Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. dem Werden des jüdischen Volkes. Dokumente liegen in Hülle undFülle vor; gerade in unsrem Jahrhundert sind sie durch die hingebende Arbeit gelehrter Männer -- zumeist Deutscher, doch auch hervor- ragender Franzosen, Holländer und Engländer -- geprüft, kritisch ge- sichtet und historisch klassifiziert worden; viel bleibt noch zu thun, doch ist genug schon geschehen, damit wir eines der merkwürdigsten und dadurch fesselndsten Blätter menschlicher Historie im Grossen und Ganzen bereits deutlich überblicken können. Dieser Jude, der so ewig unveränderlich, so beharrlich, wie Goethe meinte, erscheint, er ist doch geworden, langsam geworden, ja, "künstlich" geworden! Sicherlich wird er auch, wie alles Gewordene, vergehen. Schon das bringt ihn uns menschlich näher. Was ein "Semit" ist, das vermag kein Mensch zu sagen. Vor hundert Jahren glaubte es die Wissenschaft zu wissen: Semiten waren die Söhne Sem's; jetzt wird die Antwort immer unbestimmter; man hatte gewähnt, das sprachliche Kriterium sei entscheidend: ein gewaltiger Irrtum! Zwar bleibt der Begriff "Semit" unentbehrlich, weil durch ihn ein vielseitiger Komplex historischer Erscheinungen in seiner Zusammengehörigkeit bezeichnet wird; es fehlt jedoch jede feste Grenzlinie; an der Peripherie schmilzt diese ethnographische Vorstellung mit anderen zusammen. Schliesslich bleibt der "Semit", als Begriff einer Urrasse, gleichwie der "Arier", einer jener Rechenpfennige, ohne welche man sich nicht verständigen könnte, die man sich aber wohl hüten muss, für bare Münze zu halten. Die wirkliche bare Münze sind dagegen jene empirisch gegebenen, historisch gewordenen nationalen Individualitäten, von denen ich im vorigen Kapitel gesprochen habe, solche Individualitäten wie z. B. die Juden. Rasse ist nicht ein Urphänomen, sondern sie wird erzeugt: physiologisch durch charakteristische Blutmischung, gefolgt von Inzucht; psychisch, durch den Einfluss, welchen lang anhaltende, historisch-geographische Bedingungen auf jene besondere, spezifische, physiologische Anlage ausüben.1) Wollen wir also (und das, meine ich, muss die Hauptaufgabe dieses Kapitels sein) den Juden fragen: wer bist du? so müssen wir zuerst erforschen, ob dieser so scharf ausgeprägten Individualität nicht eine Blutmischung zu Grunde liegt, und sodann -- wenn das Resultat ein bejahendes ist -- verfolgen, wie die hierdurch entstandene eigenartige Seele sich immer weiter differenzierte. Wie nirgends anderswo kann man 1) Vergl. S. 288.
Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. dem Werden des jüdischen Volkes. Dokumente liegen in Hülle undFülle vor; gerade in unsrem Jahrhundert sind sie durch die hingebende Arbeit gelehrter Männer — zumeist Deutscher, doch auch hervor- ragender Franzosen, Holländer und Engländer — geprüft, kritisch ge- sichtet und historisch klassifiziert worden; viel bleibt noch zu thun, doch ist genug schon geschehen, damit wir eines der merkwürdigsten und dadurch fesselndsten Blätter menschlicher Historie im Grossen und Ganzen bereits deutlich überblicken können. Dieser Jude, der so ewig unveränderlich, so beharrlich, wie Goethe meinte, erscheint, er ist doch geworden, langsam geworden, ja, »künstlich« geworden! Sicherlich wird er auch, wie alles Gewordene, vergehen. Schon das bringt ihn uns menschlich näher. Was ein »Semit« ist, das vermag kein Mensch zu sagen. Vor hundert Jahren glaubte es die Wissenschaft zu wissen: Semiten waren die Söhne Sem’s; jetzt wird die Antwort immer unbestimmter; man hatte gewähnt, das sprachliche Kriterium sei entscheidend: ein gewaltiger Irrtum! Zwar bleibt der Begriff »Semit« unentbehrlich, weil durch ihn ein vielseitiger Komplex historischer Erscheinungen in seiner Zusammengehörigkeit bezeichnet wird; es fehlt jedoch