einmahl erzehlen, sondern eines muß auf das an- dere warten. Ein Menschengesichte sehe ich zu- gleich und auf einmahl, aber ich kan es nicht auf einmahl beschreiben. Und so bestehen fast alle eintzelne Empfindungen aus so vielen Umständen, daß sie, ob sie gleich auf einmahl empfunden wer- den, dennoch nicht auf einmahl können erzehlet werden. Hieraus entstehet nun offte eine Schwie- rigkeit, wo man die Erzehlung, oder Beschrei- bung anfangen solle? Fänget man sie aber nicht bey dem rechten Ende an, so entstehet her- nach eine Verwirrung, daß man aus der Sa- che nicht klug werden kan, oder daß die Sache wenigstens unlustig und unangenehm zu hören und zu lesen wird.
§. 3. Nothwendige Weglassung vieler Umstände.
Jn der Empfindung ist sehr vieles, ja al- les determinirt, nach der Länge, Grösse, Brei- te, die wir nur nach dem Augenmasse, auch wohl deutlich, angeben können: nach der Zahl, wenn der Sachen nicht allzuviel sind, als wie viel Ti- sche, Stühle, Spiegel vorhanden sind; nach der Farbe, welche durch Staub und andere Umstän- de sich gar sehr ändern kan, ohne daß noch diesel- be ihren Nahmen oder Gattung verändert: auch nach dem Grade: als bey der Wärme, bey dem Lichte u. s. w. Dieses alles ist nicht allein schwer mit Worten auszudrucken, sondern auch überaus weitläufftig; so daß man mit Beschrei- bung einer gemachten sehr kurtzen Visite gar leicht
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v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.
einmahl erzehlen, ſondern eines muß auf das an- dere warten. Ein Menſchengeſichte ſehe ich zu- gleich und auf einmahl, aber ich kan es nicht auf einmahl beſchreiben. Und ſo beſtehen faſt alle eintzelne Empfindungen aus ſo vielen Umſtaͤnden, daß ſie, ob ſie gleich auf einmahl empfunden wer- den, dennoch nicht auf einmahl koͤnnen erzehlet werden. Hieraus entſtehet nun offte eine Schwie- rigkeit, wo man die Erzehlung, oder Beſchrei- bung anfangen ſolle? Faͤnget man ſie aber nicht bey dem rechten Ende an, ſo entſtehet her- nach eine Verwirrung, daß man aus der Sa- che nicht klug werden kan, oder daß die Sache wenigſtens unluſtig und unangenehm zu hoͤren und zu leſen wird.
§. 3. Nothwendige Weglaſſung vieler Umſtaͤnde.
Jn der Empfindung iſt ſehr vieles, ja al- les determinirt, nach der Laͤnge, Groͤſſe, Brei- te, die wir nur nach dem Augenmaſſe, auch wohl deutlich, angeben koͤnnen: nach der Zahl, wenn der Sachen nicht allzuviel ſind, als wie viel Ti- ſche, Stuͤhle, Spiegel vorhanden ſind; nach der Farbe, welche durch Staub und andere Umſtaͤn- de ſich gar ſehr aͤndern kan, ohne daß noch dieſel- be ihren Nahmen oder Gattung veraͤndert: auch nach dem Grade: als bey der Waͤrme, bey dem Lichte u. ſ. w. Dieſes alles iſt nicht allein ſchwer mit Worten auszudrucken, ſondern auch uͤberaus weitlaͤufftig; ſo daß man mit Beſchrei- bung einer gemachten ſehr kurtzen Viſite gar leicht
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v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.
einmahl erzehlen, ſondern eines muß auf das an-
dere warten. Ein Menſchengeſichte ſehe ich zu-
gleich und auf einmahl, aber ich kan es nicht auf
einmahl beſchreiben. Und ſo beſtehen faſt alle
eintzelne Empfindungen aus ſo vielen Umſtaͤnden,
daß ſie, ob ſie gleich auf einmahl empfunden wer-
den, dennoch nicht auf einmahl koͤnnen erzehlet
werden. Hieraus entſtehet nun offte eine Schwie-
rigkeit, wo man die Erzehlung, oder Beſchrei-
bung anfangen ſolle? Faͤnget man ſie aber
nicht bey dem rechten Ende an, ſo entſtehet her-
nach eine Verwirrung, daß man aus der Sa-
che nicht klug werden kan, oder daß die Sache
wenigſtens unluſtig und unangenehm zu hoͤren
und zu leſen wird.
§. 3.
Nothwendige Weglaſſung vieler Umſtaͤnde.
Jn der Empfindung iſt ſehr vieles, ja al-
les determinirt, nach der Laͤnge, Groͤſſe, Brei-
te, die wir nur nach dem Augenmaſſe, auch wohl
deutlich, angeben koͤnnen: nach der Zahl, wenn
der Sachen nicht allzuviel ſind, als wie viel Ti-
ſche, Stuͤhle, Spiegel vorhanden ſind; nach der
Farbe, welche durch Staub und andere Umſtaͤn-
de ſich gar ſehr aͤndern kan, ohne daß noch dieſel-
be ihren Nahmen oder Gattung veraͤndert:
auch nach dem Grade: als bey der Waͤrme,
bey dem Lichte u. ſ. w. Dieſes alles iſt nicht allein
ſchwer mit Worten auszudrucken, ſondern auch
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/153>, abgerufen am 16.07.2024.
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