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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
Form, eine schon bestehende Tradition, eine schon geübte staats-
männische Erfahrung, an die es sich anlehnen, in denen es zu fester,
dauernder Gestalt sich herauskrystallisieren konnte. Es fand nicht allein
die staatsmännische Idee, sondern ebenfalls die geübten Staatsmänner.
Tertullian z. B., der den ersten tötlichen Schlag gegen das frei-spekulative
hellenische Christentum that, indem er die lateinische Sprache an Stelle
der griechischen in die Kirche einführte -- eine Sprache, in der jede
Metaphysik und Mystik unmöglich ist und in welcher die paulinischen
Briefe ihrer tiefen Bedeutung entkleidet werden -- Tertullian war ein
Rechtsanwalt und begründete "die Richtung der abendländischen Dog-
matik auf das Juristische", einmal durch die Betonung des materiell
gerichtlichen Moments in den religiösen Vorstellungen, sodann, indem
er juristisch gefärbte, der lateinischen praktischen Welt angepasste Begriffe
in die Vorstellungen von Gott, von den "zwei Substanzen" Christi,
von der Freiheit des (als juristisch verklagt gedachten) Menschen u. s. w.
einführte.1) Neben dieser theoretischen Bethätigung praktischer Männer,
gab es ihre organisatorische. Ambrosius z. B., die rechte Hand des
Theodosius, war ein Civilbeamter und wurde zum Bischof gemacht,
ehe er noch getauft worden war! Er selber erzählt freimütig, wie
er "vom Tribunal fortgeholt wurde", weil der Kaiser ihn an anderer
Stelle, nämlich in der Kirche, zu dem grossen Werk der Organisation
verwenden wollte, und wie er dadurch in die peinliche Lage geriet,
Andere über das Christentum belehren zu müssen, ehe er selber
darüber Bescheid wusste.2) Von solchen Männern sind die Grundlagen
der römischen Kirche gelegt worden, nicht von den Nachfolgern Petri
in Rom, deren Namen in den ersten Jahrhunderten kaum bekannt sind.
Von unberechenbarem Wert für die Einflussnahme der Bischöfe war
z. B. die Verfügung Konstantin's, wonach in der altrömischen Rechts-
einrichtung des receptum arbitrii (Schiedsgericht) bestimmt wurde, so-
bald der Bischof Schiedsrichter sei, bleibe sein Urteil rechtskräftig und
ohne höhere Instanz; für die Christen war es in vielen Fällen religiöse
Pflicht, sich an den Bischof zu wenden; nunmehr war dieser auch civil-
rechtlich ihr oberster Richter.3) Aus dieser selben, rein staatlichen,

1) Vergl. Harnack: a. a. O., S. 103. Über die unausbleiblich hemmende
Wirkung der lateinischen Sprache auf alle Spekulation und Wissenschaft, siehe
Goethe's Bemerkungen in seiner Geschichte der Farbenlehre.
2) Vergl. den Anfang von De officiis ministrorum.
3) Auch dies war keine neue, christliche Erfindung; schon von Alters her
hatte es in Rom im Gegensatz zum jus civile ein jus pontificium gegeben; nur

Der Kampf.
Form, eine schon bestehende Tradition, eine schon geübte staats-
männische Erfahrung, an die es sich anlehnen, in denen es zu fester,
dauernder Gestalt sich herauskrystallisieren konnte. Es fand nicht allein
die staatsmännische Idee, sondern ebenfalls die geübten Staatsmänner.
Tertullian z. B., der den ersten tötlichen Schlag gegen das frei-spekulative
hellenische Christentum that, indem er die lateinische Sprache an Stelle
der griechischen in die Kirche einführte — eine Sprache, in der jede
Metaphysik und Mystik unmöglich ist und in welcher die paulinischen
Briefe ihrer tiefen Bedeutung entkleidet werden — Tertullian war ein
Rechtsanwalt und begründete »die Richtung der abendländischen Dog-
matik auf das Juristische«, einmal durch die Betonung des materiell
gerichtlichen Moments in den religiösen Vorstellungen, sodann, indem
er juristisch gefärbte, der lateinischen praktischen Welt angepasste Begriffe
in die Vorstellungen von Gott, von den »zwei Substanzen« Christi,
von der Freiheit des (als juristisch verklagt gedachten) Menschen u. s. w.
einführte.1) Neben dieser theoretischen Bethätigung praktischer Männer,
gab es ihre organisatorische. Ambrosius z. B., die rechte Hand des
Theodosius, war ein Civilbeamter und wurde zum Bischof gemacht,
ehe er noch getauft worden war! Er selber erzählt freimütig, wie
er »vom Tribunal fortgeholt wurde«, weil der Kaiser ihn an anderer
Stelle, nämlich in der Kirche, zu dem grossen Werk der Organisation
verwenden wollte, und wie er dadurch in die peinliche Lage geriet,
Andere über das Christentum belehren zu müssen, ehe er selber
darüber Bescheid wusste.2) Von solchen Männern sind die Grundlagen
der römischen Kirche gelegt worden, nicht von den Nachfolgern Petri
in Rom, deren Namen in den ersten Jahrhunderten kaum bekannt sind.
Von unberechenbarem Wert für die Einflussnahme der Bischöfe war
z. B. die Verfügung Konstantin’s, wonach in der altrömischen Rechts-
einrichtung des receptum arbitrii (Schiedsgericht) bestimmt wurde, so-
bald der Bischof Schiedsrichter sei, bleibe sein Urteil rechtskräftig und
ohne höhere Instanz; für die Christen war es in vielen Fällen religiöse
Pflicht, sich an den Bischof zu wenden; nunmehr war dieser auch civil-
rechtlich ihr oberster Richter.3) Aus dieser selben, rein staatlichen,

