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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Achtes Capitel,
haben. Die begreifflichsten Arten von Begeben-
heiten, wobey niemand zweiffelt, daß er die Ursa-
che erkenne, sind, wo man eine Sache aus Lust,
oder vermöge seines Ambtes und Standes thut,
oder wie man zu sagen pfleget, thun muß: wo
man nach den Gesetzen handelt, hat es eben diese
Bewandniß. Allein diese so klare Erkentniß wird
doch nie in einen förmlichen Schluß zu bringen seyn.
Denn wenn wir etwa schlüssen wollen: Hirten war-
ten ihrer Heerde: Cajus ist ein Hirte: Also wartet
und weydet er seine Heerde: so würde, wenn der
Obersatz allgemein wäre, kein nachläßiger Hirte,
kein Miedling gefunden werden: indem sich von
jedem eben so, wie vom Cajus subsumiren lässet.
Will man aber den Obersatz so machen: Hirten sol-
len ihrer Heerde warten: so wird in dem Schlußsa-
tze nichts mehr folgen: als daß Cajus seiner Heerde
warten sollte: nicht aber, daß er derselben würck-
lich
wartet. Es kommt nehmlich bey den Ge-
schäfften der Menschen hauptsächlich auf ihren Wil-
len
und Freyheit an. Doch wissen wir auch, daß
derselbe von dem Verstande regieret wird. Daher,
wenn wir nur einiger massen einsehen, daß die Men-
schen theils der Natur der äusserlichen Dinge, wo-
mit sie umgehen, theils ihren erlangten guten, oder
auch bösen Fähigkeiten gemäß gehandelt haben, so
düncken wir uns die Ursachen der Begebenheiten
vollkommen zu verstehen: denn obgleich die Hand-
lung daraus noch nicht folget, so wird doch das
übrige auf die Freyheit des menschlichen Willens
gerechnet.

§. 50.

Achtes Capitel,
haben. Die begreifflichſten Arten von Begeben-
heiten, wobey niemand zweiffelt, daß er die Urſa-
che erkenne, ſind, wo man eine Sache aus Luſt,
oder vermoͤge ſeines Ambtes und Standes thut,
oder wie man zu ſagen pfleget, thun muß: wo
man nach den Geſetzen handelt, hat es eben dieſe
Bewandniß. Allein dieſe ſo klare Erkentniß wird
doch nie in einen foͤrmlichen Schluß zu bringen ſeyn.
Denn wenn wir etwa ſchluͤſſen wollen: Hirten war-
ten ihrer Heerde: Cajus iſt ein Hirte: Alſo wartet
und weydet er ſeine Heerde: ſo wuͤrde, wenn der
Oberſatz allgemein waͤre, kein nachlaͤßiger Hirte,
kein Miedling gefunden werden: indem ſich von
jedem eben ſo, wie vom Cajus ſubſumiren laͤſſet.
Will man aber den Oberſatz ſo machen: Hirten ſol-
len ihrer Heerde warten: ſo wird in dem Schlußſa-
tze nichts mehr folgen: als daß Cajus ſeiner Heerde
warten ſollte: nicht aber, daß er derſelben wuͤrck-
lich
wartet. Es kommt nehmlich bey den Ge-
ſchaͤfften der Menſchen hauptſaͤchlich auf ihren Wil-
len
und Freyheit an. Doch wiſſen wir auch, daß
derſelbe von dem Verſtande regieret wird. Daher,
wenn wir nur einiger maſſen einſehen, daß die Men-
ſchen theils der Natur der aͤuſſerlichen Dinge, wo-
mit ſie umgehen, theils ihren erlangten guten, oder
auch boͤſen Faͤhigkeiten gemaͤß gehandelt haben, ſo
duͤncken wir uns die Urſachen der Begebenheiten
vollkommen zu verſtehen: denn obgleich die Hand-
lung daraus noch nicht folget, ſo wird doch das
uͤbrige auf die Freyheit des menſchlichen Willens
gerechnet.

§. 50.
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[270/0306] Achtes Capitel, haben. Die begreifflichſten Arten von Begeben- heiten, wobey niemand zweiffelt, daß er die Urſa- che erkenne, ſind, wo man eine Sache aus Luſt, oder vermoͤge ſeines Ambtes und Standes thut, oder wie man zu ſagen pfleget, thun muß: wo man nach den Geſetzen handelt, hat es eben dieſe Bewandniß. Allein dieſe ſo klare Erkentniß wird doch nie in einen foͤrmlichen Schluß zu bringen ſeyn. Denn wenn wir etwa ſchluͤſſen wollen: Hirten war- ten ihrer Heerde: Cajus iſt ein Hirte: Alſo wartet und weydet er ſeine Heerde: ſo wuͤrde, wenn der Oberſatz allgemein waͤre, kein nachlaͤßiger Hirte, kein Miedling gefunden werden: indem ſich von jedem eben ſo, wie vom Cajus ſubſumiren laͤſſet. Will man aber den Oberſatz ſo machen: Hirten ſol- len ihrer Heerde warten: ſo wird in dem Schlußſa- tze nichts mehr folgen: als daß Cajus ſeiner Heerde warten ſollte: nicht aber, daß er derſelben wuͤrck- lich wartet. Es kommt nehmlich bey den Ge- ſchaͤfften der Menſchen hauptſaͤchlich auf ihren Wil- len und Freyheit an. Doch wiſſen wir auch, daß derſelbe von dem Verſtande regieret wird. Daher, wenn wir nur einiger maſſen einſehen, daß die Men- ſchen theils der Natur der aͤuſſerlichen Dinge, wo- mit ſie umgehen, theils ihren erlangten guten, oder auch boͤſen Faͤhigkeiten gemaͤß gehandelt haben, ſo duͤncken wir uns die Urſachen der Begebenheiten vollkommen zu verſtehen: denn obgleich die Hand- lung daraus noch nicht folget, ſo wird doch das uͤbrige auf die Freyheit des menſchlichen Willens gerechnet. §. 50.

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/306>, abgerufen am 21.11.2024.