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Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802.

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Man kann hier auch, so wie es an Stäben geschehen ist, einen Unterschied zwischen
einer gänzlichen Besestigung, und einer bloßen Anstemmung eines oder beyder Enden anneh-
men; es werden aber an einer Scheibe, wo eine Seite oder zwey einander entgegengesetzte
Seiten angestemmt sind, meistens nur wenige Schwingungsarten mit Mühe können hervor-
gebracht werden, und dabey werden die Töne sehr rauh und die Figuren meistens sehr unregel-
mäßig seyn, weil die Aufstemmung nicht überall so gleichförmig seyn, oder so gleichförmig
würken kann, daß die Schwingungen nicht sollten gehindert werden. Geschieht die Aufstem-
mung nur in einem oder wenigen Puncten, so werden zwar mancherley Schwingungen sich
leichter hervorbringen lassen, sie werden aber nicht nach ebendenselben Grundsätzen zu beurthei-
len seyn, indem alsdenn meistens Verzerrungen solcher Klangfiguren erscheinen werden, die
einer freyen Scheibe zukommen.

109.

An einer ganz freyen Rectangelscheibe kommen die einfachern Schwingungsarten
mit denen überein, deren ein frey schwingender Stab nach §. 82. fähig ist. Bey der einfach-
sten Schwingungsart, wo jede Faser wie bey Fig. 24. schwingt, zeigen sich bey dem Aufstreuen
des Sandes zwey nach einerley Richtung gehende, und von den Enden fast um den vierten
Theil der Länge der Scheibe entfernte Linien Fig. 47; hier ist nähmlich die Scheibe in der
24sten Figur im Profil, und in der 47sten im Grundrisse dargestellt. Bey der zweyten
Schwingungsart, wo die Krümmung einer jeden Faser wie bey Fig. 25. beschaffen ist, zeigen
sich drey nach einerley Richtung gehende Knotenlinien Fig. 48, von denen die äußersten fast
um den 6ten Theil der Länge der Scheibe von den Enden entfernt sind; eben so kann die
Scheibe sich auch in mehrere Theile eintheilen, so daß sich vier, fünf, oder mehrere Knoten-
linien zeigen, von denen die äußersten allemahl nur beynahe halb so weit, als die Länge eines
zwischen zwey Knotenlinien befindlichem schwingenden Theiles beträgt, von den Enden der
Scheibe entfernt sind. Die Tonverhältnisse sind ebendieselben, wie bey einem an beyden
Enden freyen Stabe, und kommen ebenfalls mit den Quadraten von 3, 5, 7, 9 u. s. w.
überein, die Breite der Scheibe sey so beträchtlich, oder so geringe, als man wolle. Zu
Hervorbringung dieser Schwingungsarten wird es am besten seyn, wenn man die Scheibe an
einer Stelle, auf welche eine der äußersten Knotenlinien fällt, mit den Spitzen des Daumen
und zweyten Fingers hält, und, wenn die Linien mit dem kürzern Durchmesser parallel seyn
sollen, in der Mitte einer schmalen Seite mit dem Violinbogen streicht. Wenn

Man kann hier auch, ſo wie es an Staͤben geſchehen iſt, einen Unterſchied zwiſchen
einer gaͤnzlichen Beſeſtigung, und einer bloßen Anſtemmung eines oder beyder Enden anneh-
men; es werden aber an einer Scheibe, wo eine Seite oder zwey einander entgegengeſetzte
Seiten angeſtemmt ſind, meiſtens nur wenige Schwingungsarten mit Muͤhe koͤnnen hervor-
gebracht werden, und dabey werden die Toͤne ſehr rauh und die Figuren meiſtens ſehr unregel-
maͤßig ſeyn, weil die Aufſtemmung nicht uͤberall ſo gleichfoͤrmig ſeyn, oder ſo gleichfoͤrmig
wuͤrken kann, daß die Schwingungen nicht ſollten gehindert werden. Geſchieht die Aufſtem-
mung nur in einem oder wenigen Puncten, ſo werden zwar mancherley Schwingungen ſich
leichter hervorbringen laſſen, ſie werden aber nicht nach ebendenſelben Grundſaͤtzen zu beurthei-
len ſeyn, indem alsdenn meiſtens Verzerrungen ſolcher Klangfiguren erſcheinen werden, die
einer freyen Scheibe zukommen.

109.

