politischen Daseins zu stoßen ist eine bis ins Herz des Staates gehende Erschütterung nothwendig. Nur wenn Bonaparte mit seinem kräftigen Stoß bis Moskau hin- reichte, durfte er hoffen den Muth der Regierung und die Treue und Standhaftigkeit des Volkes zu erschüttern. In Moskau hoffte er den Frieden zu finden, und dies war das einzige vernünftige Ziel welches er sich bei diesem Kriege stecken konnte.
Er führte also seine Hauptmacht gegen die Haupt- macht der Russen, die vor ihm zurück über das Lager von Drissa hinstolperte und erst bei Smolensk zum Stehen kam. Er riß Bagration mit fort, schlug beide und nahm Moskau ein. Er handelte hier wie er immer gehandelt hatte; nur auf diese Weise war er der Gebieter Europas geworden und nur auf diese Weise hatte er es werden können.
Wer also Bonaparte in allen seinen früheren Feld- zügen als den größten Feldherrn bewundert, der soll sich in diesem nicht über ihn erheben.
Es ist erlaubt eine Begebenheit nach dem Erfolg zu beurtheilen, weil dieser die beste Kritik davon ist (siehe fünftes Kapitel des zweiten Buches), aber dieses bloß aus dem Erfolg gezogene Urtheil muß man dann nicht mit menschlicher Weis- heit nachweisen wollen. Die Ursachen eines verunglückten Feldzugs aufsuchen, heißt noch nicht eine Kritik desselben machen; nur wenn man beweist daß diese Ursachen nicht hätten übersehen oder unbeachtet bleiben sollen, macht man die Kritik und erhebt sich über den Feldherrn.
Nun behaupten wir, daß wer in dem Feldzug von 1812 bloß wegen seines ungeheueren Rückschlages eine Absurdität findet, während er beim glücklichen Erfolg darin die erhabensten Kombinationen gesehen hätte, eine völlige Unfähigkeit des Urtheils zeigt.
politiſchen Daſeins zu ſtoßen iſt eine bis ins Herz des Staates gehende Erſchuͤtterung nothwendig. Nur wenn Bonaparte mit ſeinem kraͤftigen Stoß bis Moskau hin- reichte, durfte er hoffen den Muth der Regierung und die Treue und Standhaftigkeit des Volkes zu erſchuͤttern. In Moskau hoffte er den Frieden zu finden, und dies war das einzige vernuͤnftige Ziel welches er ſich bei dieſem Kriege ſtecken konnte.
Er fuͤhrte alſo ſeine Hauptmacht gegen die Haupt- macht der Ruſſen, die vor ihm zuruͤck uͤber das Lager von Driſſa hinſtolperte und erſt bei Smolensk zum Stehen kam. Er riß Bagration mit fort, ſchlug beide und nahm Moskau ein. Er handelte hier wie er immer gehandelt hatte; nur auf dieſe Weiſe war er der Gebieter Europas geworden und nur auf dieſe Weiſe hatte er es werden koͤnnen.
Wer alſo Bonaparte in allen ſeinen fruͤheren Feld- zuͤgen als den groͤßten Feldherrn bewundert, der ſoll ſich in dieſem nicht uͤber ihn erheben.
Es iſt erlaubt eine Begebenheit nach dem Erfolg zu beurtheilen, weil dieſer die beſte Kritik davon iſt (ſiehe fuͤnftes Kapitel des zweiten Buches), aber dieſes bloß aus dem Erfolg gezogene Urtheil muß man dann nicht mit menſchlicher Weis- heit nachweiſen wollen. Die Urſachen eines verungluͤckten Feldzugs aufſuchen, heißt noch nicht eine Kritik deſſelben machen; nur wenn man beweiſt daß dieſe Urſachen nicht haͤtten uͤberſehen oder unbeachtet bleiben ſollen, macht man die Kritik und erhebt ſich uͤber den Feldherrn.
Nun behaupten wir, daß wer in dem Feldzug von 1812 bloß wegen ſeines ungeheueren Ruͤckſchlages eine Abſurditaͤt findet, waͤhrend er beim gluͤcklichen Erfolg darin die erhabenſten Kombinationen geſehen haͤtte, eine voͤllige Unfaͤhigkeit des Urtheils zeigt.
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[182/0196]
politiſchen Daſeins zu ſtoßen iſt eine bis ins Herz des
Staates gehende Erſchuͤtterung nothwendig. Nur wenn
Bonaparte mit ſeinem kraͤftigen Stoß bis Moskau hin-
reichte, durfte er hoffen den Muth der Regierung und die
Treue und Standhaftigkeit des Volkes zu erſchuͤttern.
In Moskau hoffte er den Frieden zu finden, und dies
war das einzige vernuͤnftige Ziel welches er ſich bei dieſem
Kriege ſtecken konnte.
Er fuͤhrte alſo ſeine Hauptmacht gegen die Haupt-
macht der Ruſſen, die vor ihm zuruͤck uͤber das Lager
von Driſſa hinſtolperte und erſt bei Smolensk zum Stehen
kam. Er riß Bagration mit fort, ſchlug beide und nahm
Moskau ein. Er handelte hier wie er immer gehandelt hatte;
nur auf dieſe Weiſe war er der Gebieter Europas geworden
und nur auf dieſe Weiſe hatte er es werden koͤnnen.
Wer alſo Bonaparte in allen ſeinen fruͤheren Feld-
zuͤgen als den groͤßten Feldherrn bewundert, der ſoll ſich in
dieſem nicht uͤber ihn erheben.
Es iſt erlaubt eine Begebenheit nach dem Erfolg zu
beurtheilen, weil dieſer die beſte Kritik davon iſt (ſiehe fuͤnftes
Kapitel des zweiten Buches), aber dieſes bloß aus dem Erfolg
gezogene Urtheil muß man dann nicht mit menſchlicher Weis-
heit nachweiſen wollen. Die Urſachen eines verungluͤckten
Feldzugs aufſuchen, heißt noch nicht eine Kritik deſſelben
machen; nur wenn man beweiſt daß dieſe Urſachen nicht
haͤtten uͤberſehen oder unbeachtet bleiben ſollen, macht man
die Kritik und erhebt ſich uͤber den Feldherrn.
Nun behaupten wir, daß wer in dem Feldzug von
1812 bloß wegen ſeines ungeheueren Ruͤckſchlages eine
Abſurditaͤt findet, waͤhrend er beim gluͤcklichen Erfolg darin
die erhabenſten Kombinationen geſehen haͤtte, eine voͤllige
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/196>, abgerufen am 27.11.2024.
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