1) Vergl. Harnack: a. a. O., S. 103. Über die unausbleiblich hemmende
Wirkung der lateinischen Sprache auf alle Spekulation und Wissenschaft, siehe
Goethe’s Bemerkungen in seiner Geschichte der Farbenlehre.
2) Vergl. den Anfang von De officiis ministrorum.
3) Auch dies war keine neue, christliche Erfindung; schon von Alters her
hatte es in Rom im Gegensatz zum jus civile ein jus pontificium gegeben; nur
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[630/0109] Der Kampf. Form, eine schon bestehende Tradition, eine schon geübte staats- männische Erfahrung, an die es sich anlehnen, in denen es zu fester, dauernder Gestalt sich herauskrystallisieren konnte. Es fand nicht allein die staatsmännische Idee, sondern ebenfalls die geübten Staatsmänner. Tertullian z. B., der den ersten tötlichen Schlag gegen das frei-spekulative hellenische Christentum that, indem er die lateinische Sprache an Stelle der griechischen in die Kirche einführte — eine Sprache, in der jede Metaphysik und Mystik unmöglich ist und in welcher die paulinischen Briefe ihrer tiefen Bedeutung entkleidet werden — Tertullian war ein Rechtsanwalt und begründete »die Richtung der abendländischen Dog- matik auf das Juristische«, einmal durch die Betonung des materiell gerichtlichen Moments in den religiösen Vorstellungen, sodann, indem er juristisch gefärbte, der lateinischen praktischen Welt angepasste Begriffe in die Vorstellungen von Gott, von den »zwei Substanzen« Christi, von der Freiheit des (als juristisch verklagt gedachten) Menschen u. s. w. einführte. 1) Neben dieser theoretischen Bethätigung praktischer Männer, gab es ihre organisatorische. Ambrosius z. B., die rechte Hand des Theodosius, war ein Civilbeamter und wurde zum Bischof gemacht, ehe er noch getauft worden war! Er selber erzählt freimütig, wie er »vom Tribunal fortgeholt wurde«, weil der Kaiser ihn an anderer Stelle, nämlich in der Kirche, zu dem grossen Werk der Organisation verwenden wollte, und wie er dadurch in die peinliche Lage geriet, Andere über das Christentum belehren zu müssen, ehe er selber darüber Bescheid wusste. 2) Von solchen Männern sind die Grundlagen der römischen Kirche gelegt worden, nicht von den Nachfolgern Petri in Rom, deren Namen in den ersten Jahrhunderten kaum bekannt sind. Von unberechenbarem Wert für die Einflussnahme der Bischöfe war z. B. die Verfügung Konstantin’s, wonach in der altrömischen Rechts- einrichtung des receptum arbitrii (Schiedsgericht) bestimmt wurde, so- bald der Bischof Schiedsrichter sei, bleibe sein Urteil rechtskräftig und ohne höhere Instanz; für die Christen war es in vielen Fällen religiöse Pflicht, sich an den Bischof zu wenden; nunmehr war dieser auch civil- rechtlich ihr oberster Richter. 3) Aus dieser selben, rein staatlichen, 1) Vergl. Harnack: a. a. O., S. 103. Über die unausbleiblich hemmende Wirkung der lateinischen Sprache auf alle Spekulation und Wissenschaft, siehe Goethe’s Bemerkungen in seiner Geschichte der Farbenlehre. 2) Vergl. den Anfang von De officiis ministrorum. 3) Auch dies war keine neue, christliche Erfindung; schon von Alters her hatte es in Rom im Gegensatz zum jus civile ein jus pontificium gegeben; nur

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 630. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/109>, abgerufen am 24.11.2024.