p1c_466.001 genug, das Erhabene darinnen zu fassen. Sie gehören zu p1c_466.002 den Berufenen, aber nicht zu den Eingeweihten. Die Mystik p1c_466.003 der Eingeweihten erfordert aber auch keinen besondern p1c_466.004 Sinn, enthält kein besonderes Geheimniß, dessen nicht alle p1c_466.005 Menschen fähig wären. Sie ist die natürliche Mystik, welche p1c_466.006 hohe Seelen von gemeinen, denkende von nichtdenkenden, p1c_466.007 begeisterte von sinnlichen Menschen scheidet. Mag die p1c_466.008 menschliche sogenannte Weltgeschichte die unbekannten p1c_466.009 Größen, das x in die Historie einführen. Sie thut p1c_466.010 wohl daran, in so fern sie menschlich ist, und menschlichp1c_466.011 rechnet. Aber wo ihre unbekannten Länder angehen, p1c_466.012 da herrscht der religiöse Glaube. Wo die historischenp1c_466.013 Denkmähler aufhören, beginnen die poetischen,p1c_466.014 welche bis zur Wiege der Sprache selbst hinauf gehen. p1c_466.015 "Der Donner verhallt, sagt Klopstock, der Sturm braust p1c_466.016 weg, das Säuseln verweht. Mit langen Jahrhunderten p1c_466.017 strömt die Sprache der Menschen fort, und verkündet jeden p1c_466.018 Augenblick, was Jehova geredet hat." - Die Sprachep1c_466.019 selbst, da sie nicht als ein Werk der Ueberlegung oder menschlichen p1c_466.020 Uebereinkunft angesehen werden kann, da sie über den p1c_466.021 Verstand weit hinaus geht, ist eine poetische Organisation p1c_466.022 des Geistes, welche als ein Wunder angesehen werden p1c_466.023 muß. Auch viele heidnische Philosophen, wie wir aus dem p1c_466.024 Cratylus des Plato lernen, behaupteten, es gäbe gewisse p1c_466.025 Urworte, von mehr als menschlicher Erfindung dem Sterblichen p1c_466.026 aus dem Quelle der Wahrheit mitgetheilt. Sprache, p1c_466.027 Poesie und Offenbarungstraditionen sind also Dinge, welche p1c_466.028 das Schicksal des Menschengeschlechts nach einem höhern
p1c_466.001 genug, das Erhabene darinnen zu fassen. Sie gehören zu p1c_466.002 den Berufenen, aber nicht zu den Eingeweihten. Die Mystik p1c_466.003 der Eingeweihten erfordert aber auch keinen besondern p1c_466.004 Sinn, enthält kein besonderes Geheimniß, dessen nicht alle p1c_466.005 Menschen fähig wären. Sie ist die natürliche Mystik, welche p1c_466.006 hohe Seelen von gemeinen, denkende von nichtdenkenden, p1c_466.007 begeisterte von sinnlichen Menschen scheidet. Mag die p1c_466.008 menschliche sogenannte Weltgeschichte die unbekannten p1c_466.009 Größen, das x in die Historie einführen. Sie thut p1c_466.010 wohl daran, in so fern sie menschlich ist, und menschlichp1c_466.011 rechnet. Aber wo ihre unbekannten Länder angehen, p1c_466.012 da herrscht der religiöse Glaube. Wo die historischenp1c_466.013 Denkmähler aufhören, beginnen die poetischen,p1c_466.014 welche bis zur Wiege der Sprache selbst hinauf gehen. p1c_466.015 „Der Donner verhallt, sagt Klopstock, der Sturm braust p1c_466.016 weg, das Säuseln verweht. Mit langen Jahrhunderten p1c_466.017 strömt die Sprache der Menschen fort, und verkündet jeden p1c_466.018 Augenblick, was Jehova geredet hat.“ ─ Die Sprachep1c_466.019 selbst, da sie nicht als ein Werk der Ueberlegung oder menschlichen p1c_466.020 Uebereinkunft angesehen werden kann, da sie über den p1c_466.021 Verstand weit hinaus geht, ist eine poetische Organisation p1c_466.022 des Geistes, welche als ein Wunder angesehen werden p1c_466.023 muß. Auch viele heidnische Philosophen, wie wir aus dem p1c_466.024 Cratylus des Plato lernen, behaupteten, es gäbe gewisse p1c_466.025 Urworte, von mehr als menschlicher Erfindung dem Sterblichen p1c_466.026 aus dem Quelle der Wahrheit mitgetheilt. Sprache, p1c_466.027 Poesie und Offenbarungstraditionen sind also Dinge, welche p1c_466.028 das Schicksal des Menschengeschlechts nach einem höhern
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0524"n="466"/><lbn="p1c_466.001"/>
genug, das Erhabene darinnen zu fassen. Sie gehören zu <lbn="p1c_466.002"/>
den Berufenen, aber nicht zu den Eingeweihten. Die Mystik <lbn="p1c_466.003"/>
der Eingeweihten erfordert aber auch keinen besondern <lbn="p1c_466.004"/>
Sinn, enthält kein besonderes Geheimniß, dessen nicht alle <lbn="p1c_466.005"/>
