Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_764.001 p2c_764.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0288" n="764"/><lb n="p2c_764.001"/> war, um <hi rendition="#g">dichterisch</hi> zu seyn, da der Styl des Lafontaine <lb n="p2c_764.002"/> zu galant und <hi rendition="#g">geschwätzig</hi> war, um immer edel <lb n="p2c_764.003"/> zu seyn, so suchte <hi rendition="#g">Lessing</hi> einen Mittelweg. Er kehrte <lb n="p2c_764.004"/> zur <hi rendition="#g">Kürze</hi> der Alten zurück, verschmähte die tändelnde, <lb n="p2c_764.005"/> oft nur sogenannte poetische Einkleidung, die <hi rendition="#aq">ambitiosa <lb n="p2c_764.006"/> et otiosa ornamenta</hi>, allein er suchte der Fabel durch neue <lb n="p2c_764.007"/> sinnreiche Wendung und durch einen edlern Styl ästhetische <lb n="p2c_764.008"/> Würde zu geben. Oft ist der Styl der Lessingischen Fabel <lb n="p2c_764.009"/> so musterhaft, wie der Styl des Babrias. Aber zuweilen <lb n="p2c_764.010"/> wird er epigrammatischer, als es sich mit der <hi rendition="#g">Naivität</hi> <lb n="p2c_764.011"/> verträgt. ─ Das <hi rendition="#g">Metrum</hi> der Fabel darf sich nicht <lb n="p2c_764.012"/> sehr über den rhytmischen Gang der Prosa erheben. Denn <lb n="p2c_764.013"/> die Fabel nähert sich dem Ton der geselligen Unterhaltung. <lb n="p2c_764.014"/> Hendecasyllaben, Choliamben (wie Babrias), Jamben mit <lb n="p2c_764.015"/> und ohne Reim, kleine madrigalische Strophen (wie Jtalienische <lb n="p2c_764.016"/> Fabeldichter sie gebraucht haben) passen am besten. <lb n="p2c_764.017"/> Lessings Prosa hinwiederum ist poetisch und lebhaft genug, <lb n="p2c_764.018"/> um sich von der Sprache des gemeinen Lebens zu unterscheiden. <lb n="p2c_764.019"/> ─ Uebrigens kömmt die <hi rendition="#g">Fabel</hi> unter mancherley <lb n="p2c_764.020"/> <hi rendition="#g">Formen</hi> und <hi rendition="#g">Nahmen</hi> vor. Die Alten (nach Aristoteles) <lb n="p2c_764.021"/> unterscheiden die <hi rendition="#g">Aesopische</hi> Fabel, wo Thiere, <hi rendition="#g">libische,</hi> <lb n="p2c_764.022"/> wo Menschen auftreten, (<foreign xml:lang="grc">λογοι αισωπειοι λιβυκοι</foreign>). <lb n="p2c_764.023"/> Es gab Sybaritische, Aegyptische u. s. w. vom Nahmen <lb n="p2c_764.024"/> der Erfinder. <hi rendition="#g">Apologen</hi> hießen mehr die <hi rendition="#g">rednerischen</hi> <lb n="p2c_764.025"/> allegorischen Beyspiele, welche die Menge belehren <lb n="p2c_764.026"/> sollten. (<foreign xml:lang="grc">λογος απο λογου</foreign>). <foreign xml:lang="grc">Μυθοι</foreign> hießen die poetischen <lb n="p2c_764.027"/> Erfindungen jeder Art. Hesiodus erzählt eine Fabel <lb n="p2c_764.028"/> und nennt sie <foreign xml:lang="grc">αἰνος</foreign> <hi rendition="#aq">grauis admonitio</hi>. Jm Plato, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [764/0288]
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war, um dichterisch zu seyn, da der Styl des Lafontaine p2c_764.002
zu galant und geschwätzig war, um immer edel p2c_764.003
zu seyn, so suchte Lessing einen Mittelweg. Er kehrte p2c_764.004
zur Kürze der Alten zurück, verschmähte die tändelnde, p2c_764.005
oft nur sogenannte poetische Einkleidung, die ambitiosa p2c_764.006
et otiosa ornamenta, allein er suchte der Fabel durch neue p2c_764.007
sinnreiche Wendung und durch einen edlern Styl ästhetische p2c_764.008
Würde zu geben. Oft ist der Styl der Lessingischen Fabel p2c_764.009
so musterhaft, wie der Styl des Babrias. Aber zuweilen p2c_764.010
wird er epigrammatischer, als es sich mit der Naivität p2c_764.011
verträgt. ─ Das Metrum der Fabel darf sich nicht p2c_764.012
sehr über den rhytmischen Gang der Prosa erheben. Denn p2c_764.013
die Fabel nähert sich dem Ton der geselligen Unterhaltung. p2c_764.014
Hendecasyllaben, Choliamben (wie Babrias), Jamben mit p2c_764.015
und ohne Reim, kleine madrigalische Strophen (wie Jtalienische p2c_764.016
Fabeldichter sie gebraucht haben) passen am besten. p2c_764.017
Lessings Prosa hinwiederum ist poetisch und lebhaft genug, p2c_764.018
um sich von der Sprache des gemeinen Lebens zu unterscheiden. p2c_764.019
─ Uebrigens kömmt die Fabel unter mancherley p2c_764.020
Formen und Nahmen vor. Die Alten (nach Aristoteles) p2c_764.021
unterscheiden die Aesopische Fabel, wo Thiere, libische, p2c_764.022
wo Menschen auftreten, (λογοι αισωπειοι λιβυκοι). p2c_764.023
Es gab Sybaritische, Aegyptische u. s. w. vom Nahmen p2c_764.024
der Erfinder. Apologen hießen mehr die rednerischen p2c_764.025
allegorischen Beyspiele, welche die Menge belehren p2c_764.026
sollten. (λογος απο λογου). Μυθοι hießen die poetischen p2c_764.027
Erfindungen jeder Art. Hesiodus erzählt eine Fabel p2c_764.028
und nennt sie αἰνος grauis admonitio. Jm Plato,
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