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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
sophischen Werkstätten Griechenlands stammte, und wonach der
Monotheismus, d. h. die Vorstellung eines einzigen unteilbaren Gottes,
das Symptom einer höheren Religion sein sollte; das ist eine durchaus
rationalistische Schlussfolgerung; die Arithmetik hat mit Religion gar
nichts gemeinsam; der Monotheismus kann ebenso gut eine Ver-
armung wie eine Veredelung des religiösen Lebens bedeuten. Ausser-
dem ist auf dieses verhängnisvolle Vorurteil, welches vielleicht mehr
als irgend etwas anderes zu der Wahnvorstellung einer religiösen
Superiorität der Juden beigetragen hat, zweierlei zu entgegnen: erstens,
dass die Juden, solange sie eine Nation bildeten und ihre Religion
noch einen Funken frischen Lebens besass, nicht Mono-, sondern
Polytheisten waren, für die jedes Ländchen und jedes Stämmchen
seinen eigenen Gott hatte; zweitens, dass die Arier auf ihrem rein
religiösen Wege zu viel grossartigeren Vorstellungen eines alleinigen
Göttlichen gelangt waren, als die kümmerlich verschrumpfte des
jüdischen Weltschöpfers.1)

1) Belege für den Polytheismus der Juden brauche ich nicht zu geben; man
findet sie in jedem wissenschaftlichen Werke, ausserdem auf jeder dritten Seite des
alten Testaments; siehe auch hier, Kap. 5. Sogar in den Psalmen werden "alle
Götter" aufgefordert, Jahve anzubeten; Jahve ist nur insofern für die späteren
Juden der "einzige Gott", als auch die Juden (wie uns Philo soeben mitteilte) "die
einzigen Menschen im wahren Sinne" sind. Robertson Smith, dessen Religion of the
Semites
als ein wissenschaftlich grundlegendes Werk gilt, bezeugt, dass der Mono-
theismus nicht aus einer ursprünglichen religiösen Anlage des semitischen Geistes
hervorgehe, sondern im Wesentlichen ein politisches Ergebnis sei!! (Siehe
das genannte Werk, S. 74). -- In Bezug auf den Monotheismus der Indoeuropäer
bemerke ich kurz Folgendes. Das Brahman der indischen Weisen ist ohne Frage
der gewaltigste religiöse Gedanke, der je gedacht wurde; der griechische Bildner
war aber auf demselben Wege, Ernst Curtius bezeugt es in einem Brief, geschrieben
kurz vor seinem Tode; er arbeitete damals an seiner Geschichte von Olympia und
sagt: "Ich habe viel Neues gelernt, namentlich welche Burg monotheistischer
Gottesanschauung
Olympia und welche sittliche Weltmacht der Zeus des
Phidias gewesen ist" (Bf. an Gelzer vom 1. Jan. 1896, veröffentlicht in der Deutschen
Revue,
1897, S. 241). -- Übrigens, man kann sich hier auf die unverdächtigsten
aller Zeugen berufen. Der Apostel Paulus sagt (Römer I, 21): "die Römer wussten,
dass Ein Gott ist"; und der Kirchenvater Augustinus führt aus, im elften Kapitel
des vierten Buches seines De civitate Dei, wie, nach den Ansichten der gebildeten
Römer seiner Zeit, der "magni doctores paganorum", Jupiter der einige, einzige Gott
sei, alle übrigen Gottheiten nur einzelne seiner "virtutes" veranschaulichten.
Augustinus benutzt diese schon vorhandene Anschauung, um den Heiden klar zu
machen, es würde ihnen keine Mühe kosten, zum Glauben an den einigen Gott
überzugehen und die übrigen Gestalten aufzugeben. "Haec si ita sint, quid perderent,
si unum Deum colerent prudentiore compendio?
" (Die Empfehlung des Glaubens

Das Erbe der alten Welt.
sophischen Werkstätten Griechenlands stammte, und wonach der
Monotheismus, d. h. die Vorstellung eines einzigen unteilbaren Gottes,
das Symptom einer höheren Religion sein sollte; das ist eine durchaus
rationalistische Schlussfolgerung; die Arithmetik hat mit Religion gar
nichts gemeinsam; der Monotheismus kann ebenso gut eine Ver-
armung wie eine Veredelung des religiösen Lebens bedeuten. Ausser-
dem ist auf dieses verhängnisvolle Vorurteil, welches vielleicht mehr
als irgend etwas anderes zu der Wahnvorstellung einer religiösen
Superiorität der Juden beigetragen hat, zweierlei zu entgegnen: erstens,
dass die Juden, solange sie eine Nation bildeten und ihre Religion
noch einen Funken frischen Lebens besass, nicht Mono-, sondern
Polytheisten waren, für die jedes Ländchen und jedes Stämmchen
seinen eigenen Gott hatte; zweitens, dass die Arier auf ihrem rein
religiösen Wege zu viel grossartigeren Vorstellungen eines alleinigen
Göttlichen gelangt waren, als die kümmerlich verschrumpfte des
jüdischen Weltschöpfers.1)

