Denn einmahl hat keiner von beyden die Sache, darinnen sie uneins sind, durch sich selbst, noch als gegenwärtig erkannt: Keiner von beyden kan es auch von Zuschauern in Erfahrung gebracht haben. Beyde müssen es also aus schrifftlichen Nachrichten haben; oder der eine muß seine Nachricht erdichtet haben. An welchem nun die Schuld liege, lässet sich daraus nicht ausma- chen, ja nicht einmahl vermuthen, daß der eine später nach dem Vorgange der Geschichte gelebt hat, als der andere.
§. 19. Die Kunst Geschichte zu schreiben.
Hier wäre nun auch wohl der Ort, von den Pflichten eines Geschichtschreibers zu handeln, oder von den Regeln, wie man zur Belehrung der Nachwelt eine Geschichte beschreiben, und eine Erzehlung abfassen solle? Dieses aber ist eine Sa- che von weitläufftigeren Umfange, und tiefferer Untersuchung. Die Hauptpunckte kommen auf folgende Stücke an. 1. Verstehet sich von sich selbst, daß er die Wahrheit sagen müsse 2. als- denn kommt es auf die Frage an; wie viel er von dem was er weiß, aufzeichnen oder verschweigen solle? Da ist nun klar, 3. daß er die Nachwelt belehren will (§. 10.): Dieses kan aber auf ver- schiedene Weise geschehen. 4. Denn will er die Welt auf alle mögliche Fälle, darzu sie die Begeben- heit brauchen können, erzehlen, so müste er alles aufschreiben, was ihm davon zu sagen nur mög- lich ist (§. 19. C. 6.): Allein, wie ihm solches,
aus
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von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten.
Denn einmahl hat keiner von beyden die Sache, darinnen ſie uneins ſind, durch ſich ſelbſt, noch als gegenwaͤrtig erkannt: Keiner von beyden kan es auch von Zuſchauern in Erfahrung gebracht haben. Beyde muͤſſen es alſo aus ſchrifftlichen Nachrichten haben; oder der eine muß ſeine Nachricht erdichtet haben. An welchem nun die Schuld liege, laͤſſet ſich daraus nicht ausma- chen, ja nicht einmahl vermuthen, daß der eine ſpaͤter nach dem Vorgange der Geſchichte gelebt hat, als der andere.
§. 19. Die Kunſt Geſchichte zu ſchreiben.
Hier waͤre nun auch wohl der Ort, von den Pflichten eines Geſchichtſchreibers zu handeln, oder von den Regeln, wie man zur Belehrung der Nachwelt eine Geſchichte beſchreiben, und eine Erzehlung abfaſſen ſolle? Dieſes aber iſt eine Sa- che von weitlaͤufftigeren Umfange, und tiefferer Unterſuchung. Die Hauptpunckte kommen auf folgende Stuͤcke an. 1. Verſtehet ſich von ſich ſelbſt, daß er die Wahrheit ſagen muͤſſe 2. als- denn kommt es auf die Frage an; wie viel er von dem was er weiß, aufzeichnen oder verſchweigen ſolle? Da iſt nun klar, 3. daß er die Nachwelt belehren will (§. 10.): Dieſes kan aber auf ver- ſchiedene Weiſe geſchehen. 4. Denn will er die Welt auf alle moͤgliche Faͤlle, darzu ſie die Begeben- heit brauchen koͤnnen, erzehlen, ſo muͤſte er alles aufſchreiben, was ihm davon zu ſagen nur moͤg- lich iſt (§. 19. C. 6.): Allein, wie ihm ſolches,
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von alten u. auslaͤndiſch. Geſchichten.
Denn einmahl hat keiner von beyden die Sache,
darinnen ſie uneins ſind, durch ſich ſelbſt, noch
als gegenwaͤrtig erkannt: Keiner von beyden kan
es auch von Zuſchauern in Erfahrung gebracht
haben. Beyde muͤſſen es alſo aus ſchrifftlichen
Nachrichten haben; oder der eine muß ſeine
Nachricht erdichtet haben. An welchem nun
die Schuld liege, laͤſſet ſich daraus nicht ausma-
chen, ja nicht einmahl vermuthen, daß der eine
ſpaͤter nach dem Vorgange der Geſchichte gelebt
hat, als der andere.
§. 19.
Die Kunſt Geſchichte zu ſchreiben.
Hier waͤre nun auch wohl der Ort, von den
Pflichten eines Geſchichtſchreibers zu handeln,
oder von den Regeln, wie man zur Belehrung
der Nachwelt eine Geſchichte beſchreiben, und eine
Erzehlung abfaſſen ſolle? Dieſes aber iſt eine Sa-
che von weitlaͤufftigeren Umfange, und tiefferer
Unterſuchung. Die Hauptpunckte kommen auf
folgende Stuͤcke an. 1. Verſtehet ſich von ſich
ſelbſt, daß er die Wahrheit ſagen muͤſſe 2. als-
denn kommt es auf die Frage an; wie viel er von
dem was er weiß, aufzeichnen oder verſchweigen
ſolle? Da iſt nun klar, 3. daß er die Nachwelt
belehren will (§. 10.): Dieſes kan aber auf ver-
ſchiedene Weiſe geſchehen. 4. Denn will er die Welt
auf alle moͤgliche Faͤlle, darzu ſie die Begeben-
heit brauchen koͤnnen, erzehlen, ſo muͤſte er alles
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lich iſt (§. 19. C. 6.): Allein, wie ihm ſolches,
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/405>, abgerufen am 19.06.2024.
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