kauf-<lb/>
mannsſtande beſtimmt war (er ſoll nicht einmal Latein verſtanden ha-<lb/>
ben), wandte ſich aber aus Liebhaberei dem Verfertigen vorzüglicher<lb/>
Linſen zu, mittelſt deren er unabläſſig immer neue und neue Gegen-<lb/>ſtände durchſuchte, ohne bei dieſen Unterſuchungen von irgend einem<lb/>
durchgehenden wiſſenſchaftlichen Plane geleitet zu werden. Die könig-<lb/>
liche Geſellſchaft zu London, welcher er ſeine Beobachtungen überſandte,<lb/>
machte ihn zum Mitgliede. Er ſtarb 90 Jahre alt, 1723, in ſeiner<lb/>
Geburtsſtadt. Iſt hiernach <persNameref="http://d-nb.info/gnd/119188279">Leeuwenhoek</persName> gewiſſermaßen als der erſte<lb/>
Repräſentant jener Dilettanten zu betrachten, welche durch das Mi-<lb/>
kroſkop einem inneren gemüthlichen Drange Genüge zu leiſten ſuchten,<lb/>ſo iſt doch die Kenntniß nicht bloß zahlreicher ſeiner Formenverhältniſſe<lb/>
des Thierkörpers, ſondern auch der Aufſchluß einer ganzen Welt mi-<lb/>
kroſkopiſcher Lebensformen ſein Verdienſt. Was die erſteren betrifft,<lb/>ſo iſt kaum ein anatomiſches Syſtem zu nennen, an welchem <persNameref="http://d-nb.info/gnd/119188279">Leeuwen-<lb/>
hoek</persName> nicht wichtige neue Sachen gefunden hätte. Er entdeckte die Blut-<lb/>
körperchen und ſah zum erſtenmale die Blutbewegung in den Gefäßen<lb/>
an dem Schwanze der Froſchlarven (<persNameref="http://d-nb.info/gnd/119403099">Malpighi</persName>ſoll bereits vorher in<lb/>
der Froſchlunge die Blutbewegung geſehen haben; doch läßt ſich dies<lb/>
nicht ſicher nachweiſen). Er ſah die Querſtreifen der Muskelfaſern<lb/>
und ſchilderte dieſe als Bündel von Fäſerchen. Er ſah die Zahnröhr-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[399/0410]
Anton von Leeuwenhoek.
zu betrachten, wenn er nicht trotz ſeiner Verallgemeinerungen bloß einen
im Ganzen nicht ſehr umfangreichen Formenkreis durchforſcht hätte.
Die Art indeſſen, wie er das gethan hat, läßt ihn immer als einen
der ausgezeichnetſten Beobachter des ſiebzehnten Jahrhunderts erkennen.
Benutzte Malpighi das Mikroſkop planmäßig und den Bedürf-
niſſen einer Unterſuchungsreihe entſprechend, ſo war das Inſtrument
in den Händen des andern berühmten Mikroſkopikers des ſiebzehnten
Jahrhunderts mehr oder weniger das Mittel, die Neugierde, welche die
Wunder einer bis dahin unſichtbaren Welt in empfänglichen Geiſtern
erregte, zu befriedigen. Und doch ſind die Entdeckungen, welche die
Frucht eines emſigen, durch fünfzig Jahre fortgeſetzten Gebrauchs des
Mikroſkops waren, extenſiv ſowie ihrer Tragweite nach die wichtig-
ſten und einflußreichſten. Anton von Leeuwenhoek war 1632
in Delft geboren, genoß keine gelehrte Erziehung, da er zum Kauf-
mannsſtande beſtimmt war (er ſoll nicht einmal Latein verſtanden ha-
ben), wandte ſich aber aus Liebhaberei dem Verfertigen vorzüglicher
Linſen zu, mittelſt deren er unabläſſig immer neue und neue Gegen-
ſtände durchſuchte, ohne bei dieſen Unterſuchungen von irgend einem
durchgehenden wiſſenſchaftlichen Plane geleitet zu werden. Die könig-
liche Geſellſchaft zu London, welcher er ſeine Beobachtungen überſandte,
machte ihn zum Mitgliede. Er ſtarb 90 Jahre alt, 1723, in ſeiner
Geburtsſtadt. Iſt hiernach Leeuwenhoek gewiſſermaßen als der erſte
Repräſentant jener Dilettanten zu betrachten, welche durch das Mi-
kroſkop einem inneren gemüthlichen Drange Genüge zu leiſten ſuchten,
ſo iſt doch die Kenntniß nicht bloß zahlreicher ſeiner Formenverhältniſſe
des Thierkörpers, ſondern auch der Aufſchluß einer ganzen Welt mi-
kroſkopiſcher Lebensformen ſein Verdienſt. Was die erſteren betrifft,
ſo iſt kaum ein anatomiſches Syſtem zu nennen, an welchem Leeuwen-
hoek nicht wichtige neue Sachen gefunden hätte. Er entdeckte die Blut-
körperchen und ſah zum erſtenmale die Blutbewegung in den Gefäßen
an dem Schwanze der Froſchlarven (Malpighi ſoll bereits vorher in
der Froſchlunge die Blutbewegung geſehen haben; doch läßt ſich dies
nicht ſicher nachweiſen). Er ſah die Querſtreifen der Muskelfaſern
und ſchilderte dieſe als Bündel von Fäſerchen. Er ſah die Zahnröhr-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/410>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.