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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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Falschheit war ja eines zarten Mädchens Herz
nicht fähig! -- Tausend heiße Thränen fielen aus
seinem Auge, seine Hand hatte sich krampfhaft
geballt, und die wild tobende Phantasie gauckelte
furchtbare Schreckbilder ihm vor! -- Aber wozu
dieses Brüten, wozu dieser tödtende Schmerz über
die falsche Treulosigkeit eines Mädchens? Blauen¬
stein raffte sich auf; mit hastigen Schritten durch¬
wanderte er die hohe Lindenallee, als wolle er
noch heute zu Fuß die Heimath erreichen. Jetzt
rauschte es in dem nahen Gebüsch; es mußte
wer in der Nähe sein, ein bunter Schawl wurde
sichtbar, und Albertine stand mit all' ihrer Lieb¬
lichkeit und Anmuth vor ihm. "Weshalb entzogen
Sie sich unserer Gesellschaft, Herr Baron? fragte
Tina und machte ein Gesicht, als wäre das In¬
quiriren ihr eine höchst geläufige Sache. "Sie
sind so düster, so still, ich fürchte, es mißfällt
Ihnen in unserm Kreise!"

"Düster, still?" fragte Blauenstein, und ging
an der Seite des freundlichen Engels wie ein
Verdammter, "düster bei Ihnen, Fräulein?"

"Nun," entgegnete Tina mit einem Seufzer,
der ihre Schwanenbrust erfüllte, "zeigt dies nicht
Ihr ganzes Äußere? -- Es ist Ihnen unangenehm,

Falſchheit war ja eines zarten Maͤdchens Herz
nicht faͤhig! — Tauſend heiße Thraͤnen fielen aus
ſeinem Auge, ſeine Hand hatte ſich krampfhaft
geballt, und die wild tobende Phantaſie gauckelte
furchtbare Schreckbilder ihm vor! — Aber wozu
dieſes Bruͤten, wozu dieſer toͤdtende Schmerz uͤber
die falſche Treuloſigkeit eines Maͤdchens? Blauen¬
ſtein raffte ſich auf; mit haſtigen Schritten durch¬
wanderte er die hohe Lindenallee, als wolle er
noch heute zu Fuß die Heimath erreichen. Jetzt
rauſchte es in dem nahen Gebuͤſch; es mußte
wer in der Naͤhe ſein, ein bunter Schawl wurde
ſichtbar, und Albertine ſtand mit all' ihrer Lieb¬
lichkeit und Anmuth vor ihm. „Weshalb entzogen
Sie ſich unſerer Geſellſchaft, Herr Baron? fragte
Tina und machte ein Geſicht, als waͤre das In¬
quiriren ihr eine hoͤchſt gelaͤufige Sache. „Sie
ſind ſo duͤſter, ſo ſtill, ich fuͤrchte, es mißfaͤllt
Ihnen in unſerm Kreiſe!“

„Duͤſter, ſtill?“ fragte Blauenſtein, und ging
an der Seite des freundlichen Engels wie ein
Verdammter, „duͤſter bei Ihnen, Fraͤulein?“

„Nun,“ entgegnete Tina mit einem Seufzer,
der ihre Schwanenbruſt erfuͤllte, „zeigt dies nicht
Ihr ganzes Äußere? — Es iſt Ihnen unangenehm,

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[40/0046] Falſchheit war ja eines zarten Maͤdchens Herz nicht faͤhig! — Tauſend heiße Thraͤnen fielen aus ſeinem Auge, ſeine Hand hatte ſich krampfhaft geballt, und die wild tobende Phantaſie gauckelte furchtbare Schreckbilder ihm vor! — Aber wozu dieſes Bruͤten, wozu dieſer toͤdtende Schmerz uͤber die falſche Treuloſigkeit eines Maͤdchens? Blauen¬ ſtein raffte ſich auf; mit haſtigen Schritten durch¬ wanderte er die hohe Lindenallee, als wolle er noch heute zu Fuß die Heimath erreichen. Jetzt rauſchte es in dem nahen Gebuͤſch; es mußte wer in der Naͤhe ſein, ein bunter Schawl wurde ſichtbar, und Albertine ſtand mit all' ihrer Lieb¬ lichkeit und Anmuth vor ihm. „Weshalb entzogen Sie ſich unſerer Geſellſchaft, Herr Baron? fragte Tina und machte ein Geſicht, als waͤre das In¬ quiriren ihr eine hoͤchſt gelaͤufige Sache. „Sie ſind ſo duͤſter, ſo ſtill, ich fuͤrchte, es mißfaͤllt Ihnen in unſerm Kreiſe!“ „Duͤſter, ſtill?“ fragte Blauenſtein, und ging an der Seite des freundlichen Engels wie ein Verdammter, „duͤſter bei Ihnen, Fraͤulein?“ „Nun,“ entgegnete Tina mit einem Seufzer, der ihre Schwanenbruſt erfuͤllte, „zeigt dies nicht Ihr ganzes Äußere? — Es iſt Ihnen unangenehm,

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/46>, abgerufen am 23.11.2024.