Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

und Feldherrn sich ein gelehrter Generalstabsoffizier finden
sollte der mit sorgenvoller Stirn solche Weisheit auskramt,
so erklären wir es im Voraus für eitle Thorheit und
wünschen daß sich in eben diesem Rath irgend ein tüchtiger
Haudegen, ein Kind des gesunden Menschenverstandes finden
möge, der ihm das Wort beim Munde abschneidet.

Drittens: Den Raum zwischen beiden Angriffen
lassen wir so gut wie unbeachtet. Muß man, während
sich 600,000 Mann 30 und 40 Meilen von Paris ver-
sammeln um gegen das Herz des französischen Staates
vorzudringen, noch darauf denken den Mittelrhein, also
Berlin, Dresden, Wien und München zu decken? Darin
wäre kein Menschenverstand. Soll man die Verbindung
decken? Das wäre nicht unwichtig; aber dann kann man
logisch bald dahin geführt werden dieser Deckung die
Stärke und Wichtigkeit eines Angriffs geben zu müssen,
und also anstatt auf zwei Linien vorzugehn, wozu die Lage
der Staaten unbedingt nöthigt, auf dreien vorzugehen,
wozu sie nicht nöthigt, und diese drei würden dann viel-
leicht zu fünf oder gar zu sieben werden und so die ganze
alte Litanei wieder an die Tagesordnung kommen.

Unsere beiden Angriffe haben jeder ihr Ziel; die
darauf verwendeten Kräfte sind höchst wahrscheinlich den
feindlichen merklich überlegen; geht jeder seinen kräftigen
Gang vorwärts, so kann es nicht anders sein als daß sie
gegenseitig vortheilhaft aufeinander wirken. Wäre einer
der beiden Angriffe unglücklich, weil der Feind seine Macht
zu ungleich vertheilt hat, so ist mit Recht zu erwarten
daß der Erfolg des andern dieses Unglück von selbst gut-
machen werde, und dies ist der wahre Zusammenhang beider.
Einen Zusammenhang welcher sich auf die Begebenheiten
der einzelnen Tage erstreckte, können sie bei der Entfernung
nicht haben; sie brauchen ihn nicht, und darum ist die un-

und Feldherrn ſich ein gelehrter Generalſtabsoffizier finden
ſollte der mit ſorgenvoller Stirn ſolche Weisheit auskramt,
ſo erklaͤren wir es im Voraus fuͤr eitle Thorheit und
wuͤnſchen daß ſich in eben dieſem Rath irgend ein tuͤchtiger
Haudegen, ein Kind des geſunden Menſchenverſtandes finden
moͤge, der ihm das Wort beim Munde abſchneidet.

Drittens: Den Raum zwiſchen beiden Angriffen
laſſen wir ſo gut wie unbeachtet. Muß man, waͤhrend
ſich 600,000 Mann 30 und 40 Meilen von Paris ver-
ſammeln um gegen das Herz des franzoͤſiſchen Staates
vorzudringen, noch darauf denken den Mittelrhein, alſo
Berlin, Dresden, Wien und Muͤnchen zu decken? Darin
waͤre kein Menſchenverſtand. Soll man die Verbindung
decken? Das waͤre nicht unwichtig; aber dann kann man
logiſch bald dahin gefuͤhrt werden dieſer Deckung die
Staͤrke und Wichtigkeit eines Angriffs geben zu muͤſſen,
und alſo anſtatt auf zwei Linien vorzugehn, wozu die Lage
der Staaten unbedingt noͤthigt, auf dreien vorzugehen,
wozu ſie nicht noͤthigt, und dieſe drei wuͤrden dann viel-
leicht zu fuͤnf oder gar zu ſieben werden und ſo die ganze
alte Litanei wieder an die Tagesordnung kommen.