1) Belege für den Polytheismus der Juden brauche ich nicht zu geben; man
findet sie in jedem wissenschaftlichen Werke, ausserdem auf jeder dritten Seite des
alten Testaments; siehe auch hier, Kap. 5. Sogar in den Psalmen werden »alle
Götter« aufgefordert, Jahve anzubeten; Jahve ist nur insofern für die späteren
Juden der »einzige Gott«, als auch die Juden (wie uns Philo soeben mitteilte) »die
einzigen Menschen im wahren Sinne« sind. Robertson Smith, dessen Religion of the
Semites
als ein wissenschaftlich grundlegendes Werk gilt, bezeugt, dass der Mono-
theismus nicht aus einer ursprünglichen religiösen Anlage des semitischen Geistes
hervorgehe, sondern im Wesentlichen ein politisches Ergebnis sei!! (Siehe
das genannte Werk, S. 74). — In Bezug auf den Monotheismus der Indoeuropäer
bemerke ich kurz Folgendes. Das Brahman der indischen Weisen ist ohne Frage
der gewaltigste religiöse Gedanke, der je gedacht wurde; der griechische Bildner
war aber auf demselben Wege, Ernst Curtius bezeugt es in einem Brief, geschrieben
kurz vor seinem Tode; er arbeitete damals an seiner Geschichte von Olympia und
sagt: »Ich habe viel Neues gelernt, namentlich welche Burg monotheistischer
Gottesanschauung
Olympia und welche sittliche Weltmacht der Zeus des
Phidias gewesen ist« (Bf. an Gelzer vom 1. Jan. 1896, veröffentlicht in der Deutschen
Revue,
1897, S. 241). — Übrigens, man kann sich hier auf die unverdächtigsten
aller Zeugen berufen. Der Apostel Paulus sagt (Römer I, 21): »die Römer wussten,
dass Ein Gott ist«; und der Kirchenvater Augustinus führt aus, im elften Kapitel
des vierten Buches seines De civitate Dei, wie, nach den Ansichten der gebildeten
Römer seiner Zeit, der »magni doctores paganorum«, Jupiter der einige, einzige Gott
sei, alle übrigen Gottheiten nur einzelne seiner »virtutes« veranschaulichten.
Augustinus benutzt diese schon vorhandene Anschauung, um den Heiden klar zu
machen, es würde ihnen keine Mühe kosten, zum Glauben an den einigen Gott
überzugehen und die übrigen Gestalten aufzugeben. »Haec si ita sint, quid perderent,
si unum Deum colerent prudentiore compendio?
« (Die Empfehlung des Glaubens
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[224/0247] Das Erbe der alten Welt. sophischen Werkstätten Griechenlands stammte, und wonach der Monotheismus, d. h. die Vorstellung eines einzigen unteilbaren Gottes, das Symptom einer höheren Religion sein sollte; das ist eine durchaus rationalistische Schlussfolgerung; die Arithmetik hat mit Religion gar nichts gemeinsam; der Monotheismus kann ebenso gut eine Ver- armung wie eine Veredelung des religiösen Lebens bedeuten. Ausser- dem ist auf dieses verhängnisvolle Vorurteil, welches vielleicht mehr als irgend etwas anderes zu der Wahnvorstellung einer religiösen Superiorität der Juden beigetragen hat, zweierlei zu entgegnen: erstens, dass die Juden, solange sie eine Nation bildeten und ihre Religion noch einen Funken frischen Lebens besass, nicht Mono-, sondern Polytheisten waren, für die jedes Ländchen und jedes Stämmchen seinen eigenen Gott hatte; zweitens, dass die Arier auf ihrem rein religiösen Wege zu viel grossartigeren Vorstellungen eines alleinigen Göttlichen gelangt waren, als die kümmerlich verschrumpfte des jüdischen Weltschöpfers. 1) 1) Belege für den Polytheismus der Juden brauche ich nicht zu geben; man findet sie in jedem wissenschaftlichen Werke, ausserdem auf jeder dritten Seite des alten Testaments; siehe auch hier, Kap. 5. Sogar in den Psalmen werden »alle Götter« aufgefordert, Jahve anzubeten; Jahve ist nur insofern für die späteren Juden der »einzige Gott«, als auch die Juden (wie uns Philo soeben mitteilte) »die einzigen Menschen im wahren Sinne« sind. Robertson Smith, dessen Religion of the Semites als ein wissenschaftlich grundlegendes Werk gilt, bezeugt, dass der Mono- theismus nicht aus einer ursprünglichen religiösen Anlage des semitischen Geistes hervorgehe, sondern im Wesentlichen ein politisches Ergebnis sei!! (Siehe das genannte Werk, S. 74). — In Bezug auf den Monotheismus der Indoeuropäer bemerke ich kurz Folgendes. Das Brahman der indischen Weisen ist ohne Frage der gewaltigste religiöse Gedanke, der je gedacht wurde; der griechische Bildner war aber auf demselben Wege, Ernst Curtius bezeugt es in einem Brief, geschrieben kurz vor seinem Tode; er arbeitete damals an seiner Geschichte von Olympia und sagt: »Ich habe viel Neues gelernt, namentlich welche Burg monotheistischer Gottesanschauung Olympia und welche sittliche Weltmacht der Zeus des Phidias gewesen ist« (Bf. an Gelzer vom 1. Jan. 1896, veröffentlicht in der Deutschen Revue, 1897, S. 241). — Übrigens, man kann sich hier auf die unverdächtigsten aller Zeugen berufen. Der Apostel Paulus sagt (Römer I, 21): »die Römer wussten, dass Ein Gott ist«; und der Kirchenvater Augustinus führt aus, im elften Kapitel des vierten Buches seines De civitate Dei, wie, nach den Ansichten der gebildeten Römer seiner Zeit, der »magni doctores paganorum«, Jupiter der einige, einzige Gott sei, alle übrigen Gottheiten nur einzelne seiner »virtutes« veranschaulichten. Augustinus benutzt diese schon vorhandene Anschauung, um den Heiden klar zu machen, es würde ihnen keine Mühe kosten, zum Glauben an den einigen Gott überzugehen und die übrigen Gestalten aufzugeben. »Haec si ita sint, quid perderent, si unum Deum colerent prudentiore compendio?« (Die Empfehlung des Glaubens

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/247>, abgerufen am 24.11.2024.