An einer ganz freyen Rectangelſcheibe kommen die einfachern Schwingungsarten
mit denen uͤberein, deren ein frey ſchwingender Stab nach §. 82. faͤhig iſt. Bey der einfach-
ſten Schwingungsart, wo jede Faſer wie bey Fig. 24. ſchwingt, zeigen ſich bey dem Aufſtreuen
des Sandes zwey nach einerley Richtung gehende, und von den Enden faſt um den vierten
Theil der Laͤnge der Scheibe entfernte Linien Fig. 47; hier iſt naͤhmlich die Scheibe in der
24ſten Figur im Profil, und in der 47ſten im Grundriſſe dargeſtellt. Bey der zweyten
Schwingungsart, wo die Kruͤmmung einer jeden Faſer wie bey Fig. 25. beſchaffen iſt, zeigen
ſich drey nach einerley Richtung gehende Knotenlinien Fig. 48, von denen die aͤußerſten faſt
um den 6ten Theil der Laͤnge der Scheibe von den Enden entfernt ſind; eben ſo kann die
Scheibe ſich auch in mehrere Theile eintheilen, ſo daß ſich vier, fuͤnf, oder mehrere Knoten-
linien zeigen, von denen die aͤußerſten allemahl nur beynahe halb ſo weit, als die Laͤnge eines
zwiſchen zwey Knotenlinien befindlichem ſchwingenden Theiles betraͤgt, von den Enden der
Scheibe entfernt ſind. Die Tonverhaͤltniſſe ſind ebendieſelben, wie bey einem an beyden
Enden freyen Stabe, und kommen ebenfalls mit den Quadraten von 3, 5, 7, 9 u. ſ. w.
uͤberein, die Breite der Scheibe ſey ſo betraͤchtlich, oder ſo geringe, als man wolle. Zu
Hervorbringung dieſer Schwingungsarten wird es am beſten ſeyn, wenn man die Scheibe an
einer Stelle, auf welche eine der aͤußerſten Knotenlinien faͤllt, mit den Spitzen des Daumen
und zweyten Fingers haͤlt, und, wenn die Linien mit dem kuͤrzern Durchmeſſer parallel ſeyn
ſollen, in der Mitte einer ſchmalen Seite mit dem Violinbogen ſtreicht. Wenn

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[125/0159] Man kann hier auch, ſo wie es an Staͤben geſchehen iſt, einen Unterſchied zwiſchen einer gaͤnzlichen Beſeſtigung, und einer bloßen Anſtemmung eines oder beyder Enden anneh- men; es werden aber an einer Scheibe, wo eine Seite oder zwey einander entgegengeſetzte Seiten angeſtemmt ſind, meiſtens nur wenige Schwingungsarten mit Muͤhe koͤnnen hervor- gebracht werden, und dabey werden die Toͤne ſehr rauh und die Figuren meiſtens ſehr unregel- maͤßig ſeyn, weil die Aufſtemmung nicht uͤberall ſo gleichfoͤrmig ſeyn, oder ſo gleichfoͤrmig wuͤrken kann, daß die Schwingungen nicht ſollten gehindert werden. Geſchieht die Aufſtem- mung nur in einem oder wenigen Puncten, ſo werden zwar mancherley Schwingungen ſich leichter hervorbringen laſſen, ſie werden aber nicht nach ebendenſelben Grundſaͤtzen zu beurthei- len ſeyn, indem alsdenn meiſtens Verzerrungen ſolcher Klangfiguren erſcheinen werden, die einer freyen Scheibe zukommen. 109. An einer ganz freyen Rectangelſcheibe kommen die einfachern Schwingungsarten mit denen uͤberein, deren ein frey ſchwingender Stab nach §. 82. faͤhig iſt. Bey der einfach- ſten Schwingungsart, wo jede Faſer wie bey Fig. 24. ſchwingt, zeigen ſich bey dem Aufſtreuen des Sandes zwey nach einerley Richtung gehende, und von den Enden faſt um den vierten Theil der Laͤnge der Scheibe entfernte Linien Fig. 47; hier iſt naͤhmlich die Scheibe in der 24ſten Figur im Profil, und in der 47ſten im Grundriſſe dargeſtellt. Bey der zweyten Schwingungsart, wo die Kruͤmmung einer jeden Faſer wie bey Fig. 25. beſchaffen iſt, zeigen ſich drey nach einerley Richtung gehende Knotenlinien Fig. 48, von denen die aͤußerſten faſt um den 6ten Theil der Laͤnge der Scheibe von den Enden entfernt ſind; eben ſo kann die Scheibe ſich auch in mehrere Theile eintheilen, ſo daß ſich vier, fuͤnf, oder mehrere Knoten- linien zeigen, von denen die aͤußerſten allemahl nur beynahe halb ſo weit, als die Laͤnge eines zwiſchen zwey Knotenlinien befindlichem ſchwingenden Theiles betraͤgt, von den Enden der Scheibe entfernt ſind. Die Tonverhaͤltniſſe ſind ebendieſelben, wie bey einem an beyden Enden freyen Stabe, und kommen ebenfalls mit den Quadraten von 3, 5, 7, 9 u. ſ. w. uͤberein, die Breite der Scheibe ſey ſo betraͤchtlich, oder ſo geringe, als man wolle. Zu Hervorbringung dieſer Schwingungsarten wird es am beſten ſeyn, wenn man die Scheibe an einer Stelle, auf welche eine der aͤußerſten Knotenlinien faͤllt, mit den Spitzen des Daumen und zweyten Fingers haͤlt, und, wenn die Linien mit dem kuͤrzern Durchmeſſer parallel ſeyn ſollen, in der Mitte einer ſchmalen Seite mit dem Violinbogen ſtreicht. Wenn

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Zitationshilfe: Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/159>, abgerufen am 17.05.2024.