während da, wo Alles in einem Zuge geschieht, der gestrige Erfolg den heutigen mit sich fortreißt, der Brand am Brande sich entzündet. Wenn es Staaten giebt die durch successive Stöße überwältigt worden sind, und wo sich also die Zeit dem Vertheidiger, dessen Schutzheiliger sie ist, verderblich gezeigt hat, -- wie unendlich viel zahlreicher sind die Beispiele wo die Absicht des Angreifenden darüber ganz verfehlt worden ist. Man denke nur an den Erfolg des siebenjährigen Krieges, wo die Östreicher das Ziel mit so viel Gemächlichkeit, Behutsamkeit und Vorsicht zu er- reichen suchten daß sie es ganz verfehlten.
Bei dieser Ansicht können wir also gar nicht der Meinung sein, daß die Sorge für ein gehörig eingerichtetes Kriegstheater dem Trieb nach Vorwärts immer zur Seite stehen und ihm gewissermaßen das Gleichgewicht halten müsse, sondern wir sehen die Nachtheile die daraus er- wachsen als ein unvermeidliches Übel an, welches erst dann Rücksicht verdient wenn uns nach vornhin keine Hoffnung mehr bleibt.
Bonaparte's Beispiel vom Jahre 1812, weit ent- fernt uns von unserer Behauptung zurückzuschrecken, hat uns vielmehr darin bestärkt.
Sein Feldzug ist nicht mißrathen weil er zu schnell und zu weit vorgedrungen ist, wie die gewöhnliche Mei- nung geht, sondern weil die einzigen Mittel zum Erfolg fehlschlugen. Das russische Reich ist kein Land was man förmlich erobern d. h. besetzt halten kann, wenigstens nicht mit den Kräften jetziger europäischer Staaten und auch nicht mit den 500,000 Mann die Bonaparte dazu an- führte. Ein solches Land kann nur bezwungen werden durch eigene Schwäche und durch die Wirkungen des inne- ren Zwiespaltes. Um auf diese schwachen Stellen des
waͤhrend da, wo Alles in einem Zuge geſchieht, der geſtrige Erfolg den heutigen mit ſich fortreißt, der Brand am Brande ſich entzuͤndet. Wenn es Staaten giebt die durch ſucceſſive Stoͤße uͤberwaͤltigt worden ſind, und wo ſich alſo die Zeit dem Vertheidiger, deſſen Schutzheiliger ſie iſt, verderblich gezeigt hat, — wie unendlich viel zahlreicher ſind die Beiſpiele wo die Abſicht des Angreifenden daruͤber ganz verfehlt worden iſt. Man denke nur an den Erfolg des ſiebenjaͤhrigen Krieges, wo die Öſtreicher das Ziel mit ſo viel Gemaͤchlichkeit, Behutſamkeit und Vorſicht zu er- reichen ſuchten daß ſie es ganz verfehlten.
Bei dieſer Anſicht koͤnnen wir alſo gar nicht der Meinung ſein, daß die Sorge fuͤr ein gehoͤrig eingerichtetes Kriegstheater dem Trieb nach Vorwaͤrts immer zur Seite ſtehen und ihm gewiſſermaßen das Gleichgewicht halten muͤſſe, ſondern wir ſehen die Nachtheile die daraus er- wachſen als ein unvermeidliches Übel an, welches erſt dann Ruͤckſicht verdient wenn uns nach vornhin keine Hoffnung mehr bleibt.
Bonaparte’s Beiſpiel vom Jahre 1812, weit ent- fernt uns von unſerer Behauptung zuruͤckzuſchrecken, hat uns vielmehr darin beſtaͤrkt.
