Zugeständnisse und Kapitulationen, die er hatte auf sich nehmen müssen, und die er weiter und weiter würde auf sich nehmen müssen, wenn er die äußere Niedrigkeit seines Lebens nicht abschüttelte und von sich warf, gedachte er, und es ergriff ihn ein unge- stümes Grauen vor ihnen und ein zehrendes, bohren- des Mitleid mit sich selber. Die "Bataillone der Zukunft" -- mochten sie ruhig weitermarschiren, näher und näher heran -- noch war ihre Stunde nicht gekommen, noch standen sie nicht auf dem Kampfplatze, bereit zu vergelten, zu stürzen und neu zu gründen -- und unterweilen ließ sich noch eine Spanne Zeit gewinnen, da man glücklich sein durfte im Schooße der Schönheit und Leidenschaft -- und einen Traum träumen durfte in irdischer Trunken- heit, wohl einen flüchtigen und vergänglichen, aber auch hinreißend schönen und unvergeßlichen Traum. Nachher das Erwachen -- was ging ihn das jetzt an? Jetzt? Nichts, nichts, nichts -- --
Adam schritt langsam auf Lydia zu .. und als er dicht hinter ihr stand, sprach er mit leiser, ge- preßter, heiser vibrierender Stimme: "Verzeih' mir, Lydia -- ich -- ich war von Sinnen vorhin -- ich wußte nicht -- -- ach! Du weißt nicht, wie unglücklich ich bin -- --"
Und Lydia sah zu ihm auf, feucht schimmerte es in ihren Augen -- "Ja! Du mußt sehr unglück- lich sein, Adam --" sagte sie ebenso leise .. Dann wischte sie sich mit ihrem zarten, weißen Battist- taschentuch die Thränen aus den Augen, legte ihre
Zugeſtändniſſe und Kapitulationen, die er hatte auf ſich nehmen müſſen, und die er weiter und weiter würde auf ſich nehmen müſſen, wenn er die äußere Niedrigkeit ſeines Lebens nicht abſchüttelte und von ſich warf, gedachte er, und es ergriff ihn ein unge- ſtümes Grauen vor ihnen und ein zehrendes, bohren- des Mitleid mit ſich ſelber. Die „Bataillone der Zukunft“ — mochten ſie ruhig weitermarſchiren, näher und näher heran — noch war ihre Stunde nicht gekommen, noch ſtanden ſie nicht auf dem Kampfplatze, bereit zu vergelten, zu ſtürzen und neu zu gründen — und unterweilen ließ ſich noch eine Spanne Zeit gewinnen, da man glücklich ſein durfte im Schooße der Schönheit und Leidenſchaft — und einen Traum träumen durfte in irdiſcher Trunken- heit, wohl einen flüchtigen und vergänglichen, aber auch hinreißend ſchönen und unvergeßlichen Traum. Nachher das Erwachen — was ging ihn das jetzt an? Jetzt? Nichts, nichts, nichts — —
Adam ſchritt langſam auf Lydia zu .. und als er dicht hinter ihr ſtand, ſprach er mit leiſer, ge- preßter, heiſer vibrierender Stimme: „Verzeih' mir, Lydia — ich — ich war von Sinnen vorhin — ich wußte nicht — — ach! Du weißt nicht, wie unglücklich ich bin — —“
Und Lydia ſah zu ihm auf, feucht ſchimmerte es in ihren Augen — „Ja! Du mußt ſehr unglück- lich ſein, Adam —“ ſagte ſie ebenſo leiſe .. Dann wiſchte ſie ſich mit ihrem zarten, weißen Battiſt- taſchentuch die Thränen aus den Augen, legte ihre
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Zugeſtändniſſe und Kapitulationen, die er hatte auf
ſich nehmen müſſen, und die er weiter und weiter
würde auf ſich nehmen müſſen, wenn er die äußere
Niedrigkeit ſeines Lebens nicht abſchüttelte und von
ſich warf, gedachte er, und es ergriff ihn ein unge-
ſtümes Grauen vor ihnen und ein zehrendes, bohren-
des Mitleid mit ſich ſelber. Die „Bataillone der
Zukunft“ — mochten ſie ruhig weitermarſchiren,
näher und näher heran — noch war ihre Stunde
nicht gekommen, noch ſtanden ſie nicht auf dem
Kampfplatze, bereit zu vergelten, zu ſtürzen und neu
zu gründen — und unterweilen ließ ſich noch eine
Spanne Zeit gewinnen, da man glücklich ſein durfte
im Schooße der Schönheit und Leidenſchaft — und
einen Traum träumen durfte in irdiſcher Trunken-
heit, wohl einen flüchtigen und vergänglichen, aber
auch hinreißend ſchönen und unvergeßlichen Traum.
Nachher das Erwachen — was ging ihn das jetzt
an? Jetzt? Nichts, nichts, nichts — —
Adam ſchritt langſam auf Lydia zu .. und als
er dicht hinter ihr ſtand, ſprach er mit leiſer, ge-
preßter, heiſer vibrierender Stimme: „Verzeih' mir,
Lydia — ich — ich war von Sinnen vorhin —
ich wußte nicht — — ach! Du weißt nicht, wie
unglücklich ich bin — —“
Und Lydia ſah zu ihm auf, feucht ſchimmerte
es in ihren Augen — „Ja! Du mußt ſehr unglück-
lich ſein, Adam —“ ſagte ſie ebenſo leiſe .. Dann
wiſchte ſie ſich mit ihrem zarten, weißen Battiſt-
taſchentuch die Thränen aus den Augen, legte ihre
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/399>, abgerufen am 22.11.2024.
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