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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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das idyllisch Schöne. Weil das Sanfte, Naive p1c_209.002
und Niedliche die gewaltsamen Gedankenreihen gewöhnlich p1c_209.003
vermeidet und sich an die Natur hält, die keinen Sprung p1c_209.004
liebt, so schreibt man diesen Gattungen oft auch das Prädicat p1c_209.005
natürlich zu. Jn so fern überhaupt das niedere p1c_209.006
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gewöhnlich mehr den Verstand beschäftigt, als p1c_209.007
das höhere, und ihm eine bestimmte Zweckmäßigkeit neben p1c_209.008
der idealen zu ahnen giebt, so findet bey demselben auch p1c_209.009
mehr, wie bey dem höhern, das Wahrscheinliche und p1c_209.010
Jnteressante statt. Das Sanfte und Niedliche p1c_209.011
schmeichelt den Sinnen am meisten. Daher bekommt es p1c_209.012
auch oft die subjektiv bestimmten Prädicate lieblich und p1c_209.013
angenehm.

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Anmerk. 5. Das Niedliche kann oft zum Kleinlichen, p1c_209.015
Läppischen
und Gezwungenen herabsinken, p1c_209.016
das Sanfte, matt, gedehnt, weichlich, und wenn p1c_209.017
es die sinnlichen Leidenschaften im Verhältnisse zur Phantasie p1c_209.018
zu mächtig werden läßt, schlüpfrig werden. Der Grazie p1c_209.019
steht das Ungeschickte entgegen. Das lebendig p1c_209.020
Schöne
überhaupt verfällt bey Ueberladung in den Fehler p1c_209.021
des Ueppigen. Das grotesk Komische kann ins p1c_209.022
Plumpe und Platte, das Satyrische, wenn es auf p1c_209.023
eine illegale Weise Verbrechen vorwirft, ins Pasquillartige p1c_209.024
verfallen. Das Galante artet oft ins Fade, p1c_209.025
Abgeschmackte, Geckenartige,
das Romantische p1c_209.026
ins Romanhafte, das Naive ins Gezierte, p1c_209.027
(Affektirte
) oder Einfältige, Rohe und Obscöne

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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/267>, abgerufen am 20.05.2024.