Wäre Bonaparte in Litthauen stehen geblieben, wie die meisten Kritiker gewollt haben, um sich erst der Festun- gen zu versichern, deren es übrigens, außer dem völlig seitwärts gelegenen Riga, kaum eine gab, weil Bobruisk ein kleines unbedeutendes Nest ist: so würde er sich für den Winter in ein trauriges Vertheidigungssystem ver- wickelt haben; dann würden dieselben Leute die ersten ge- wesen sein welche ausgerufen hätten: das ist nicht mehr der alte Bonaparte! Wie, nicht einmal zu einer ersten Hauptschlacht hat er es getrieben, er der seine Eroberungen durch die Siege von Austerlitz und Friedland an den letzten Mauern der feindlichen Staaten zu besiegeln pflegte? Die feindliche Hauptstadt, das entblößte zum Fall bereite Mos- kau hat er zu nehmen zaghaft versäumt und dadurch den Kern bestehen lassen um den sich neuer Widerstand sammeln konnte? Er hat das unerhörte Glück diesen ent- fernten ungeheuern Koloß zu überfallen, wie man eine benachbarte Stadt oder wie Friedrich der Große das kleine nahe Schlesien überfällt, und er benutzt diesen Vor- theil nicht, hält mitten im Siegeslauf inne als wenn sich ein böser Geist an seine Fersen gelegt hätte? -- So würden die Leute geurtheilt haben, denn so sind die Urtheile der meisten Kritiker beschaffen.
Wir sagen: der Feldzug von 1812 ist nicht gelungen, weil die feindliche Regierung fest, das Volk treu und standhaft blieb, weil er also nicht gelingen konnte. Es mag ein Fehler Bonapartes sein ihn unternommen zu haben, wenigstens hat der Erfolg gezeigt daß er sich in seinem Kalkül betrogen hat, aber wir behaupten, daß, wenn dieses Ziel gesucht werden sollte, es der Hauptsache nach nicht anders zu erreichen war.
Anstatt sich im Osten einen endlosen kostbaren Ver-
Waͤre Bonaparte in Litthauen ſtehen geblieben, wie die meiſten Kritiker gewollt haben, um ſich erſt der Feſtun- gen zu verſichern, deren es uͤbrigens, außer dem voͤllig ſeitwaͤrts gelegenen Riga, kaum eine gab, weil Bobruisk ein kleines unbedeutendes Neſt iſt: ſo wuͤrde er ſich fuͤr den Winter in ein trauriges Vertheidigungsſyſtem ver- wickelt haben; dann wuͤrden dieſelben Leute die erſten ge- weſen ſein welche ausgerufen haͤtten: das iſt nicht mehr der alte Bonaparte! Wie, nicht einmal zu einer erſten Hauptſchlacht hat er es getrieben, er der ſeine Eroberungen durch die Siege von Auſterlitz und Friedland an den letzten Mauern der feindlichen Staaten zu beſiegeln pflegte? Die feindliche Hauptſtadt, das entbloͤßte zum Fall bereite Mos- kau hat er zu nehmen zaghaft verſaͤumt und dadurch den Kern beſtehen laſſen um den ſich neuer Widerſtand ſammeln konnte? Er hat das unerhoͤrte Gluͤck dieſen ent- fernten ungeheuern Koloß zu uͤberfallen, wie man eine benachbarte Stadt oder wie Friedrich der Große das kleine nahe Schleſien uͤberfaͤllt, und er benutzt dieſen Vor- theil nicht, haͤlt mitten im Siegeslauf inne als wenn ſich ein boͤſer Geiſt an ſeine Ferſen gelegt haͤtte? — So wuͤrden die Leute geurtheilt haben, denn ſo ſind die Urtheile der meiſten Kritiker beſchaffen.
Wir ſagen: der Feldzug von 1812 iſt nicht gelungen, weil die feindliche Regierung feſt, das Volk treu und ſtandhaft blieb, weil er alſo nicht gelingen konnte. Es mag ein Fehler Bonapartes ſein ihn unternommen zu haben, wenigſtens hat der Erfolg gezeigt daß er ſich in ſeinem Kalkuͤl betrogen hat, aber wir behaupten, daß, wenn dieſes Ziel geſucht werden ſollte, es der Hauptſache nach nicht anders zu erreichen war.
Anſtatt ſich im Oſten einen endloſen koſtbaren Ver-
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Waͤre Bonaparte in Litthauen ſtehen geblieben, wie
die meiſten Kritiker gewollt haben, um ſich erſt der Feſtun-
gen zu verſichern, deren es uͤbrigens, außer dem voͤllig
ſeitwaͤrts gelegenen Riga, kaum eine gab, weil Bobruisk
ein kleines unbedeutendes Neſt iſt: ſo wuͤrde er ſich fuͤr
den Winter in ein trauriges Vertheidigungsſyſtem ver-
wickelt haben; dann wuͤrden dieſelben Leute die erſten ge-
weſen ſein welche ausgerufen haͤtten: das iſt nicht mehr
der alte Bonaparte! Wie, nicht einmal zu einer erſten
Hauptſchlacht hat er es getrieben, er der ſeine Eroberungen
durch die Siege von Auſterlitz und Friedland an den letzten
Mauern der feindlichen Staaten zu beſiegeln pflegte? Die
feindliche Hauptſtadt, das entbloͤßte zum Fall bereite Mos-
kau hat er zu nehmen zaghaft verſaͤumt und dadurch
den Kern beſtehen laſſen um den ſich neuer Widerſtand
ſammeln konnte? Er hat das unerhoͤrte Gluͤck dieſen ent-
fernten ungeheuern Koloß zu uͤberfallen, wie man eine
benachbarte Stadt oder wie Friedrich der Große das
kleine nahe Schleſien uͤberfaͤllt, und er benutzt dieſen Vor-
theil nicht, haͤlt mitten im Siegeslauf inne als wenn ſich
ein boͤſer Geiſt an ſeine Ferſen gelegt haͤtte? — So wuͤrden
die Leute geurtheilt haben, denn ſo ſind die Urtheile der
meiſten Kritiker beſchaffen.
Wir ſagen: der Feldzug von 1812 iſt nicht gelungen,
weil die feindliche Regierung feſt, das Volk treu und
ſtandhaft blieb, weil er alſo nicht gelingen konnte. Es
mag ein Fehler Bonapartes ſein ihn unternommen zu
haben, wenigſtens hat der Erfolg gezeigt daß er ſich in
ſeinem Kalkuͤl betrogen hat, aber wir behaupten, daß,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/197>, abgerufen am 27.11.2024.
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