Sein Feldzug iſt nicht mißrathen weil er zu ſchnell und zu weit vorgedrungen iſt, wie die gewoͤhnliche Mei- nung geht, ſondern weil die einzigen Mittel zum Erfolg fehlſchlugen. Das ruſſiſche Reich iſt kein Land was man foͤrmlich erobern d. h. beſetzt halten kann, wenigſtens nicht mit den Kraͤften jetziger europaͤiſcher Staaten und auch nicht mit den 500,000 Mann die Bonaparte dazu an- fuͤhrte. Ein ſolches Land kann nur bezwungen werden durch eigene Schwaͤche und durch die Wirkungen des inne- ren Zwieſpaltes. Um auf dieſe ſchwachen Stellen des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0195"n="181"/>
waͤhrend da, wo Alles in einem Zuge geſchieht, der geſtrige<lb/>
Erfolg den heutigen mit ſich fortreißt, der Brand am<lb/>
Brande ſich entzuͤndet. Wenn es Staaten giebt die durch<lb/>ſucceſſive Stoͤße uͤberwaͤltigt worden ſind, und wo ſich alſo<lb/>
die Zeit dem Vertheidiger, deſſen Schutzheiliger ſie iſt,<lb/>
verderblich gezeigt hat, — wie unendlich viel zahlreicher<lb/>ſind die Beiſpiele wo die Abſicht des Angreifenden daruͤber<lb/>
ganz verfehlt worden iſt. Man denke nur an den Erfolg<lb/>
des ſiebenjaͤhrigen Krieges, wo die Öſtreicher das Ziel mit<lb/>ſo viel Gemaͤchlichkeit, Behutſamkeit und Vorſicht zu er-<lb/>
reichen ſuchten daß ſie es ganz verfehlten.</p><lb/><p>Bei dieſer Anſicht koͤnnen wir alſo gar nicht der<lb/>
Meinung ſein, daß die Sorge fuͤr ein gehoͤrig eingerichtetes<lb/>
Kriegstheater dem Trieb nach Vorwaͤrts immer zur Seite<lb/>ſtehen und ihm gewiſſermaßen das Gleichgewicht halten<lb/>
muͤſſe, ſondern wir ſehen die Nachtheile die daraus er-<lb/>
wachſen als ein unvermeidliches Übel an, welches erſt dann<lb/>
Ruͤckſicht verdient wenn uns nach vornhin keine Hoffnung<lb/>
mehr bleibt.</p><lb/><p>Bonaparte’s Beiſpiel vom Jahre 1812, weit ent-<lb/>
fernt uns von unſerer Behauptung zuruͤckzuſchrecken, hat<lb/>
uns vielmehr darin beſtaͤrkt.</p><lb/><p>Sein Feldzug iſt nicht mißrathen weil er zu ſchnell<lb/>
und zu weit vorgedrungen iſt, wie die gewoͤhnliche Mei-<lb/>
nung geht, ſondern weil die einzigen Mittel zum Erfolg<lb/>
fehlſchlugen. Das ruſſiſche Reich iſt kein Land was man<lb/>
foͤrmlich erobern d. h. beſetzt halten kann, wenigſtens nicht<lb/>
mit den Kraͤften jetziger europaͤiſcher Staaten und auch<lb/>
nicht mit den 500,000 Mann die Bonaparte dazu an-<lb/>
fuͤhrte. Ein ſolches Land kann nur bezwungen werden<lb/>
durch eigene Schwaͤche und durch die Wirkungen des inne-<lb/>
ren Zwieſpaltes. Um auf dieſe ſchwachen Stellen des<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[181/0195]
waͤhrend da, wo Alles in einem Zuge geſchieht, der geſtrige
Erfolg den heutigen mit ſich fortreißt, der Brand am
Brande ſich entzuͤndet. Wenn es Staaten giebt die durch
ſucceſſive Stoͤße uͤberwaͤltigt worden ſind, und wo ſich alſo
die Zeit dem Vertheidiger, deſſen Schutzheiliger ſie iſt,
verderblich gezeigt hat, — wie unendlich viel zahlreicher
ſind die Beiſpiele wo die Abſicht des Angreifenden daruͤber
ganz verfehlt worden iſt. Man denke nur an den Erfolg
des ſiebenjaͤhrigen Krieges, wo die Öſtreicher das Ziel mit
ſo viel Gemaͤchlichkeit, Behutſamkeit und Vorſicht zu er-
reichen ſuchten daß ſie es ganz verfehlten.
Bei dieſer Anſicht koͤnnen wir alſo gar nicht der
Meinung ſein, daß die Sorge fuͤr ein gehoͤrig eingerichtetes
Kriegstheater dem Trieb nach Vorwaͤrts immer zur Seite
ſtehen und ihm gewiſſermaßen das Gleichgewicht halten
muͤſſe, ſondern wir ſehen die Nachtheile die daraus er-
wachſen als ein unvermeidliches Übel an, welches erſt dann
Ruͤckſicht verdient wenn uns nach vornhin keine Hoffnung
mehr bleibt.
Bonaparte’s Beiſpiel vom Jahre 1812, weit ent-
fernt uns von unſerer Behauptung zuruͤckzuſchrecken, hat
uns vielmehr darin beſtaͤrkt.
Sein Feldzug iſt nicht mißrathen weil er zu ſchnell
und zu weit vorgedrungen iſt, wie die gewoͤhnliche Mei-
nung geht, ſondern weil die einzigen Mittel zum Erfolg
fehlſchlugen. Das ruſſiſche Reich iſt kein Land was man
foͤrmlich erobern d. h. beſetzt halten kann, wenigſtens nicht
mit den Kraͤften jetziger europaͤiſcher Staaten und auch
nicht mit den 500,000 Mann die Bonaparte dazu an-
fuͤhrte. Ein ſolches Land kann nur bezwungen werden
durch eigene Schwaͤche und durch die Wirkungen des inne-
ren Zwieſpaltes. Um auf dieſe ſchwachen Stellen des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/195>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.