jede feste Grenzlinie; an der Peripherie schmilzt diese ethnographische Vorstellung mit anderen zusammen. Schliesslich bleibt der »Semit«, als Begriff einer Urrasse, gleichwie der »Arier«, einer jener Rechenpfennige, ohne welche man sich nicht verständigen könnte, die man sich aber wohl hüten muss, für bare Münze zu halten. Die wirkliche bare Münze sind dagegen jene empirisch gegebenen, historisch gewordenen nationalen Individualitäten, von denen ich im vorigen Kapitel gesprochen habe, solche Individualitäten wie z. B. die Juden. Rasse ist nicht ein Urphänomen, sondern sie wird erzeugt: physiologisch durch charakteristische Blutmischung, gefolgt von Inzucht; psychisch, durch den Einfluss, welchen lang anhaltende, historisch-geographische Bedingungen auf jene besondere, spezifische, physiologische Anlage ausüben.1) Wollen wir also (und das, meine ich, muss die Hauptaufgabe dieses Kapitels sein) den Juden fragen: wer bist du? so müssen wir zuerst erforschen, ob dieser so scharf ausgeprägten Individualität nicht eine Blutmischung zu Grunde liegt, und sodann — wenn das Resultat ein bejahendes ist — verfolgen, wie die hierdurch entstandene eigenartige Seele sich immer weiter differenzierte. Wie nirgends anderswo kann man 1) Vergl. S. 288.
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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
dem Werden des jüdischen Volkes. Dokumente liegen in Hülle und
Fülle vor; gerade in unsrem Jahrhundert sind sie durch die hingebende
Arbeit gelehrter Männer — zumeist Deutscher, doch auch hervor-
ragender Franzosen, Holländer und Engländer — geprüft, kritisch ge-
sichtet und historisch klassifiziert worden; viel bleibt noch zu thun,
doch ist genug schon geschehen, damit wir eines der merkwürdigsten
und dadurch fesselndsten Blätter menschlicher Historie im Grossen
und Ganzen bereits deutlich überblicken können. Dieser Jude, der so
ewig unveränderlich, so beharrlich, wie Goethe meinte, erscheint, er
ist doch geworden, langsam geworden, ja, »künstlich« geworden!
Sicherlich wird er auch, wie alles Gewordene, vergehen. Schon das
bringt ihn uns menschlich näher. Was ein »Semit« ist, das vermag
kein Mensch zu sagen. Vor hundert Jahren glaubte es die Wissenschaft
zu wissen: Semiten waren die Söhne Sem’s; jetzt wird die Antwort
immer unbestimmter; man hatte gewähnt, das sprachliche Kriterium
sei entscheidend: ein gewaltiger Irrtum! Zwar bleibt der Begriff
»Semit« unentbehrlich, weil durch ihn ein vielseitiger Komplex
historischer Erscheinungen in seiner Zusammengehörigkeit bezeichnet
wird; es fehlt jedoch jede feste Grenzlinie; an der Peripherie schmilzt
diese ethnographische Vorstellung mit anderen zusammen. Schliesslich
bleibt der »Semit«, als Begriff einer Urrasse, gleichwie der »Arier«,
einer jener Rechenpfennige, ohne welche man sich nicht verständigen
könnte, die man sich aber wohl hüten muss, für bare Münze zu
halten. Die wirkliche bare Münze sind dagegen jene empirisch
gegebenen, historisch gewordenen nationalen Individualitäten, von
denen ich im vorigen Kapitel gesprochen habe, solche Individualitäten
wie z. B. die Juden. Rasse ist nicht ein Urphänomen, sondern sie
wird erzeugt: physiologisch durch charakteristische Blutmischung,
gefolgt von Inzucht; psychisch, durch den Einfluss, welchen lang
anhaltende, historisch-geographische Bedingungen auf jene besondere,
spezifische, physiologische Anlage ausüben. 1) Wollen wir also (und
das, meine ich, muss die Hauptaufgabe dieses Kapitels sein) den
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dieser so scharf ausgeprägten Individualität nicht eine Blutmischung
zu Grunde liegt, und sodann — wenn das Resultat ein bejahendes
ist — verfolgen, wie die hierdurch entstandene eigenartige Seele sich
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