Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_557.001 p2c_557.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0081" n="557"/><lb n="p2c_557.001"/> der Erfinder einer Dichtart gleich so glücklich, sie vollkommen <lb n="p2c_557.002"/> zu organisiren. Wenn auch Ovid wirklich die <hi rendition="#g">Heroide</hi> <lb n="p2c_557.003"/> erfunden und damit die griechische Elegie zu verbessern <lb n="p2c_557.004"/> gemeynt hätte, so ist noch nicht die Folge, daß er in <lb n="p2c_557.005"/> der Ausführung ganz glücklich gewesen sey. Auch zweifelt <lb n="p2c_557.006"/> man, ob die in seinen Werken vorhandenen Heroiden alle <lb n="p2c_557.007"/> von ihm sind. Man kennt die spielende, mehr witzige als <lb n="p2c_557.008"/> empfindungsvolle Manier dieses Dichters. Er konnte also <lb n="p2c_557.009"/> die <hi rendition="#g">Heroide</hi> nicht über den Ton der tändelnden, höchstens <lb n="p2c_557.010"/> zärtlichen Elegie erheben. Wenn man dagegen die Jdee <lb n="p2c_557.011"/> dieser Dichtungsart an sich betrachtet, wenn man bedenkt, <lb n="p2c_557.012"/> daß merkwürdige Helden und Heldinnen der Geschichte ihre <lb n="p2c_557.013"/> leidenschaftlichen Empfindungen in großen Situationen einander <lb n="p2c_557.014"/> mittheilen sollen, (ein äußerst glücklicher Gedanke) <lb n="p2c_557.015"/> so folgt daraus, daß diese Empfindungen solcher Seelen nothwendig <lb n="p2c_557.016"/> zum <hi rendition="#g">höhern</hi> Schönen, zur <hi rendition="#g">höhern</hi> lyrischen Poesie <lb n="p2c_557.017"/> führen müssen, und daß es nur ein Fehler des Dichters <lb n="p2c_557.018"/> ist, wenn er, wie Ovid, <hi rendition="#g">elegisch</hi> bleibt. Man kann <lb n="p2c_557.019"/> also behaupten, daß erst mit <hi rendition="#g">Popes</hi> berühmten und wahrhaft <lb n="p2c_557.020"/> erhabenen <hi rendition="#g">Heroide</hi> von Heloise an Abelard diese Dichtart <lb n="p2c_557.021"/> ganz ausgebildet worden ist. Wenn die höhere lyrische <lb n="p2c_557.022"/> Poesie die Liederform verträgt, warum sollte sie nicht auch <lb n="p2c_557.023"/> die Briefform vertragen? Wenn es im Fache des niedern <lb n="p2c_557.024"/> Schönen poetische Episteln giebt, so mußte der menschliche <lb n="p2c_557.025"/> Geist nothwendig auch auf die Erfindung <hi rendition="#g">erhabener</hi> poetischer <lb n="p2c_557.026"/> Briefe verfallen. Natürlich war es da, daß man <lb n="p2c_557.027"/> Helden und merkwürdige Menschen an einander schreiben <lb n="p2c_557.028"/> ließ. Klopstock verweigert in seiner Gelehrtenrepublik den </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [557/0081]
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der Erfinder einer Dichtart gleich so glücklich, sie vollkommen p2c_557.002
zu organisiren. Wenn auch Ovid wirklich die Heroide p2c_557.003
erfunden und damit die griechische Elegie zu verbessern p2c_557.004
gemeynt hätte, so ist noch nicht die Folge, daß er in p2c_557.005
der Ausführung ganz glücklich gewesen sey. Auch zweifelt p2c_557.006
man, ob die in seinen Werken vorhandenen Heroiden alle p2c_557.007
von ihm sind. Man kennt die spielende, mehr witzige als p2c_557.008
empfindungsvolle Manier dieses Dichters. Er konnte also p2c_557.009
die Heroide nicht über den Ton der tändelnden, höchstens p2c_557.010
zärtlichen Elegie erheben. Wenn man dagegen die Jdee p2c_557.011
dieser Dichtungsart an sich betrachtet, wenn man bedenkt, p2c_557.012
daß merkwürdige Helden und Heldinnen der Geschichte ihre p2c_557.013
leidenschaftlichen Empfindungen in großen Situationen einander p2c_557.014
mittheilen sollen, (ein äußerst glücklicher Gedanke) p2c_557.015
so folgt daraus, daß diese Empfindungen solcher Seelen nothwendig p2c_557.016
zum höhern Schönen, zur höhern lyrischen Poesie p2c_557.017
führen müssen, und daß es nur ein Fehler des Dichters p2c_557.018
ist, wenn er, wie Ovid, elegisch bleibt. Man kann p2c_557.019
also behaupten, daß erst mit Popes berühmten und wahrhaft p2c_557.020
erhabenen Heroide von Heloise an Abelard diese Dichtart p2c_557.021
ganz ausgebildet worden ist. Wenn die höhere lyrische p2c_557.022
Poesie die Liederform verträgt, warum sollte sie nicht auch p2c_557.023
die Briefform vertragen? Wenn es im Fache des niedern p2c_557.024
Schönen poetische Episteln giebt, so mußte der menschliche p2c_557.025
Geist nothwendig auch auf die Erfindung erhabener poetischer p2c_557.026
Briefe verfallen. Natürlich war es da, daß man p2c_557.027
Helden und merkwürdige Menschen an einander schreiben p2c_557.028
ließ. Klopstock verweigert in seiner Gelehrtenrepublik den
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