Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

gen Zungen -- und ich stammelte wie ein unmün-
diges Kind. Erheben wollte ich mich auf den Flügeln
der Morgenröthe -- und ich watschelte dahin, wie
eine fluglahme Ente. Selige Ahnungen, Offenbarungs-
träume schossen durch mein Hirn -- ein taumelnder
Drang fluthete empor -- und ich krümmte mich
ohnmächtig unter der Befangenheit meiner Aeußerungs-
kräfte. Zu groß für den Markt und zu klein für
die Einsamkeit -- und doch auch wieder zu groß
selbst für die Einsamkeit, deren letzte Resultate ich
intuitiv vorwegnehme -- sie könnte mir schließlich
nur eine Schaale kleinerer Mittelerkenntnisse zusam-
menhäufen! -- dort verachtend, hier verzweifelnd
-- dort sehend, hier blind -- und doch zugleich
auch sehend -- nüchtern und trunken in Einem: so
schließe ich ab, da sich in mir Alles vollendet und
beschlossen hat, was innerhalb dieser engen Beding-
nisse sich vollenden und beschließen kann. Mit über-
menschlichen Ahnungen ausgerüstet -- im letzten
Lebensmomente noch einmal durchschüttelt von den
Cyclonen einer Himmel und Erde durchstürmenden
Leidenschaft -- -- nun stiller schon und klarer --
nun ganz geläutert -- gehe ich dahin, wo ich sein
werde, wenn ich nicht mehr bin ... Noch einmal
locken mich die Reize der Natur -- aber ich er-
innere mich, daß ich schon verlernt habe, mich von
ihrer nackten Keuschheit naiv rühren zu lassen --
ich dachte schon zu viel. Noch einmal locken mich
Liebe und Schönheit .. Aber ich erinnere mich,
daß ich alle Liebeswonne gekostet habe und sie doch

gen Zungen — und ich ſtammelte wie ein unmün-
diges Kind. Erheben wollte ich mich auf den Flügeln
der Morgenröthe — und ich watſchelte dahin, wie
eine fluglahme Ente. Selige Ahnungen, Offenbarungs-
träume ſchoſſen durch mein Hirn — ein taumelnder
Drang fluthete empor — und ich krümmte mich
ohnmächtig unter der Befangenheit meiner Aeußerungs-
kräfte. Zu groß für den Markt und zu klein für
die Einſamkeit — und doch auch wieder zu groß
ſelbſt für die Einſamkeit, deren letzte Reſultate ich
intuitiv vorwegnehme — ſie könnte mir ſchließlich
nur eine Schaale kleinerer Mittelerkenntniſſe zuſam-
menhäufen! — dort verachtend, hier verzweifelnd
— dort ſehend, hier blind — und doch zugleich
auch ſehend — nüchtern und trunken in Einem: ſo
ſchließe ich ab, da ſich in mir Alles vollendet und
beſchloſſen hat, was innerhalb dieſer engen Beding-
niſſe ſich vollenden und beſchließen kann. Mit über-
menſchlichen Ahnungen ausgerüſtet — im letzten
Lebensmomente noch einmal durchſchüttelt von den
Cyclonen einer Himmel und Erde durchſtürmenden
Leidenſchaft — — nun ſtiller ſchon und klarer —
nun ganz geläutert — gehe ich dahin, wo ich ſein
werde, wenn ich nicht mehr bin ... Noch einmal
locken mich die Reize der Natur — aber ich er-
innere mich, daß ich ſchon verlernt habe, mich von
ihrer nackten Keuſchheit naiv rühren zu laſſen —
ich dachte ſchon zu viel. Noch einmal locken mich
Liebe und Schönheit .. Aber ich erinnere mich,
daß ich alle Liebeswonne gekoſtet habe und ſie doch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div n="1">
              <p><pb facs="#f0365" n="357"/>
gen Zungen &#x2014; und ich &#x017F;tammelte wie ein unmün-<lb/>
diges Kind. Erheben wollte ich mich auf den Flügeln<lb/>
der Morgenröthe &#x2014; und ich wat&#x017F;chelte dahin, wie<lb/>
eine fluglahme Ente. Selige Ahnungen, Offenbarungs-<lb/>
träume &#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en durch mein Hirn &#x2014; ein taumelnder<lb/>
Drang fluthete empor &#x2014; und ich krümmte mich<lb/>
