Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_642.001 p2c_642.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0166" n="642"/><lb n="p2c_642.001"/> . Allerdings benutzt der Dichter diese Gelegenheit, <lb n="p2c_642.002"/> seinem Publikum zu zeigen, was es beym Anschaun der Handlung <lb n="p2c_642.003"/> denken müsse. Jndem aber der Chor dem Publikum <lb n="p2c_642.004"/> gleichsam vordenkt, nimmt er Theil an der Schöpfung des <lb n="p2c_642.005"/> Kunstwerks und geht in die Person des Erzählers über. Wie <lb n="p2c_642.006"/> selbst bey den gemeinsten Kunstvorstellungen immer jemand <lb n="p2c_642.007"/> auftritt, der das Volk aufmerksam macht auf den Sinn des <lb n="p2c_642.008"/> Schauspiels, wie selbst unter dem Pöbel Sänger mit <lb n="p2c_642.009"/> Schildereyen herumgehen und sie erklären, so erklärt auch <lb n="p2c_642.010"/> der Chor den Sinn des Stücks. Sonach ist der <hi rendition="#g">Chor</hi> der <lb n="p2c_642.011"/> Alten mehr, als der Chor der Neuern, der nur zwischen <lb n="p2c_642.012"/> den Akten singt, z. B. Esther von Racine <hi rendition="#aq">Act. I. Sc</hi>. 5. <lb n="p2c_642.013"/> oder wie der beym Shakespear, der gewöhnlich den Prologus <lb n="p2c_642.014"/> macht. Er muß sich in die Handlung mischen, und <lb n="p2c_642.015"/> bey der größten Lebhaftigkeit derselben die Ruhe wieder herstellen, <lb n="p2c_642.016"/> damit Eine ästhetische Tonart im Ganzen herrsche. <lb n="p2c_642.017"/> Da nun der <hi rendition="#g">Chor</hi> zum Wesen der <hi rendition="#g">Tragödie</hi> im höchsten <lb n="p2c_642.018"/> Sinne des Worts nothwendig gehört, da man sich nicht <lb n="p2c_642.019"/> einbilden muß, das Schauspiel verlange eine vollständige <lb n="p2c_642.020"/> Jllusion, (denn man soll eben dies Bewußtseyn der <hi rendition="#g">Kunst</hi> <lb n="p2c_642.021"/> haben, welche die Natur nachahmt und verschönert,) so <lb n="p2c_642.022"/> wird auch der <hi rendition="#g">Chor</hi> den <hi rendition="#g">Styl</hi> der Tragödie nothwendig <lb n="p2c_642.023"/> bestimmen. Er selbst wird ganz im Odenton sprechen, und <lb n="p2c_642.024"/> die handelnden Personen müssen eine davon nicht sehr abweichende <lb n="p2c_642.025"/> Sprache führen. Denn eine allzueinfache würde <lb n="p2c_642.026"/> gegen den Chor zu sehr abstechen. Auch will man nicht <lb n="p2c_642.027"/> eine wirkliche, man will eine idealisirte Natur. Auch die <lb n="p2c_642.028"/> Neuern, welche den eigentlichen Chor nicht mehr haben, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [642/0166]
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. Allerdings benutzt der Dichter diese Gelegenheit, p2c_642.002
seinem Publikum zu zeigen, was es beym Anschaun der Handlung p2c_642.003
denken müsse. Jndem aber der Chor dem Publikum p2c_642.004
gleichsam vordenkt, nimmt er Theil an der Schöpfung des p2c_642.005
Kunstwerks und geht in die Person des Erzählers über. Wie p2c_642.006
selbst bey den gemeinsten Kunstvorstellungen immer jemand p2c_642.007
auftritt, der das Volk aufmerksam macht auf den Sinn des p2c_642.008
Schauspiels, wie selbst unter dem Pöbel Sänger mit p2c_642.009
Schildereyen herumgehen und sie erklären, so erklärt auch p2c_642.010
der Chor den Sinn des Stücks. Sonach ist der Chor der p2c_642.011
Alten mehr, als der Chor der Neuern, der nur zwischen p2c_642.012
den Akten singt, z. B. Esther von Racine Act. I. Sc. 5. p2c_642.013
oder wie der beym Shakespear, der gewöhnlich den Prologus p2c_642.014
macht. Er muß sich in die Handlung mischen, und p2c_642.015
bey der größten Lebhaftigkeit derselben die Ruhe wieder herstellen, p2c_642.016
damit Eine ästhetische Tonart im Ganzen herrsche. p2c_642.017
Da nun der Chor zum Wesen der Tragödie im höchsten p2c_642.018
Sinne des Worts nothwendig gehört, da man sich nicht p2c_642.019
einbilden muß, das Schauspiel verlange eine vollständige p2c_642.020
Jllusion, (denn man soll eben dies Bewußtseyn der Kunst p2c_642.021
haben, welche die Natur nachahmt und verschönert,) so p2c_642.022
wird auch der Chor den Styl der Tragödie nothwendig p2c_642.023
bestimmen. Er selbst wird ganz im Odenton sprechen, und p2c_642.024
die handelnden Personen müssen eine davon nicht sehr abweichende p2c_642.025
Sprache führen. Denn eine allzueinfache würde p2c_642.026
gegen den Chor zu sehr abstechen. Auch will man nicht p2c_642.027
eine wirkliche, man will eine idealisirte Natur. Auch die p2c_642.028
Neuern, welche den eigentlichen Chor nicht mehr haben,
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