Unſere beiden Angriffe haben jeder ihr Ziel; die
darauf verwendeten Kraͤfte ſind hoͤchſt wahrſcheinlich den
feindlichen merklich uͤberlegen; geht jeder ſeinen kraͤftigen
Gang vorwaͤrts, ſo kann es nicht anders ſein als daß ſie
gegenſeitig vortheilhaft aufeinander wirken. Waͤre einer
der beiden Angriffe ungluͤcklich, weil der Feind ſeine Macht
zu ungleich vertheilt hat, ſo iſt mit Recht zu erwarten
daß der Erfolg des andern dieſes Ungluͤck von ſelbſt gut-
machen werde, und dies iſt der wahre Zuſammenhang beider.
Einen Zuſammenhang welcher ſich auf die Begebenheiten
der einzelnen Tage erſtreckte, koͤnnen ſie bei der Entfernung
nicht haben; ſie brauchen ihn nicht, und darum iſt die un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0214" n="200"/>
und Feldherrn &#x017F;ich ein gelehrter General&#x017F;tabsoffizier finden<lb/>
&#x017F;ollte der mit &#x017F;orgenvoller Stirn &#x017F;olche Weisheit auskramt,<lb/>
&#x017F;o erkla&#x0364;ren wir es im Voraus fu&#x0364;r eitle Thorheit und<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chen daß &#x017F;ich in eben die&#x017F;em Rath irgend ein tu&#x0364;chtiger<lb/>
Haudegen, ein Kind des ge&#x017F;unden Men&#x017F;chenver&#x017F;tandes finden<lb/>
mo&#x0364;ge, der ihm das Wort beim Munde ab&#x017F;chneidet.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Drittens</hi>: Den Raum zwi&#x017F;chen beiden Angriffen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en wir &#x017F;o gut wie unbeachtet. Muß man, wa&#x0364;hrend<lb/>
&#x017F;ich 600,000 Mann 30 und 40 Meilen von Paris ver-<lb/>
&#x017F;ammeln um gegen das Herz des franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Staates<lb/>
vorzudringen, noch darauf denken den Mittelrhein, al&#x017F;o<lb/>
Berlin, Dresden, Wien und Mu&#x0364;nchen zu decken? Darin<lb/>
wa&#x0364;re kein Men&#x017F;chenver&#x017F;tand. Soll man die Verbindung<lb/>
decken? Das wa&#x0364;re nicht unwichtig; aber dann kann man<lb/>
logi&#x017F;ch bald dahin gefu&#x0364;hrt werden die&#x017F;er Deckung die<lb/>
Sta&#x0364;rke und Wichtigkeit eines Angriffs geben zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und al&#x017F;o an&#x017F;tatt auf zwei Linien vorzugehn, wozu die Lage<lb/>
der Staaten unbedingt no&#x0364;thigt, auf dreien vorzugehen,<lb/>
wozu &#x017F;ie nicht no&#x0364;thigt, und die&#x017F;e drei wu&#x0364;rden dann viel-<lb/>
leicht zu fu&#x0364;nf oder gar zu &#x017F;ieben werden und &#x017F;o die ganze<lb/>
alte Litanei wieder an die Tagesordnung kommen.</p><lb/>
          <p>Un&#x017F;ere beiden Angriffe haben jeder ihr Ziel; die<lb/>
darauf verwendeten Kra&#x0364;fte &#x017F;ind ho&#x0364;ch&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich den<lb/>
feindlichen merklich u&#x0364;berlegen; geht jeder &#x017F;einen kra&#x0364;ftigen<lb/>
Gang vorwa&#x0364;rts, &#x017F;o kann es nicht anders &#x017F;ein als daß &#x017F;ie<lb/>
gegen&#x017F;eitig vortheilhaft aufeinander wirken. Wa&#x0364;re einer<lb/>
der beiden Angriffe unglu&#x0364;cklich, weil der Feind &#x017F;eine Macht<lb/>
zu ungleich vertheilt hat, &#x017F;o i&#x017F;t mit Recht zu erwarten<lb/>
daß der Erfolg des andern die&#x017F;es Unglu&#x0364;ck von &#x017F;elb&#x017F;t gut-<lb/>
machen werde, und dies i&#x017F;t der wahre Zu&#x017F;ammenhang beider.<lb/>
Einen Zu&#x017F;ammenhang welcher &#x017F;ich auf die Begebenheiten<lb/>
der einzelnen Tage er&#x017F;treckte, ko&#x0364;nnen &#x017F;ie bei der Entfernung<lb/>
nicht haben; &#x017F;ie brauchen ihn nicht, und darum i&#x017F;t die un-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0214] und Feldherrn ſich ein gelehrter Generalſtabsoffizier finden ſollte der mit ſorgenvoller Stirn ſolche Weisheit auskramt, ſo erklaͤren wir es im Voraus fuͤr eitle Thorheit und wuͤnſchen daß ſich in eben dieſem Rath irgend ein tuͤchtiger Haudegen, ein Kind des geſunden Menſchenverſtandes finden moͤge, der ihm das Wort beim Munde abſchneidet. Drittens: Den Raum zwiſchen beiden Angriffen laſſen wir ſo gut wie unbeachtet. Muß man, waͤhrend ſich 600,000 Mann 30 und 40 Meilen von Paris ver- ſammeln um gegen das Herz des franzoͤſiſchen Staates vorzudringen, noch darauf denken den Mittelrhein, alſo Berlin, Dresden, Wien und Muͤnchen zu decken? Darin waͤre kein Menſchenverſtand. Soll man die Verbindung decken? Das waͤre nicht unwichtig; aber dann kann man logiſch bald dahin gefuͤhrt werden dieſer Deckung die Staͤrke und Wichtigkeit eines Angriffs geben zu muͤſſen, und alſo anſtatt auf zwei Linien vorzugehn, wozu die Lage der Staaten unbedingt noͤthigt, auf dreien vorzugehen, wozu ſie nicht noͤthigt, und dieſe drei wuͤrden dann viel- leicht zu fuͤnf oder gar zu ſieben werden und ſo die ganze alte Litanei wieder an die Tagesordnung kommen. Unſere beiden Angriffe haben jeder ihr Ziel; die darauf verwendeten Kraͤfte ſind hoͤchſt wahrſcheinlich den feindlichen merklich uͤberlegen; geht jeder ſeinen kraͤftigen Gang vorwaͤrts, ſo kann es nicht anders ſein als daß ſie gegenſeitig vortheilhaft aufeinander wirken. Waͤre einer der beiden Angriffe ungluͤcklich, weil der Feind ſeine Macht zu ungleich vertheilt hat, ſo iſt mit Recht zu erwarten daß der Erfolg des andern dieſes Ungluͤck von ſelbſt gut- machen werde, und dies iſt der wahre Zuſammenhang beider. Einen Zuſammenhang welcher ſich auf die Begebenheiten der einzelnen Tage erſtreckte, koͤnnen ſie bei der Entfernung nicht haben; ſie brauchen ihn nicht, und darum iſt die un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/214
Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/214>, abgerufen am 23.11.2024.