Menschen fähig wären. Sie ist die natürliche Mystik, welche <lbn="p1c_466.006"/>
hohe Seelen von gemeinen, denkende von nichtdenkenden, <lbn="p1c_466.007"/>
begeisterte von sinnlichen Menschen scheidet. Mag die <lbn="p1c_466.008"/><hirendition="#g">menschliche</hi> sogenannte <hirendition="#g">Weltgeschichte</hi> die unbekannten <lbn="p1c_466.009"/>
Größen, das <hirendition="#aq">x</hi> in die Historie einführen. Sie thut <lbn="p1c_466.010"/>
wohl daran, in so fern sie <hirendition="#g">menschlich</hi> ist, und <hirendition="#g">menschlich</hi><lbn="p1c_466.011"/>
rechnet. Aber wo ihre unbekannten Länder angehen, <lbn="p1c_466.012"/>
da herrscht der <hirendition="#g">religiöse Glaube.</hi> Wo die <hirendition="#g">historischen</hi><lbn="p1c_466.013"/>
Denkmähler aufhören, beginnen die <hirendition="#g">poetischen,</hi><lbn="p1c_466.014"/>
welche bis zur Wiege der <hirendition="#g">Sprache</hi> selbst hinauf gehen. <lbn="p1c_466.015"/>„Der Donner verhallt, sagt Klopstock, der Sturm braust <lbn="p1c_466.016"/>
weg, das Säuseln verweht. Mit langen Jahrhunderten <lbn="p1c_466.017"/>
strömt die Sprache der Menschen fort, und verkündet jeden <lbn="p1c_466.018"/>
Augenblick, was Jehova geredet hat.“─ Die <hirendition="#g">Sprache</hi><lbn="p1c_466.019"/>
selbst, da sie nicht als ein Werk der Ueberlegung oder menschlichen <lbn="p1c_466.020"/>
Uebereinkunft angesehen werden kann, da sie über den <lbn="p1c_466.021"/>
Verstand weit hinaus geht, ist eine <hirendition="#g">poetische</hi> Organisation <lbn="p1c_466.022"/>
des Geistes, welche als ein Wunder angesehen werden <lbn="p1c_466.023"/>
muß. Auch viele heidnische Philosophen, wie wir aus dem <lbn="p1c_466.024"/>
Cratylus des Plato lernen, behaupteten, es gäbe gewisse <lbn="p1c_466.025"/>
Urworte, von mehr als menschlicher Erfindung dem Sterblichen <lbn="p1c_466.026"/>
aus dem Quelle der Wahrheit mitgetheilt. Sprache, <lbn="p1c_466.027"/>
Poesie und Offenbarungstraditionen sind also Dinge, welche <lbn="p1c_466.028"/>
das Schicksal des Menschengeschlechts nach einem höhern
</p></div></div></body></text></TEI>
[466/0524]
p1c_466.001
genug, das Erhabene darinnen zu fassen. Sie gehören zu p1c_466.002
den Berufenen, aber nicht zu den Eingeweihten. Die Mystik p1c_466.003
der Eingeweihten erfordert aber auch keinen besondern p1c_466.004
Sinn, enthält kein besonderes Geheimniß, dessen nicht alle p1c_466.005
Menschen fähig wären. Sie ist die natürliche Mystik, welche p1c_466.006
hohe Seelen von gemeinen, denkende von nichtdenkenden, p1c_466.007
begeisterte von sinnlichen Menschen scheidet. Mag die p1c_466.008
menschliche sogenannte Weltgeschichte die unbekannten p1c_466.009
Größen, das x in die Historie einführen. Sie thut p1c_466.010
wohl daran, in so fern sie menschlich ist, und menschlich p1c_466.011
rechnet. Aber wo ihre unbekannten Länder angehen, p1c_466.012
da herrscht der religiöse Glaube. Wo die historischen p1c_466.013
Denkmähler aufhören, beginnen die poetischen, p1c_466.014
welche bis zur Wiege der Sprache selbst hinauf gehen. p1c_466.015
„Der Donner verhallt, sagt Klopstock, der Sturm braust p1c_466.016
weg, das Säuseln verweht. Mit langen Jahrhunderten p1c_466.017
strömt die Sprache der Menschen fort, und verkündet jeden p1c_466.018
Augenblick, was Jehova geredet hat.“ ─ Die Sprache p1c_466.019
selbst, da sie nicht als ein Werk der Ueberlegung oder menschlichen p1c_466.020
Uebereinkunft angesehen werden kann, da sie über den p1c_466.021
Verstand weit hinaus geht, ist eine poetische Organisation p1c_466.022
des Geistes, welche als ein Wunder angesehen werden p1c_466.023
muß. Auch viele heidnische Philosophen, wie wir aus dem p1c_466.024
Cratylus des Plato lernen, behaupteten, es gäbe gewisse p1c_466.025
Urworte, von mehr als menschlicher Erfindung dem Sterblichen p1c_466.026
aus dem Quelle der Wahrheit mitgetheilt. Sprache, p1c_466.027
Poesie und Offenbarungstraditionen sind also Dinge, welche p1c_466.028
das Schicksal des Menschengeschlechts nach einem höhern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/524>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.