ohnmächtig unter der Befangenheit meiner Aeußerungs-<lb/>
kräfte. Zu groß für den Markt und zu klein für<lb/>
die Ein&#x017F;amkeit &#x2014; und doch auch wieder zu groß<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t für die Ein&#x017F;amkeit, deren <hi rendition="#g">letzte</hi> Re&#x017F;ultate ich<lb/>
intuitiv vorwegnehme &#x2014; &#x017F;ie könnte mir &#x017F;chließlich<lb/>
nur eine Schaale kleinerer Mittelerkenntni&#x017F;&#x017F;e zu&#x017F;am-<lb/>
menhäufen! &#x2014; dort verachtend, hier verzweifelnd<lb/>
&#x2014; dort &#x017F;ehend, hier blind &#x2014; und doch zugleich<lb/>
auch &#x017F;ehend &#x2014; nüchtern und trunken in Einem: &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chließe ich ab, da &#x017F;ich in mir Alles vollendet und<lb/>
be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en hat, was innerhalb die&#x017F;er engen Beding-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich vollenden und be&#x017F;chließen kann. Mit über-<lb/>
men&#x017F;chlichen Ahnungen ausgerü&#x017F;tet &#x2014; im letzten<lb/>
Lebensmomente noch einmal durch&#x017F;chüttelt von den<lb/>
Cyclonen einer Himmel und Erde durch&#x017F;türmenden<lb/>
Leiden&#x017F;chaft &#x2014; &#x2014; nun &#x017F;tiller &#x017F;chon und klarer &#x2014;<lb/>
nun ganz geläutert &#x2014; gehe ich dahin, wo ich &#x017F;ein<lb/>
werde, wenn ich nicht mehr bin ... Noch einmal<lb/>
locken mich die Reize der <hi rendition="#g">Natur</hi> &#x2014; aber ich er-<lb/>
innere mich, daß ich &#x017F;chon verlernt habe, mich von<lb/>
ihrer nackten Keu&#x017F;chheit naiv rühren zu la&#x017F;&#x017F;en &#x2014;<lb/>
ich <hi rendition="#g">dachte</hi> &#x017F;chon zu viel. Noch einmal locken mich<lb/><hi rendition="#g">Liebe</hi> und <hi rendition="#g">Schönheit</hi> .. Aber ich erinnere mich,<lb/>
daß ich alle Liebeswonne geko&#x017F;tet habe und &#x017F;ie doch<lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[357/0365] gen Zungen — und ich ſtammelte wie ein unmün- diges Kind. Erheben wollte ich mich auf den Flügeln der Morgenröthe — und ich watſchelte dahin, wie eine fluglahme Ente. Selige Ahnungen, Offenbarungs- träume ſchoſſen durch mein Hirn — ein taumelnder Drang fluthete empor — und ich krümmte mich ohnmächtig unter der Befangenheit meiner Aeußerungs- kräfte. Zu groß für den Markt und zu klein für die Einſamkeit — und doch auch wieder zu groß ſelbſt für die Einſamkeit, deren letzte Reſultate ich intuitiv vorwegnehme — ſie könnte mir ſchließlich nur eine Schaale kleinerer Mittelerkenntniſſe zuſam- menhäufen! — dort verachtend, hier verzweifelnd — dort ſehend, hier blind — und doch zugleich auch ſehend — nüchtern und trunken in Einem: ſo ſchließe ich ab, da ſich in mir Alles vollendet und beſchloſſen hat, was innerhalb dieſer engen Beding- niſſe ſich vollenden und beſchließen kann. Mit über- menſchlichen Ahnungen ausgerüſtet — im letzten Lebensmomente noch einmal durchſchüttelt von den Cyclonen einer Himmel und Erde durchſtürmenden Leidenſchaft — — nun ſtiller ſchon und klarer — nun ganz geläutert — gehe ich dahin, wo ich ſein werde, wenn ich nicht mehr bin ... Noch einmal locken mich die Reize der Natur — aber ich er- innere mich, daß ich ſchon verlernt habe, mich von ihrer nackten Keuſchheit naiv rühren zu laſſen — ich dachte ſchon zu viel. Noch einmal locken mich Liebe und Schönheit .. Aber ich erinnere mich, daß ich alle Liebeswonne gekoſtet habe und ſie doch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/365
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/365>, abgerufen am 22.11.2024.